Harburg . Brandbrief, mit dem die Geburtsklinik-Chefin und drei Oberärzte kündigten, schlug Wellen. Grundlos, meint der Geschäftsführer.
Die Gesundheitsbehörde bittet zu einem aufklärenden Gespräch, der Präsident der Hamburger Ärztekammer und Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Pedram Emami, äußert öffentlich Sorge um die Zustände an der Stader Straße, Schwangere und werdende Mütter scheinen zunehmend verunsichert darüber, was sie in der Helios Mariahilf Klinik erwartet, wenn sie dort entbinden. Der Brandbrief, den die scheidende Chefärztin der Geburtsklinik, Dr. Maike Manz gemeinsam mit drei Oberärzten, die ebenfalls gekündigt haben und zwei weiteren Oberärzten, die zunächst in der Klinik bleiben, aufgesetzt hatte, schlägt stadtweit hohe Wellen.
Was ist dran an der darin formulierten Befürchtung, auf der Station könne kurzfristig die medizinische Versorgung gefährdet sein, weil die Organisationsstruktur eine solche nicht zulasse und der Umgang mit Mitarbeitern so schlecht sei? „Nichts“ – sagen zumindest Klinik-Geschäftsführer Phillip Fröschle und der Ärztliche Direktor Dr. Christopher Wenck. Das Abendblatt traf sie zum Gespräch.
„Ich bin wirklich überrascht, dass das alles so gekommen ist. Und dass Frau Dr. Manz und die drei Oberärzte gekündigt haben“, sagt Fröschle. „Weil sich aus meiner Sicht kein richtiger Punkt ergibt, der das erklären könnte. Wir haben die ganze Geschichte noch einmal aufgerollt und Zahlen zusammen getragen. Bis dahin hatten wir sehr konstruktiv mit Frau Dr. Manz zusammengearbeitet. Und vieles in ihrem Sinne verändert.“
So sei beispielsweise seit 2017, als Dr. Manz ihre Stelle an der Klinik angetreten hatte, immer ein Oberarzt auf der Geburtenstation. Das habe, so Fröschle, nicht jede Klinik. Auch habe man ihr kein Personal weggenommen. Im Gegenteil. Die summierte Zahl der Vollzeitkräfte in der Gynäkologie und Geburtshilfe sei von 15 auf 23 erhöht worden – auch, um die Ideen von Dr. Manz umsetzen zu können.
Die Aufstockung fällt indes auch in jene Zeit, in der die Asklepios-Klinik Harburg ihre Geburtenstation schloss, weil der politische Wille eine Konzentration der Kliniken auf Kerngebiete vorgab. Seitdem haben werdende Mütter keine Auswahlmöglichkeit mehr, wenn sie ihr Kind in räumlicher Nähe zur Welt bringen wollen. Jährlich kommen seitdem etwa 300 Kinder mehr in der Mariahilf-Klinik zur Welt.
Der Brandbrief der Ärzte, der auch der Gesundheitsbehörde mittlerweile vorliegt, enthalte aus seiner Sicht „nichts Stichhaltiges“, so Fröschle. So könne an der technischen Ausrüstung kaum etwas zu bemängeln sein. „Das Haus ist schließlich brandneu“, sagt Fröschle. „Allerdings“, so der Geschäftsführer weiter, „gibt es eine Veränderung aus dem vergangenen Jahr, die in Abstimmung mit dem Betriebsrat umgesetzt worden sei. Dabei handelt es sich um eine technische Dienstplan-Umstellung. Ursprünglich waren nächtliche Bereitschaftsdienste immer sofort zur Auszahlung gekommen.
Das hatte aber den Nachteil, dass sie im Gesamtsaldo der monatlichen Stunden nicht mehr auftauchten. Der Betriebsrat forderte nun, dass die Übersicht der echten Monatsstunden gewährleistet sein müsse. Seitdem kommen die Nachtdienste mit auf das Stundenkonto – und somit später zur Auszahlung. Das geht konform mit dem Tarifvertrag und den Vorgaben des Marburger Bundes, war aber vorher so nicht umgesetzt worden.“
Christopher Wenck erklärt: „Auf der Geburtsstation ist immer ein Oberarzt vor Ort, weil Geburten natürlich weniger planbar sind als beispielsweise chirurgische Eingriffe, die ja einen gewissen Vorlauf haben.“ Deshalb seien Nachtdienste verpflichtend. Das sei auch unkritisch, so Fröschle. Dies sei neben anderen Dingen, die Manz selbst umgesetzt haben wollte, der einzige Punkt, der sich überhaupt auf der Station verändert habe, sagt Fröschle. „Ich kann also weder die Kündigung noch die aktuelle Diskussion verstehen.“
„Die Babylotsen machen einen guten und wichtigen Job“
Nicht korrekt sei, so Fröschle, dass in den zurückliegenden Monaten acht Hebammen das Haus verlassen hätten. Es seien nur zwei gewesen. Bei gut 30 Hebammen in der Klinik sei dies ein normaler Vorgang. Und die Stellen seien nachbesetzt worden. Auch der Vorwurf, die bewährten Babylotsen, die Eltern zum Beispiel bei Behördengängen und Organisatorischem helfen, seien vom Flur der Geburtsstation quasi verbannt worden, sei absurd, so Fröschle.
Ihm sei unverständlich, wie es zu der Behauptung gekommen sei, dass Klinik-Pflegekräfte keinen Kontakt mehr zu den Babylotsen suchen sollten. Er sei persönlich überzeugt davon, dass die Babylotsen einen guten Job machen, so Fröschle. „Sie sind sehr wichtig, vor allem hier im Hamburger Süden. Sie haben ein eigenes Büro auf der Station. Es gibt eine Dienstanweisung an das Pflegepersonal, sich mit den Babylotsen abzustimmen, damit die Hilfe die richtigen Familien erreicht.“
Der These, Dr. Manz sei gegangen, weil ihm, Fröschle, nicht gefallen habe, dass die Medizinerin die Kaiserschnittrate gesenkt und somit für geringere Einnahmen gesorgt habe, tritt der Geschäftsführer vehement entgegen. In medizinische Entscheidungen mische er sich als Betriebswirt und Bänker ganz sicher nicht ein. Frau Dr. Manz vertrete die Auffassung, dass eine Kaiserschnittrate von rund 25 Prozent die richtige sei. Da habe sie seitens der Ärztlichen Direktion und der Geschäftsführung die volle Rückendeckung. Zur Folge habe dies, dass die Zahl der Wunschkaiserschnitte reduziert worden sei.
Im übrigen sei es richtig, dass ein Kaiserschnitt der Klinik mehr Geld einbringe, als eine natürliche Entbindung, so Fröschle. Aber: Es würden auch deutlich mehr Ressourcen benötigt. „Natürlich bekommen wir beim Kaiserschnitt mehr Erlös. Aber wir haben auch die ganzen Kosten dahinter. OP, Anästhesie etc., die den Mehrerlös kompensieren. Also kann es mir als Betriebswirt gleich sein, ob die Quote 28 oder 25 Prozent ist. das entscheidet Frau Manz und niemand sonst.“
Christoph Wenck sagt: „Nicht nur hier ist die Medizin eine Art Heilige Kuh. Solange sie gute Medizin machen, wird auch die Klinik funktionieren. Sobald sie schlechte Medizin machen, wird auch jedes Geschäftsführungsmodell scheitern. Wir können nur mit guter Qualität existieren. Gerade in Hamburg, wo jeder die Alternative hat, wenn er zehn Minuten länger mit dem Auto fährt.“ Man habe, so ergänzt Fröschle, ja gerade die Geburtsmedizin in der Mariahilf-Klinik zuletzt auch öffentlich angepriesen und befördert: „Weil wir darauf stolz sind.“
Wie aber ist zu erklären, dass sich zum Beispiel der Chef der Hamburger Ärztekammer besorgt über die Situation zeigt, dass die Ärztin und Grünen-Abgeordnete Gudrun Schittek Anfragen an den Senat stellt – und dass sich neben positiven Beurteilungen auch eine Vielzahl von teils vernichtenden Kritiken auf Bewertungsportalen im Internet findet? Fröschle: „Die Äußerung von Herrn Dr. Emami kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben uns bei allen Entscheidungen mit dem Marburger Bund abgestimmt. Da gibt es kein Thema.“ Auch mit Frau Schittek habe es nie einen Kontakt gegeben.
Fröschle: „Die Fakten, die Stellenpläne, sprechen eine andere Sprache als die Kritik.“ Kritik im Internet, so Fröschle, würde man offen begegnen: „Wir versuchen, mit allen Menschen, die Kritik äußern, zu sprechen.“ Ein Großteil der Kritik beziehe sich auf die Situation in der Notaufnahme, so Fröschle. Hier gebe es zum Teil lange Wartezeiten. Die seien auch in Zukunft nicht zu vermeiden – vor allem bei Patienten mit leichteren Erkrankungen oder Verletzungen. Doch seien Umbauten und neue Strukturen geplant.
Eine deutliche Sprache spricht allerdings auch die Rubrik „Stellenangebote“ der Klinik. Nicht weniger als neun Ärzte und ebenfalls neun Mitarbeiter des medizinischen Personals werden akut gesucht. Eine beachtliche Zahl für eine im Vergleich eher kleine Klinik (siehe Info unten).
Legen die Zahlen eine hohe Fluktuation nahe, offenbaren sie gar ein Problem, Personal nach Harburg zu locken? Fröschle erklärt die Zahlen so: „Den Bedarf an medizinischem Personal haben wir durchaus regelhaft. In der Branche passiert einfach viel. Zudem haben wir viele Schwangere, die teilweise nur in Teilzeit wiederkommen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir im Gesamthaus sehr gut aufgestellt. Und wir sind optimistisch, die Stellen in der Geburtshilfe, die jetzt im ersten Halbjahr frei werden, zeitnah wieder zu besetzen. Derzeit würde ich gern mehr Pflegekräfte einstellen.“ Wenck ergänzt: „Bis auf ganz wenige Krankenhäuser suchen alle Personal. In ländlichen Regionen wird dies besonders deutlich.“
Er gehe davon aus, dass die Ärzte, die nun gekündigt haben, ihre Verträge erfüllen und die Stellen schnell besetzt werden. Dass auch zwei Ärzte, die das Krankenhaus nicht verlassen wollen, den Brandbrief der scheidenden Kollegen mit unterschrieben haben, könne er sich derzeit nicht erklären, so Fröschle. Dazu habe es Gespräche gegeben, deren Inhalt aber intern bleiben sollte.
Im Jahr 1900 gegründet – Das ist Mariahilf
Die Helios Mariahilf Klinik an der Stader Straße ist mehr als 100 Jahre alt. Im Jahr 1900 war sie von Ordensschwestern gegründet worden, nachdem der Harburger Pastor Johannes Meyer von der Gemeinde St. Maria das Haus Albertstraße Nr.19 in der Absicht, dort eine Abordnung der Kongregation „Barmherzige Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul“ anzusiedeln, gekauft hatte. Am 22. Mai 1900 traf General-Oberin Schwester Beda mit drei Schwestern in Harburg ein. Vom Bahnhof abgeholt wurden sie mit dem Vierspänner.
Während des Ersten Weltkrieges wurde die Klinik zu einem Lazarett umfunktioniert. Die Wiederaufnahme des Regelbetriebes war mit hohen Neuinvestitionen verbunden. 1946 kaufte das Mariahilf die Villa des Fabrikanten H.C. Meyer, inmitten des malerischen Parks.
Derzeit hat die Klinik 183 Betten für Patienten in der Grund- und Regelversorgung. 2015 wurde der jüngste Neubau eingeweiht. Derzeit hat die Klinik laut Geschäftsführer rund 450 Mitarbeiter, davon rund 80 Ärzte, 100 Pflegekräfte und 36 Hebammen.