Stade/Winsen. Pöbeleien, Beleidigungen, Drohungen: Attacken auf Rettungskräfte und Polizisten nehmen zu. Forderung: Keine Toleranz für Gewalttäter!
In Stade werden Feuerwehrleute in einem Brennpunktviertel von Anwohnern mit Silvesterraketen beschossen, angegriffen und übel beschimpft; in Buxtehude packt ein Gaffer während eines Einsatzes einen Feuerwehrmann, der ihn zur Seite bitten wollte, und wirft ihn zu Boden; in Buchholz hetzt eine Frau ihre Hunde auf Polizeibeamte, die einen Ehestreit schlichten wollen und dabei von ihrem renitenten Gatten im zertrümmertem Mobiliar attackiert und ins Gesicht geschlagen werden; auf einer Kreisstraße zwischen Stade und Drochtersen verursacht eine Pkw-Fahrerin einen Unfall, ihr verletzter und alkoholisierter Beifahrer will sich von Sanitätern nicht helfen lassen und geht stattdessen unvermittelt auf Polizeibeamte los: Szenen, die man eher in der Großstadt vermuten würde. Doch sie ereigneten sich alle – und noch einige mehr – in den ersten Wochen des Jahres im Landkreis Stade und wenige Tage zuvor im Harburger Umland.
Beleidigungen und sogar körperliche Gewalt gegen uniformierte Einsatzkräfte scheint längst auch ins Umland geschwappt zu sein und nimmt dort offenbar zu. Für den Stader Landrat Michael Roesberg war das jetzt Anlass genug, Führungskräfte von Polizei, Staatsanwaltschaft, Feuerwehr und Rettungsdiensten aus dem Kreis an einen Tisch zu holen, um angesichts der vielen Vorfälle gleich zu Beginn des Jahres entsprechende Reaktionen zu besprechen: „Das nimmt langsam Überhand, diese Respektlosigkeit gegenüber Uniformträgern ist unerträglich“, sagte er im Anschluss.
Mit dem Treffen wolle man jetzt zeigen, dass man im Landkreis etwas dagegen setzen wolle. Konkret nannte er die konsequente und zügige Strafverfolgung - auch schon bei Beleidigungen. So geht die Polizei schon länger gegen solche Vorfälle vor, berichtete der Leiter der Polizeiinspektion Stade Torsten Oestmann. „Bei Beleidigungen fängt es an“, so Oestmann, der auch Zahlen nannte: So habe es im Landkreis 2014 noch 116 Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte gegeben, im vergangenen Jahr lag die Zahl der Statistik zufolge schon bei 147 Fällen.
Wobei Angriffe gegen andere Einsatzkräfte oft gar nicht statistisch erfasst werden. Für Feuerwehrleute und Sanitäter ist das Phänomen offenbar auch noch recht neu. „Noch im letzten Jahr hätte ich gesagt, so etwas gibt es nicht bei uns - das hat sich nun geändert, nun hat das eine neue Dimension erreicht“, sagte Kreisbrandmeister Peter Winter.
Vertreter von Rettungsorganisationen berichteten während des Stader Treffens ebenfalls über vermehrte Angriffe und Beleidigungen. Auch bei Unfällen, wenn die Straßen gesperrt werden müssten, zeige sich manche Autofahrer auf beleidigende Art uneinsichtig. Zu bestimmten Adressen fahre man nur noch in Begleitung eines Streifenwagens, so berichtete ein Rettungsdienst-Vertreter. Andere erwähnten, dass die Mitarbeiter mittlerweile Selbstverteidigungskurse absolvieren würden. „In den 90er-Jahren war das alles noch kein Thema“, so Heiko Drägerhof vom Malteser Hilfsdienst.
Dass der Respekt gegenüber Einsatzkräften in Uniform und insbesondere gegenüber Polizeibeamten kontinuierlich sinkt, ist im Landkreis Harburg zu beobachten. „Wir verzeichnen seit Jahren eine Zunahme der Gewaltbereitschaft gegen Einsatzkräfte“, sagt Polizeihauptkommissar Jan Krüger, der Sprecher der Polizeiinspektion Harburg dem Abendblatt.
Allein 88 Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte im Landkreis Harburg wurden im Jahr 2017 verzeichnet – darunter Widerstand bei Amtshandlungen und tätliche Angriffe gegen Vollzugsbeamte. Die Übergänge von der Beleidigung bis hin zur einfachen Körperverletzung sind fließend. Wie bei allen Gewaltdelikten spielt Alkohol bei der Täterschaft eine Rolle.
So standen in 56 Fällen die Beschuldigten unter Alkoholeinfluss. Tendenziell sei für 2018 mit ähnlichen Zahlen zu rechnen wie im Vorjahr, so der Kommissar. Die Frage danach, worauf der schleichende Autoritätsverlust der Polizei zurückzuführen ist, ließ er offen.
Auch Frauen an Übergriffen auf Polizisten beteiligt
An den Übergriffen sind sowohl Männer als auch Frauen beteiligt. So wurden etwa Beamte des Kommissariats Seevetal Ende Dezember von einer Meckelfelderin (60) zu Hilfe gerufen, da sie eine Auseinandersetzung mit ihrer Lebensgefährtin (51) hatte. Als die Polizisten eintrafen, zeigte sich die alkoholisierte Lebensgefährtin weiterhin aggressiv
Einem Platzverweis wollte sie nicht nachkommen. Als sie daraufhin in Gewahrsam genommen wurde, leistete sie Widerstand und beleidigte die Polizisten fortwährend. Ergebnis: mehrere Strafverfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Verbindung mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung.
Damit darf sich auch ein stark alkoholisierter Fahrgast (38) herumschlagen, der in der Vorweihnachtszeit einen 40 Jahre alten Taxifahrer zwischen Horst und Ramelsloh plötzlich von hinten am Hals packte. Der Taxifahrer verlor die Kontrolle über das Auto und ging voll in die Eisen. Der Fahrgast schleuderte gegen die Windschutzscheibe, verletzte sich leicht. Als ihn die Polizisten mit auf die Wache nehmen wollten, wehrte er sich tatkräftig nach allen Regeln der Kunst.
Nicht immer sind die Täter wie in diesem Fall bekannt. Oberstaatsanwalt Hartmut Nitz appellierte auf der Veranstaltung in Stade deshalb an die Bürger, sich bei solchen Vorfällen als Zeugen zur Verfügung zu stellen, damit die Täter konsequent verfolgt und bestraft werden könnten. Auch bei verbalen Attacken drohten bereits heftige Geldbußen.
Bestimmte Tätergruppen gebe es nicht, versicherten die Beteiligten des Treffens. „Es ist einfach ein gesellschaftlicher Wandel da, und die Vorfälle gehen von allen Gruppen aus, vielleicht eine Frage der Erziehung“, sagte Landrat Roesberg. Ein gewichtiger Grund für den Verlust an Respekt seien aber vermutlich die so genannten sozialen Medien. Angriffe würden gefilmt und ins Netz gestellt, man brüste sich regelrecht damit, so Roesberg.
Die nun verabredeten Maßnahmen könnten da allerdings nur eine Abschreckung bringen. „Einen gesellschaftlichen Wandel schaffen sie nicht“, glaubt der Landrat. Das müsse an anderer Stelle geschehen.