Buxtehude. Mit „Kirchen-Kabarett“ hat der Buxtehuder viel Erfolg. Doch nun tritt er kürzer. Wieso – das erzählt er im Abendblatt.

Matthias Schlicht ist nicht nur Theologe, sondern auch Genussmensch – klar. Als Treffpunkt zum Interview schlägt er ein Weinhaus in der Buxtehuder Altstadt vor. Das passt, irgendwie: Als „Nichtexperte für edle Tropfen“, bezeichnete er sich schon einmal selbstironisch, seine Auswahl für einen geradlinigen Grauburgunder lässt mehr erahnen. Man erinnert sich dann gern an eine seiner Kurzgeschichten aus dem Alltag eines Pastors: Zu einer Weinverkostung ist er da eingeladen, doch der sehr vornehme Gastgeber möchte zunächst über die Farbe des Weines philosophieren. „Naja, gesunder Mittelstrahlurin würde ich sagen“, entfuhr es dem damals noch jungen Theologen.

Ganz im Sinne Luthers, über den er promoviert hat, liebt Schlicht eben das kräftige, deutliche Wort. Aber auch ein Glas Wein, das gemeinsame Essen mit Freunden, das Kochen in der eigenen Küche. Und er mag die Bühne: Schlicht ist zunächst Pastor in der St.-Paulus-Gemeinde in Buxtehude, landauf, landab tingelt er aber auch seit Jahren schon als Kabarett-Pastor durch die Republik, wurde in Talkshows eingeladen, schrieb humorvolle Bücher. Kirche und Kabarett – das ist sozusagen sein Alleinstellungsmerkmal, die Predigt wird da auch einmal zum Kabarett, das Kabarett zur Predigt. Aber immer mit einem Augenzwinkern erzählt.

„Ich hole die Leute in ihrem Alltag ab “, sagt Schlicht, dem an seinen Sonntagspredigten gut 220 Menschen zuhören. Vielleicht ist es gerade diese Verbindung aus Humor und Religion, aus Seelentrost und Alltagsgeschichten, die vielen heute eher den Zugang zur Kirche schafft. „Ich und mein Kollege sind zwar Pastoren, aber nie pastoral“, sagt Schlicht, der eher eine philosophische Sicht auf die Dinge pflegt. Philosophie, Religion und Naturwissenschaften – das seien doch Schubladen des Denkens, die sich irgendwann im Hintergrund wieder treffen, sagt er.

Doch diese Kombination aus geistvollem Witz und witzig Geistlichem zehrt auch, wenn man älter wird, sagt der 1961 geborene Theologe. Der Blutdruck war zuletzt höher als er sollte. Nachts habe er nicht schlafen können, plante Termine, organisierte den Gemeindealltag. „Man glaubt gar nicht, in wieviel Gremien man als Pastor sitzen muss“, sagt Schlicht. Dann aber erlebte er dreimal hintereinander, wie er Gemeindeglieder beerdigen musste, die jünger als er selbst waren. „Das geht dir nahe, jeder denkt doch: die sterben – das sind die anderen“, sagt Schlicht, der mit einer Lehrerin verheiratet und Vater von drei Kindern ist.

„Glaubenspfeffer“ heißt eines der erfolgreichen Bücher von Matthias Schlicht.
„Glaubenspfeffer“ heißt eines der erfolgreichen Bücher von Matthias Schlicht. © HA | Axel Tiedemann

100-Prozent-Pastor und 100-Prozent-Kabarett, beides zusammen, das geht nicht mehr, beschloss er also jetzt. In der Paulus-Gemeinde hört er nun zum März auf und übernimmt in Stade eine 50-Prozent-Stelle als Vertretungspastor und springt ein, wenn ein Kollege ausfällt. Und auch die Kabarett-Tourneen sollen eingedampft werden, sagt Schlicht, dem das durchaus schwer fallen dürfte: Denn der Auftritt vor Publikum ist für ihn eindeutig die längere Erfahrung, während der Weg zum Theologen zunächst holprig war.

Seine ersten Erfahrungen mit Pastoren seien eben „ziemlich blöde“ gewesen, erzählt Schlicht, der als einziges Kind eines Kranführers und einer Hausfrau in Jesteburg aufgewachsen ist. Mutter und Oma pflegten zwar eine „Grundfrömmigkeit“, aber nie im Sinne der Amtskirche. Und beim seltenen Kirchgang zu Weihnachten hätte sie sich von einem strengen Pastoren anhören müssen, wie verwerflich diese seltenen Kirchgänge seien. „Meiner Mutter liefen Tränen über die Wangen“, erinnert er. Nein, mit so einer Kirche wollte Schlicht nichts zu tun haben. Erst später, über einen Buchholzer Jugendpastor wurde er mit der Kirche versöhnt, nahm an Jugendfreizeiten teil und war fasziniert, wie man mit diesem Theologen über alles reden konnte.

Schlicht engagierte sich mehr und mehr, pflegte aber auch weiter sein schauspielerisches Talent am Schülertheater des Gymnasiums Buchholz. Und dann, im Theologie-Studium in Hamburg, begann so die zweite Karriere als Kirchen-Kabarettist. Vor studentischem Publikum nahm er Professoren aufs Korn. Immer häufiger wurde der angehende Pastor zu Auftritten gebucht, auch später als er junger Pastor in Bardowick geworden war.

Schließlich wurde die damalige Bischöfin Margot Käßmann auf diesen wortgewandten Pastoren aufmerksam. Er sei der ideale Kandidat, um junge Pastoren als Studiendirektor im Kloster Loccum auszubilden, befand sie. Ein gewagter Schritt, denn Schlicht galt mit seiner scharfen Zunge nicht gerade als sehr konformer Theologe. „Wir haben uns für das erste Gespräch in einem Schwulencafé getroffen, damit uns niemand von der Amtskirche sieht“, erinnert sich Schlicht, der später diesen Hang zu ungewöhnlichen Orten für seine Predigten noch ausbaute, nachdem er 2011 seine Stelle in Buxtehude angetreten hatten. Beim Zahnarzt, beim Frisör und natürlich im Wein-Bistro hielt er schon seine Predigten.

Immer wieder greift er dabei auf die eigene Geschichte zurück. Etwa auf die Kinder- und Jugenderinnerungen der 60er- und 70er-Jahre: „Erinnert sich jemand noch an die alten Drehscheiben-Telefone“, ruft er dann in die Gemeinde, die sich zum Konfirmationsgottesdienst versammelt hat. Schon hat er die älteren Zuhören in seinem Bann. Dann schlägt er den Bogen zur heutigen Handygeneration und nimmt das Telefon als Vergleich, wie man Verbindungen aufrecht erhält.

Wenn man schließlich aber niemanden erreicht, sei da eben noch ein Gott. Und dann, in die nachdenkliche Stille hinein, erzählt er wieder von den ersten Telefon-Erinnerungen. Seine Oma habe zunächst gemeint, ein Telefon brauchen nur der Bürgermeister, der Polizist und der Pastor im Dorf. „Für den Bürgermeister war ich zu dumm, für den Polizisten zu klein...“, ruft Schlicht dann. Und blickt wieder in vergnügte Gesichter. Ein Pastor der Spaß macht. In jeder Beziehung.

Matthias Schlicht in seiner Küche, Kochen ist eine weitere Leidenschaft des Buxtehuder Pastors.
Matthias Schlicht in seiner Küche, Kochen ist eine weitere Leidenschaft des Buxtehuder Pastors. © HA | Privat