Buxtehude . Zwischen 1540 und 1644 wurden in der Estestadt nachweislich 21 Frauen wegen „Zauberey“ angeklagt und oft hingerichtet.

Mit einem filigranen Schwung sind viele Anfangsbuchstaben gesetzt, die Handschrift auf dem gelblichen Papier wirkt akkurat, leicht und kunstvoll. Fast so, als würde sie ein Gedicht schmücken wollen. Doch das gut 400 Jahre alte Papier, das da im Buxtehuder Stadtarchiv vor der Restauratorin Gudrun Kühl auf dem Tisch liegt, offenbart einen Text, der einen heute schaudern lässt: Es ist ein Verhörprotokoll aus der Zeit der mittelalterlichen Hexenprozesse. Ein dunkles Kapitel der Geschichte voller Aberglaube, Hetze und religiösem Eifer, bei dem sich in Norddeutschland Buxtehude offensichtlich besonders hervorgetan hat.

Während der großen europäischen Hexenverfolgungen im 16. und 17. Jahrhundert gab es im Vergleich zu Westfalen in Niedersachsen zwar eher weniger Hexenprozesse, heißt es in einer Studie dazu – mit Ausnahme von Buxtehude allerdings: Zwischen 1540 und 1644 waren hier nach bisherigen Forschungsstand nachweislich 21 Frauen angeklagt worden, 15 davon wurden nach Folter hingerichtet, meist auf dem Scheiterhaufen vor den Toren der Stadt.

Alte Dokumente zeugen von dem Schrecken der Hexenprozesse in Buxtehude.
Alte Dokumente zeugen von dem Schrecken der Hexenprozesse in Buxtehude. © HA | Axel Tiedemann

Wie die Anklage lautete, welche angeblichen Geständnisse mit Daumenschrauben und anderem Gerät erpresst wurden, das steht fein sauber niedergeschrieben in einem gut halben Meter hohen Aktenstapel, der im Buxtehuder Stadtarchiv lagert – nicht weit von der früheren „Frohnerey“ in der Moortorstraße entfernt, wo sich seinerzeit im Keller Gefängnis und Folterkammer befanden.

Doch die etwa 3200 Seiten aus handgeschöpftem Papier mit den aus heutiger Sicht grausigen Texten konnten bisher noch nicht sämtlich und im Detail von der Forschung ausgewertet werden. Frühere Wasserschäden hatten zu Schimmel geführt. „Und das ist sehr gesundheitsschädlich, wir konnten sie deshalb nicht mehr zur Verfügung stellen“, sagt die neue Stadtarchivarin Eva Drechsler.

Das Archiv habe daher jetzt die Hamburger Restauratorin Gudrun Kühl beauftragt, die alten Dokumente wieder so herzurichten, dass sie von Forschern benutzbar sind. Knapp 7000 Euro kostet diese Arbeit, die Hälfte davon will die Sparkasse Harburg-Buxtehude übernehmen.

Nach erster Sichtung der Akten konnte Kühl aber etwas Entwarnung geben. Durch die Lagerung im jetzigen Archiv gegenüber vom Stadtmuseum am Stavenort in der Altstadt sei der Schimmel nicht weiter gewachsen. „Er ist sozusagen eingeschlafen“, erklärt die Expertin.

Mit einer speziellen Absauganlage soll er nun zunächst von den alten Schriftstücken entfernt werden, anschließend werden die Seiten mit hauchdünnem Japanpapier in mehreren Schichten hinterlegt, um Risse zu füllen. Ziel der Restaurierung ist schließlich, dass sich die einst aus Lumpen gewonnenen Papiere in der Hand wieder so flexibel und fest anfühlen, wie zu der Zeit, als sie niedergeschrieben wurden. „Das reicht dann wieder für ein paar Hundert Jahre, die Qualität ist eigentlich viel besser als die modernen Papiers“, sagt die Restauratorin.

Noch im 17. Jahrhundert endete auch in Buxtehude manche der Hexerei beschuldigte Angeklagte auf dem Scheiterhaufen.
Noch im 17. Jahrhundert endete auch in Buxtehude manche der Hexerei beschuldigte Angeklagte auf dem Scheiterhaufen. © Jörg Merckel

Die Schrift selbst ist auch nicht angegriffen, um die Akten zu lesen, muss man allerdings Mittel-Niederdeutsch lesen können: Aber es gibt Abschriften von Teilen der Dokumente, die einen Einblick in diese Zeit erlauben: Man berief sich damals durchaus auch auf die Bibel, heißt es in einem Text des früheren Buxtehuder Stadtarchivars Bernd Utermöhlen, der dazu mit dem Zitat „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen“ auf das 2. Buch Mose verweist. Erst im späteren Mittelalter aber habe sich daraus eine strafrechtliche Verfolgung ergeben. Im Wesentlichen führten vier immer wieder aufgeführte „Tatbestände“ zu einer Verurteilung, die in Buxtehude von den Rathaustreppen aus gesprochen wurde: Ein Pakt mit dem Teufel, die Abkehr von Gott, sogenannter Schadenzauber und die Teilnahme an Hexentreffen – das wurde in den Verhören von angezeigten Frauen abgefragt.

Europaweit habe es dabei Schätzungen zufolge in den Jahren zwischen 1430 bis noch 1780 rund 50.000 Opfer gegeben, die Hälfte davon auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands und eben auch besonders viele in Buxtehude.

Oft waren das Frauen, die sich tatsächlich mit Kräutern auskannten und eigentlich Heilung versprachen, erläutert Stadtarchivarin Drechsler. Manchmal waren aber auch schnöde Nachbar-Streitigkeiten vorausgegangen, wenn jemand der „Zauberey“ angeklagt wurde: Im Verhör unter Folter gaben dann die Betroffenen die abstrusesten Vorwürfe zu. Was letztlich ihr sicheres Todesurteil war.

Gesprochen vom Rat der Stadt, dessen Nachfolger viele Hundert Jahre später im November 2017 sich zu dem Unrecht an Frauen wie Metcke Wildenbrocks, Gesche Kahlen oder Margareta Bicker bekannten und eine Mahntafel am Rathaus anbringen ließen.

Sie zeigt laut Beschreibung eine „ins Leere schauende Frauenfigur, die ihren Blick aus matten Augen in Richtung rechter Seite wendet. Zum Licht, zum Feuer. Stumm in enge Tücher gehüllt. Sprachlos. Bewegungsunfähig.“

Das Stadtarchiv

Anfang der 1990er-Jahre
wurde in Buxtehude ein eigenes Stadtarchiv errichtet, in dem städtische Akten aber auch Fotos und Dokumente aus privaten Nachlässen gesammelt werden. Auch historische Postkarten, Pläne, Zeitungsseiten und Ähn-liches zählen dazu.

Die Sammlung umfasst derzeit eine Reihe von Schriftstücken, die zusammen gestapelt eine Länge von zwei Kilometern ergeben würde. 50 Zentimeter davon betroffen die Hexenprozesse.


Im Stadtarchiv besteht dabei
die Möglichkeit, selbst zu historischen Themen oder der eigenen Familiengeschichte zu recherchieren.

Notwendig ist aber meist eine Vorsichtung durch Archivmitarbeiter. Am besten nehmen Interessierte daher per E-Mail Kontakt auf: stadtarchiv@stadt.buxtehude.de. Weitere Infos gibt es auch im Internet: www.buxtehude.de/Stadtarchiv

Die neue Leiterin des Buxtehuder Stadtarchivs Eva Drechsler vor den großen Archivschränken, wo Dokumente und Akten lagern, die bis ins Jahr 1320 reichen
Die neue Leiterin des Buxtehuder Stadtarchivs Eva Drechsler vor den großen Archivschränken, wo Dokumente und Akten lagern, die bis ins Jahr 1320 reichen © HA | Axel Tiedemann