Harburg. Bezirks-Randlagen werden vom aktuellen Tarifsystem benachteiligt, sagt Fraktions-Chef Jürgen Heimath. Behörde winkt ab.
Das aktuelle Tarifsystem des HVV ist im Wesentlichen entfernungsbedingt aufgebaut. Das soll der Gerechtigkeit dienen – wird aber nicht von jedem als gerecht empfunden. Vor allem nicht von denen, die gezwungen sind, häufig lange Entfernungen zu bewältigen. Die Harburger SPD fordert deshalb ein flexibleres, auf die Bezirke zugeschnittenes Preismodell für den Nahverkehr – und blitzt damit bei der Wirtschaftsbehörde ab. Fraktionschef Jürgen Heimath möchte die Angelegenheit aber nicht zu den Akten legen. Er will, dass ein „Bezirksticket“ eingeführt wird.
Die messbare Strecke zwischen Start und Ziel einer Fahrt sei etwas anderes, als die vom Fahrgast empfundene Entfernung, sagt Heimath. „Gerade auf mittleren Distanzen, wie zum Beispiel der bei Fahrt zwischen Neugraben und Harburg, wird die Fahrt von den Fahrgästen subjektiv im Nahbereich verortet.“ Dass hier eine Entfernung oberhalb der Tarifweite von 9 km vorliegt, spiele für die Erreichbarkeit des nächstgelegenen Bezirkszentrums eine untergeordnete Rolle.
Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheine, erweise sich deshalb bei genauerer Betrachtung als eben nicht sinnvoll, so Heimath. So profitierten Bewohner von zentralen und infrastrukturell gut versorgten Regionen wie der City und auch der Bezirkszentren von günstigen Tarifen über die Tarife „Kurzstrecke“ oder „Nahbereich“. „Dadurch werden ihnen Anreize gegeben, vom ökologisch sinnvolleren Fuß- oder Radverkehr auf den ÖPNV umzusteigen“, so Heimath.
Andererseits würden in den Randlagen, wo die Wege zu den Bezirkszentren länger sind, höhere Tarife abgerechnet. „So liegt die Strecke von Neugraben zum Bezirkszentrum Harburg im Gültigkeitsbereich des City-Tickets zu 3,30 Euro – und damit im Preis höher, als beispielsweise eine Fahrt von Meckelfeld, die 2,40 Euro kostet, obwohl Meckelfeld gar nicht in Hamburg liegt. Das würde, so Heimath, wiederum zu einem Ausstieg aus dem ÖPNV und vermehrten Nutzung privater Kraftfahrzeuge führen. Heimath: „Auch dies ist ein ökologisch nicht gewünschter Effekt. Es erfolgt von beiden Seiten eine Verschiebung des Verkehrsmittelsplits zu Gunsten ökologisch schlechterer Verkehrsmittel.“
Schon im Oktober hatte die SPD deshalb einen Antrag in die Bezirksversammlung eingebracht und gefordert, dass sich Harburg in Hamburg für ein anderes Tarifmodell einsetzen solle. „Das Modell soll die Lebensrealität der Bewohnerinnen und Bewohner Hamburgs aufgreifen und ebenso ökologische Faktoren einbeziehen“, heißt es im Antragstext. „Die Erreichbarkeit des nächstgelegenen Bezirkszentrum im Tarif Nahbereich soll gewährleistet sein.“
Im Hamburger Umland ist das durchaus üblich: „Die Tarifzonen berücksichtigen außerhalb des Bereichs „Hamburg AB“ weitestgehend Stadt- und Gemeindegrenzen. Sie werden für die Preisbemessung von Zeitkarten und außerhalb des Bereichs Hamburg AB auch von Einzelkarten verwendet“, heißt es auf der Homepage des Hamburger Verkehrsverbundes.
Dass das in Hamburg nicht sinnvoll ist, ergibt sich aus dem Status der Stadt als Einheitsgemeinde. Das Gebiet ist schlicht zu groß. Die bestehenden Tarifzonen stammen allerdings aus einer Zeit, in der man fast alles noch wohnortnah erledigen konnte. Das hat sich geändert. Viele Behördengänge, aber auch Facharztbesuche oder der Gang ins Kaufhaus können nur noch in den Bezirkszentren erfolgen. „Die alleinige Orientierung an Entfernungen ist weder ökologisch noch sozial sinnvoll und sollte um weitere Kriterien ergänzt werden“, sagt Jürgen Heimath.
Die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation hält nichts von einer solchen Neuordnung des Tarifsystems: „Das HVV-Tarifmodell berücksichtigt bereits mehrere angesprochene Faktoren“, heißt es in der Stellungnahme der Behörde zum SPD-Antrag. „So ist es nicht nur wirtschaftlich sondern auch ökologisch sinnvoll, wenn ein Preis sich an Entfernungen orientiert. Denn längere Strecken bedeuten auch einen höheren Ressourcenverbrauch.“
Diese Einlassung der Behörde kann Jürgen Heimath nicht nachvollziehen: „Das können sich die Leute doch meistens nicht aussuchen!“, sagt er. „Wer aus Fischbek zum Standesamt muss oder aus Heimfeld zum Jobcenter, muss diesen langen Weg fahren! Und die einzige Sport-Schwimmhalle im Bezirk ist in Neugraben. Weitläufige Bezirke sind benachteiligt. Das betrifft ja nicht nur Harburg, sondern auch einige andere Bezirke. Wir halten ein bezirksorientiertes Tarifmodell für sinnvoll.“
HVV-Sprecher Rainer Vohl sieht das skeptisch: „Die Entscheidung für eine bestimmte Tarifstruktur fällt immer im Spannungsfeld zwischen Gerechtigkeit und Einfachheit: Ein System mit sehr wenigen Tarifgrenzen und Preisstufen ist sehr übersichtlich und verständlich. Es ist aber auch weniger gerecht, denn die Preise können nur sehr eingeschränkt abgestuft werden. Letztlich ist das HVV-Tarifsystem ein Kompromiss, der sich bewährt hat.“