Rosengarten/Ehestorf. Die Sperrung des Ehestorfer Heuwegs ist für die Monika R. eine Katastrophe. Die Busse fahren unregelmäßig, der Pflegedienst quittierte den Dienst.

Ausgeliefert. Vielleicht trifft dieser Begriff ihre Situation am besten. Den Behörden. Den Pflegediensten. Den Busunternehmen. Ausgeliefert. Manchmal schnürt ihr die Situation die Kehle zu. Dieses Gefühl, sich nicht wehren zu können gegen das, was andere tun. Sie weiß, dass sie nicht gewinnen kann. Und dennoch möchte sie, dass alle wissen, was mit ihr passiert. Weil ihr Fall deutlich macht, wo die Gesellschaft steht, wenn es um Themen wie Inklusion und Teilhabe geht, um ambulante Pflege und den Mangel an Personal.

Die Frau, um die es geht, ist 56 Jahre alt. Sie hat MS. Seit 1997 sitzt sie im Rollstuhl. Eine schlanke Person mit üppigen blonden Locken, die offen über ihre Schulter fallen. Die Männer drehen sich nach ihr um. Und manchmal sagen sie: „Wie schade, so jung, so hübsch und schon im Rollstuhl?!“ Monika R. ist selbstbewusst genug, um darüber lachen zu können. Sie antwortet dann: „Pass auf, sonst spring ich dich an.“ Sie hat ihre Situation schon immer mit Humor genommen. Weil sie trotz ihrer Krankheit relativ normal am Leben teilnehmen konnte. „Ich war nie die Omi, die den ganzen Tag im Bett liegt“, sagt sie. „Ich war dabei.“ – Das Lachen ist ihr vergangen.

Der provisorisch eingerichtete Gehweg Richtung Rudolf-Steiner-Schule ist für Monika R. mit dem E-Rolli unbefahrbar.
Der provisorisch eingerichtete Gehweg Richtung Rudolf-Steiner-Schule ist für Monika R. mit dem E-Rolli unbefahrbar. © HA | Hanna Kastendieck

Es ist eine Baustelle, die ihr die Lebensfreude nimmt. Die Sperrung einer Straße, die dafür sorgt, dass sie allein aufgrund ihres Handicaps nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Anfang März rollten die ersten Baufahrzeuge an. Seitdem ist der Ehestorfer Heuweg, eine der wichtigsten Verbindungsstraßen zwischen Hamburg und Niedersachsen von 5 bis 11.30 Uhr eine Einbahnstraße Richtung B 73. Von 12 bis 4.30 Uhr kommen die Autos nur Richtung Niedersachsen durch. Der öffentliche Nahverkehr ist eingeschränkt, Bushaltestellen wurden verlegt. Und die provisorischen Gehwege haben tiefe Schlaglöcher.

Für die Anwohner ist das ein Ärgernis – für eine Frau im Rollstuhl eine Katastrophe. „Ich habe den letzten Rest meiner Unabhängigkeit verloren“, sagt sie. Zur Einsamkeit hinzu kommt die Tatsache, dass Monika R. schlichtweg nicht mehr ihrem Pflegegrad angemessen versorgt wird. Aufgrund ihrer Krankheit benötigt die 56-Jährige sechs Mal pro Tag an sieben Tagen die Woche einen Pflegedienst. Bei jedem Toilettengang, beim Waschen, Haare kämmen und Anziehen braucht sie Unterstützung. „Doch seit der Sperrung kommt mein Pflegedienst nicht mehr“, sagt sie. „Die Routen sind für die Mitarbeiter nicht mehr planbar. Die wechselnde Verkehrsführung passt nicht in die Abläufe. Der Aufwand ist zu groß, das Personal zu knapp.“ Um überhaupt zurechtzukommen, hat Monika R. kurzfristig zwei Haushaltskräfte auf 450-Euro-Basis eingestellt und Freunde und Nachbarn um Hilfe gebeten. Sie hangelt sich von Tag zu Tag. – Sie wird sich von Monat zu Monat hangeln müssen.

Bis Dezember sollen die Bauarbeiten für den ersten Bauabschnitt dauern. „Der angestrebte Fertigstellungstermin kann sich durch nicht vorhersehbare Umstände im Bauablauf sowie schlechte Witterung verändern“, heißt es von Seiten der Behörde. Und von März bis November 2020 wird die Straße dann erneut für den zweiten Bauabschnitt gesperrt. Frau R. sagt: „Ich habe mein Leben nicht abgegeben, als ich in den Rollstuhl kam. Aber jetzt gebe ich es ab. Jetzt kappen sie mich richtig.“

Weggeschwemmt: Auf dem Gehweg Richtung Rudolf-Steiner-Schule löst sich der Belag auf.
Weggeschwemmt: Auf dem Gehweg Richtung Rudolf-Steiner-Schule löst sich der Belag auf. © HA | Hanna Kastendieck

Man riet ihr, sich einen neuen Pflegedienst zu suchen

Auch ihre Therapeuten, die seit über 20 Jahren fünfmal die Woche zu ihr nach Hause kommen, haben ihren Dienst quittiert, weil der zeitliche und finanzielle Aufwand der Tour aus Neugraben nicht für sie zu leisten ist. „Ich würde ja den Weg in die Praxis auf mich nehmen, aber der Bus Richtung Neugraben fährt nur bis 11.30 Uhr. Wenn ich einen Termin am Nachmittag habe, muss ich die Route über Harburg nehmen und dann mit der S-Bahn weiter. Mit dem E-Rolli ist das unzumutbar. Ich schaffe das einfach kräftemäßig nicht.“ Hinzu kommt das Problem, dass viele Busse keine Rampe für Rollstühle haben. „Mein Rollstuhl aber wiegt 120 Kilo plus mein Körpergewicht. Das lässt sich nicht so einfach in den Bus heben.“ Als die Ehestorferin versuchte, über die Busgesellschaft einen Überblick über die Ausstattung der Fahrzeuge zu bekommen, wies man sie mit den Worten, das sei wegen der Landesgrenze nicht planbar, ab. „Ich bin doch kein Schrotthaufen, den man einfach stehen lassen kann“, sagt sie. „Aber manchmal fühle ich mich tatsächlich so.“

Am Kreisel zwischen Ehestorf und Vahrendorf wird angekündigt, dass es zur B73 kein Durchkommen gibt.
Am Kreisel zwischen Ehestorf und Vahrendorf wird angekündigt, dass es zur B73 kein Durchkommen gibt. © HA | Hanna Kastendieck

Monika R. weiß, dass sie sich das nicht gefallen lassen sollte. Sie weiß aber auch, dass sie als Behinderte keine Chance hat. Auch wenn alle von Inklusion und Teilhabe reden, auf der Straße und im Alltag gelten andere Gesetze. Es ist diese Ungerechtigkeit, die sie kaum ertragen kann. Dieses Gefühl, die Dinge hinnehmen zu müssen, weil sie ein Einzelfall ist. Und ein einzelnes Schicksal in einem Straßenbauprojekt dieser Größenordnung keine Rolle spielt. Sie hat es dennoch versucht. Hat versucht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Darum gebeten, dass man auch Minderheiten wie sie in die Planungen miteinbezieht. „Ich habe auf der Infoveranstaltung des Landesbetriebs Straßen, Brücken und Gewässer Ende Februar im Landhaus Jägerhof meine Sorgen geschildert“, sagt sie. Die Antwort der Verantwortlichen war kurz und bündig. „Dann müssen Sie eben einen neuen Pflegedienst suchen.“

Monika R. hat überall herumtelefoniert. Doch mehr als einen Platz auf der Warteliste hat sie bislang nicht ergattern können. „Die Pflegedienste wollen eine wie mich doch gar nicht“, sagt sie. „Eine, die den Mund aufmacht und Ansprüche stellt. Das ist denen zu unbequem.“ Die Pflegedienste sind es auch, warum Monika R. darum gebeten hat, in diesem Artikel nicht ihren richtigen Namen zu nennen. „Ich bin auf Hilfe angewiesen, aber ich sitze am kürzeren Hebel“, sagt sie. „Ich habe zu viele schlechte Erfahrungen gemacht. Ich möchte nicht, dass ich nachher als schwierige Person gelistet bin, die keiner mehr versorgen will.“

Als Mensch im Rollstuhl, als schwer an MS-Erkrankte, erlebt Monika R. täglich, dass sie eine Außenseiterin in dieser Gesellschaft ist. Zu einer Minderheit gehört, die nicht wirklich etwas bewegen kann. „Menschenleben stehen für den LSBG nicht an erster Stelle, schon gar nicht von Behinderten“, sagt sie. „Was für den Landesbetrieb allein zählt, ist, dass es keinen Verkehrsrückstau gibt. Sonst hätte man sich für eine Ampelschaltung entschieden, so, wie es die Bürger vorgeschlagen haben.“ Für Monika R. wäre diese Lösung die beste gewesen. Weil sie dann mobil geblieben wäre. Und gut versorgt. Sie weiß, dass viele Freunde nicht mehr kommen werden, wenn sie erstmal eine „halbe Stadtrundfahrt“ machen müssen, um ihre Wohnung zu erreichen. Und sie weiß, dass sie nicht die Kraft hat, mehrmals täglich auf gut Glück zur Bushaltestelle zu fahren, um dann vor Ort feststellen zu müssen, dass der Bus sie nicht mitnehmen kann.

Baumaßnahmen

Der LSBG baut 2019 und 2020 die Verkehrsflächen im Ehestorfer Heuweg um. Die Geh- und Radwege entsprechen nicht mehr dem geforderten Standard und sind in einem schlechten baulichen Zustand. Auch die Fahrbahn und die Entwässerungseinrichtungen müssen dringend erneuert werden. Busfahrgäste erhalten barrierefreie Haltestellen.

Entgegen ursprünglicher Planungen wird der Ehestorfer Heuweg zwischen der Cuxhavener Straße (B73) und der Landesgrenze Niedersachsen nicht auf kompletter Länge gesperrt, sondern in zwei Bauabschnitten in den Jahren 2019 und 2020 erneuert. Schule, Hotel und Gastronomiebetriebe sind stets aus einer Richtung erreichbar.

1. Bauabschnitt: März bis Dezember 2019 Sperrung des südlichen Teils des Ehestorfer Heuwegs nördlich der Landesgrenze bis zur Rudolf-Steiner-Schule 2. Bauabschnitt: März bis November 2020 Sperrung des nördlichen Teils des Ehestorfer Heuwegs südlich der B73 bis Rudolf-Steiner-Schule.

Der Verkehr wird im wechselnden Einbahnstraßenverkehr an der Baustelle vorbei geführt. Von 5 bis 11.30 Uhr ist der Ehestorfer Heuweg eine Einbahnstraße Richtung B73. Von 12 bis 4.30 Uhr ist die Straße Richtung Niedersachsen offen. Von 11.30 Uhr bis 12 Uhr und von 4.,30 bis 5 Uhr ist der Ehestorfer Heuweg voll gesperrt.

Aktuelle Informationen zu den Baumaßnahmen gibt es auf der Internetseite: http://lsbg.hamburg.de/anliegerinformationen/