Harburg. Die Zukunft des Kirchengebäudes an der Neuen Straße ist ungewiss – und damit auch die der wertvollen Relikte des historischen Inventars

Das Schicksal der Dreifaltigkeitskirche an der Neuen Straße war eigentlich am 21. November 1944 besiegelt: Ein Bombenangriff legte das Gotteshaus in Schutt und Asche. Kunstliebhaber durchsuchten die Trümmer nach Überresten des Inventars, versuchten zu retten, was zu retten war. In der neuen, 1962/63 hinter den Ruinen errichteten Kirche steht ein Teil der geretteten Relikte, andere verwahrt das Stadtmuseum Harburg. Nun ist auch die Zukunft der neuen Kirche nicht mehr sicher – was wird aus ihren Schätzen?

„Die Dreifaltigkeitskirche ist weiterhin eine Kirche, sie ist nicht entwidmet“, betont Sabine Kaiser-Reis, Pastorin der St. Trinitatisgemeinde. Diese entstand 2006 aus der Fusion der beiden Kirchengemeinden Dreifaltigkeit und St. Johannis und hat ihren Hauptsitz an der St. Johanniskirche, Bremer Straße 9. Derzeit ist das denkmalgeschützte Kirchenschiff an der Neuen Straße dem Kulturprojekt „3falt“ anhand gegeben. Es testet bis Ende Februar, inwieweit sich die Kirche als Kulturraum eignet (das Abendblatt berichtete). „Erst dann wird entschieden, ob es Sinn macht, die Kirche zu entwidmen“, sagt Kaiser-Reis.

Die Ev.-Luth. Dreifaltigkeitskirche in Harburg findet keinen Käufer
Die Ev.-Luth. Dreifaltigkeitskirche in Harburg findet keinen Käufer © HA / Mark Sandten | Ha

Über die Entwidmung entscheidet die Landeskirche

Und selbst dann gebe es verschiedene Szenarien, wie mit dem Gebäudeensemble umgegangen werde – bishin zum Abriss und anderweitigen Nutzung des zentral gelegenen Grundstücks. Dies sei letztlich Sache der Landeskirche, die auch über eine eventuelle Entwidmung entscheiden würde, so Kaiser-Reis: „Die Gemeinde kann dies beantragen, wenn es eine klare alternative Nutzungsoption gibt. Der Antrag ginge an den Kirchenkreis, der ihn an die Landeskirche weiterleitet.“ Diese würde im Falle einer Entwidmung darauf achten, was mit dem Inventar geschehe, so die Pastorin.

Im Altarraum der eher schlichten Kirche hängen die beiden hölzernen Barockengel „Friede“ und „Gerechtigkeit“, die damals aus den Trümmern der zerstörten Kirche geborgen und wieder aufgearbeitet wurden. Auch das Taufbecken, um 1690 von einem Bremer Bildschnitzer geschaffen, steht noch in der Kirche. An den roten Ziegelwänden sind Figuren von Christus und den vier Evangelisten angebracht, ebenso mehrere Epitaphe (Gedenkbilder für ehemalige Pastoren aus dem Barock).

Historisches Relikt der Dreifaltigkeitskirche im Besitz des Stadtmuseums Harburg: Die Viertelstundenglocke aus Bronze stammt wahrscheinlich schon aus dem 14. Jahrhundert.
Historisches Relikt der Dreifaltigkeitskirche im Besitz des Stadtmuseums Harburg: Die Viertelstundenglocke aus Bronze stammt wahrscheinlich schon aus dem 14. Jahrhundert. © Archäologisches Museum/Stadtmuseum | AMH/Stadtmuseum Harburg

Der Kronleuchter stammt aus Harburgs erster Kirche

Die wertvollsten Vertreter des Kirchenschatzes lagern jedoch im Stadtmuseum Harburg. Da wäre zunächst der zwei Meter hohe Messingkronleuchter zu nennen, der vor 1645 entstand. Damit ist er älter als die zerstörte Kirche (Baubeginn: Juni 1650). Es ist davon auszugehen, dass der Leuchter schon die alte Marienkirche erhellte. Die Vorgängerin der Dreifaltigkeitskirche stand dort, wo sich heute im Binnenhafen der Lotsekanal befindet. Die Kirche musste – unter Protest der Stadt Harburg – weichen, als das Schloss auf Beschluss der Celler Regierung (1648) zu einer sternförmigen Zitadelle ausgebaut wurde.

Der Kronleuchter hängt heute als Prunkstück im Museum an der Knoop­straße, im ersten Stock des Treppenaufgangs. „Der Leuchter war eines der ersten Objekte des gerade gegründeten Harburger Museums“, sagt Prof. Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg und des Stadtmuseums Harburg. „Er wurde uns 1905 übereignet. Im 19. Jahrhundert hatte sich die Gasbeleuchtung verbreitet, auch in den Kirchen. Sie war viel praktischer, weil man keine Kerzen mehr anzünden musste.“ Der 24 armige Leuchter blieb einige Jahre im Museum, bis sich die Dreifaltigkeitskirche ihn 1924 zurückholte und als Schmuckstück in der Kirche aufhängte. So fiel auch er dem Bombenangriff zum Opfer. Die metallenen Bruchstücke hat ein Restaurator des Helms-Museums kunstvoll aufgearbeitet. Der Kronleuchter fand seinen Platz im Museum. Jahrelang hing er im Erdgeschoss des Ausstellungsraums. Weiss: „Dann hatten wir eine archäologische Ausstellung und fanden, dass der Barockleuchter nicht zu den Neandertalern passt. Wir haben ihn hochgezogen, und seit dem hängt er im ersten Stock.“

Besonders wertvoll ist die Herzogliche Bibliothek aus der Zeit, als die Horeburg auf der heutigen Schlossinsel Herzogssitz war (1527–1642). „Sie umfasste damals 250.000 Bände, darunter alle Erstdrucke der Reformationsschriften“, erläutert Weiss. Otto, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, hatte einige Jahre in Wittenberg studiert. „Martin Luther, Philipp Melanchthon und andere Reformatoren waren mit ihm befreundet. Deshalb tragen einige Werke sogar deren Signaturen.“ Herzog Otto schenke seine Bibliothek der Kirche. Seit 1900 verwahrt das Museum den wertvollen Literaturfundus, sonst wäre er wohl im Krieg verbrannt. Heute steht eine kleine Auswahl der Bibliothek im Besprechungsraum des Museums, der große Rest ist eingelagert.

Auch zwei kunsthistorisch herausragende Objekte befinden sich im stadtgeschichtlichen Depot des Museums: ein bronzener Türklopfer in Form eines Löwenkopfes und die Viertelstundenglocke, die den Harburgern schon im 14. Jahrhundert den zeitlichen Rhythmus angab. Die kleine ebenfalls bronzene Glocke, die 1944 nur in Bruchstücken geborgen werden konnte, wurde wieder aufgearbeitet. Vermutlich 1374 gegossen, ist sie Hamburgs älteste Glocke. Die Harburger konnten sie retten, als alle Glocken der Dreifaltigkeitskirche 1942 zur Herstellung von Munition eingeschmolzen werden sollten. Die beiden größeren Kirchenglocken wurden beschlagnahmt. Doch sie überlebten und wurden 1947 der Gemeinde zurückgegeben. Heute stehen sie im nördlichen Innenhof der Kirche.

Einen Steinwurf entfernt wurde das Westportal der einstigen Kirche, der letzte Rest der Kriegsruine, zum Mahnmal. Über dem Türbogen thronte bis vor gut einem Jahr die Christusfigur, ein vom Brand geschwärzter, sandsteinerner Torso, der Teil des Kunstpfads Harburg war. „Wir mussten ihn entfernen und einlagern, da er am Westportal nicht mehr sicher zu befestigen war“, sagt Pastorin Sabine Kaiser-Reis. Das Portal sei „in Bewegung“ und müsse saniert werden. „Das ist jedoch teuer – die hohen Kosten kann die Trinitatisgemeinde nicht aufbringen.“