Kreis Harburg . Das Museum hat sich einen Haustyp gesichert, der vielen Familien in den 1960er-Jahren das Wohnen im Grünen ermöglichte.
Vorhang auf: Das Freilichtmuseum am Kiekeberg hat am Donnerstag das zweite Haus präsentiert, das künftig als Teil der Königsberger Straße in das Museum gebracht werden soll. Es ist ein Fertighaus vom ehemaligen Versandhaus Quelle, dessen genauen Standort das Museum vorerst nicht nennen will. „Es steht auf einem Grundstück im Landkreis Harburg und soll im Juni in einem Stück nach Ehestorf transportiert werden“, sagte Museumsdirektor Stefan Zimmermann.
Mit sechs Häusern auf der Königsberger Straße will das Museum, bundesweit einmalig, die Nachkriegszeit 1949 bis 1970 lebendig werden lassen. „Schon das Projekt wirkt sich positiv auf das Image des Landkreises aus. Es erregt bundesweit Aufmerksamkeit. Immer mehr Menschen wissen, wo der Kiekeberg ist“, sagt Landrat Rainer Rempe.
Nach einer bereits von Stade nach Ehestorf versetzten Tankstelle geht es jetzt um einen Wohnhaustyp, der in den 1960er-Jahren einen Boom erlebte. Er steht damit für eine Epoche im Landkreis, während der viel gebaut wurde und gleichzeitig die Preise stiegen. „In dieser Phase entdeckten die Versandhäuser die Nische für Fertighäuser und warben damit, aus dem Katalog zu bestellen. Danach sollte man einfach drei Wochen in den Urlaub fahren und dann in das fertige Haus einziehen“, berichtet Zimmermann. Die Wonnen des glücklichen Wohnens zeigte die 2,6 Millionen Mal verteilte Quelle-Fertighaus-Fibel auf, die die Kunden gleich mit erhielten.
Ganz so einfach war der Bau dann aber doch nicht. Denn die Käufer mussten Keller und Fundament selbst herrichten, bevor das Haus, getragen von einer Stahlkonstruktion, aufgesetzt werden konnte. Der Häusertyp wurde nach scharfer Kritik von den Baubehörden, die sich über die Flachdächer als Schuhkartons mokierten, rasch mit einem Satteldach ausgestattet. Der Typ passte jedoch zum Wunsch vieler Familien nach einem erschwinglichen Haus im Grünen. Sie nahmen dafür das Pendeln nach Hamburg in Kauf. Immerhin waren von den 140.000 Einwohnern in den 1960er-Jahren täglich 25.000 zu ihren Arbeitstellen unterwegs, 19.000 davon in die Hansestadt.
Zwar wurden die Fertighäuser bundesweit kein Verkaufshit, erreichten in den einzelnen Regionen nie mehr als einen Anteil von zehn Prozent aller Wohnbauten und wurden im Katalog bei Quelle nach dem Tod des Gründers Gustav Schickedanz rasch nicht mehr angeboten. Doch zuvor hatte Quelle pro Jahr bundesweit immerhin 600 Stück verkauft.
Das jetzt vorgestellte Haus war eines von 34 Musterhäusern. Es stand nach dem Bau 1966 noch zwei Jahre leer. Dann stieg ein Ehepaar mit drei Söhnen ein, das den Neubau für 100.000 D-Mark erwarb. Die Ehefrau war gebürtige Hamburgerin. Sie wollte jedoch den Kindern zuliebe in einem Haus mit Garten wohnen. In Hamburg wäre eine solche Adresse für das Paar damals unerschwinglich gewesen.
Von der zweiten Generation hat das Freilichtmuseum jetzt das Haus samt Inventar erworben. Derzeit läuft die Ausschreibung für den Abtransport des 40 Tonnen schweren Hauses auf einem Tieflader ins Freilichtmuseum. Bis Ende April soll die gesamte Einrichtung gesichtet, dokumentiert und für den Wechsel vorbereitet sein.
Der Typ 110 D bietet 110 Quadratmeter Wohnfläche auf einer Etage. Das „D“ steht für das Satteldach, das böse Erinnerungen der Nachkriegsdeutschen an Baracken und Wohnungsnot nach dem Krieg gar nicht erste aufkommen lassen sollte.
Prägend und damals neu waren die bis zum Boden reichenden Fenster sowie die gläsernen Schiebetüren an der Seite zur Terrasse. Das Wohnzimmer lag zentral mit angrenzender Küche, die Schlaf- und Kinderzimmer außen. Unter der Stahlkonstruktion ließ sich noch eine Garage unterbringen. Die Außenwände waren jedoch nur 10,5 Zentimeter dick und aus Press-Spanplatten mit Mineralfaserkern und einer Aluminiumblechhaut.
Für das Freilichtmuseum gilt das Quelle-Fertighaus als „Schatz.“ Hintergrund: Die Inhaber haben die ursprüngliche Konstruktion nur behutsam verändert. Die Gestaltung des Gartens und die Einrichtung von 1979 blieben weitgehend erhalten. Ähnlich wie bei den Brüdern Mehrtens in Stade, denen die Tankstelle gehörte, waren die Inhaber bereit, das Haus ins Museum zu geben.
Allein beim Wechsel des Fertighauses nach Ehetorf wird es 2019 nicht bleiben. Im Frühjahr steht das Richtfest für das Siedlungsdoppelhaus an. Es wird nach Vorbildern aus dem Kreis rekonstruiert und moderne Ausstellungsräume erhalten. Ende des Jahres, spätestens Anfang 2020 soll ein Flüchtlingssiedlungshaus ins Museum kommen. An Sonntagen sind Baustellen-Führungen geplant. „Unsere Tankstelle“, kündigt Kiekeberg-Chef Zimmermann an, „wollen wir bereits im Spätherbst eröffnen.“
Rekordergebnis: Knapp 245.000 Besucher
Das Freilichtmuseum am Kiekberg hat 2018 mit knapp 245.000 Besuchern das bisher beste Ergebnis erzielt. Der Zuwachs ergibt sich auch aus der im Mai eröffneten Museumsstellmacherei Langenrehm.
Ins Haupthaus des Museums nach Ehestorf kamen 218.805 Menschen. Das entspricht dem zweitbesten Ergebnis nach 2016, als 220.000 Gäste kamen.
Der Förderverein des Museums hat derzeit 13.500 Mitglieder, wie der Vorsitzende Heiner Schönecke am Donnerstag sagte. Bis zum Jahresende könnte die Zahl auf 14.000 steigen. Vorsitzender der Trägerstiftung des Museums ist Klaus-Wilfried Kienert.