Eißendorf . Serie Die Fitmacher: Der Harburger Kampfsportclub Bushido bietet Judo bereits für Vierjährige an. Die Kleinen sind voll dabei.

Ordnung muss sein, auch bei den Kleinsten. In einer Reihe, der Größe nach geordnet, knien die Kinder Trainer Raimund Geerdts gegenüber. „Mukso!“, sagt der, und nach einer kurzen Phase, in der die Kleinen tatsächlich mucksmäuschenstill saßen: „Re!“

Kinder und Trainer verbeugen sich voreinander. Kurz danach ist von der Ordnung der Meditationsübung nur noch wenig zu sehen. Beim Fangen­spielen laufen sich die Kleinen warm, ohne dass dabei die Langeweile der Hallenrunden aufkommt. Langeweile ist hier nämlich verpönt: Die kleinen Judoka der „Mäusegruppe“ im Kampfsportclub (KSC) Bushido sind vier und fünf Jahre alt. Wäre das Training langweilig, würden sie nicht wiederkommen.

Kleinkinderjudo ist in Deutschland nichts wirklich Neues, aber trotzdem eine Seltenheit. Dass es in Harburg gleich zwei Judo-Angebote für die jüngste Zielgruppe gibt – auch der Harburger Turnerbund bietet Judospiele für Kleinkinder und Eltern – ist deshalb etwas Besonderes.

„Viele Vereine scheuen den Aufwand, eine Trainingsgruppe für Kleinkinder aufzubauen“, sagt Geerdts. „Man muss ja aktiv um die kleinen Sportler werben, denn von allein kommen viele Eltern nicht auf die Idee, dass Judo etwas für Kleinkinder ist.“

Dabei gehört Judo zu der Handvoll Sportarten, die von Wissenschaftlern speziell für das Kleinkindalter empfohlen werden. Beim Kinderjudo werden die Stütz- und Haltemuskulatur gestärkt und grundlegende koordinative und konditionelle Fähigkeiten geschult. Wichtig ist es dabei aber, die Kleinsten noch keinem Leistungs- oder Wettbewerbsdruck auszusetzen. „Wenn wir im Training Kämpfe üben, erfolgt das deshalb immer spielerisch“, sagt Geerdts.

Wie dreht man den Partner auf den Rücken? Raimund Geerdts erklärt es den Kleinsten.
Wie dreht man den Partner auf den Rücken? Raimund Geerdts erklärt es den Kleinsten. © xl | Lars Hansen

Dass Judo Kleinkinder begeistern kann, hat Raimund Geerdts zu Hause erlebt. In der Familie Geerdts dreht fast alles um den Kampfsport: Auch seine Partnerin Bianca Geerdts ist eine erfahrene und begeisterte Judoka, außerdem ehemalige Deutsche Meisterin. Über den Sport kamen die Geerdts’ zusammen. Ihre drei Kinder fingen – zunächst zu Hause – auch schon früh mit Judo an. „Das hat mich ein wenig ermutigt, diese Gruppe aufzumachen“, sagt Raimund Geerdts. „Es gab auch bereits Interesse bei Eltern, die schon ältere Kinder in der späteren Trainingsgruppe haben.“

Das Fangenspiel ist vorbei, die Kinder gehörig aus der Puste. Jetzt folgt eine Konzentrationsphase. Geerdts erklärt den Kleinen den Haltegriff Kesa Gatame. Judo für Kinder besteht aus Haltetechniken und Würfen. Hebeln und Würgen darf erst im Jugendlichen-Alter vermittelt werden. Aber auch Halten – inklusive Befreiungstechniken – und Werfen setzt oft komplexe Bewegungen voraus. „Deshalb nehmen wir in dieser Gruppe nur die einfachen Techniken und gehen spielerisch heran“, sagt Geerdts.

Nach der Haltegriff-Lektion wird das Tempo wieder gesteigert: Fallübungen stehen auf dem Programm. Für viele Eltern ist dies einer der größten Pluspunkte der Sportart: Sitzen die grundsätzlichen Fallübungen erst einmal, vergisst man sie nie wieder. Auch im Alltag außerhalb der Matte sinkt darum die Verletzungsgefahr.

So langsam, merkt Trainer Geerdts, haben die Kleinen wieder Hummeln im Hintern. Die nächste Runde Fangenspielen ist angesagt.

Eine der Grundtechniken im Bodenkampf: Der Haltegriff Kesa Gatame.
Eine der Grundtechniken im Bodenkampf: Der Haltegriff Kesa Gatame. © xl | Lars Hansen

Neben der Matte sitzt André Musso selbst Breitensport-Judoka in der KSC-Erwachsenengruppe und Vater zweier Judo-Kinder. Eine davon ist die kleine Mara aus der Mäusegruppe. „Ich finde es gut, dass die Kleinen hier Körperbeherrschung und auch schon ein bisschen Selbstdisziplin lernen“, sagt er. „Mit meinem älteren Sohn war ich in einer Eltern-Kind-Judo-Gruppe. Das war auch sehr gut, vor allem, weil es mich wieder zum Judo brachte. Andererseits ist jedesmal das Training für meinen Sohn ausgefallen, wenn es mir selbst mal nicht gut ging.“

Nach der Tobepause ist wieder Konzentration gefragt. Noch einmal steht Boden auf dem Programm: Wie drehe ich meinen Trainingspartner aus der Bauchlage so um, dass er auf dem Rücken liegt? Nur dann zählen Haltegriffe nämlich als Haltegriffe.

Geerdts zeigt den Kleinen, wie man unter dem Trainingspartner hindurchfasst, den gegenüberliegenden Ellenbogen greift, zu sich heranzieht und gleichzeitig den Partner mit der Schulter herumschiebt. Dabei ermahnt er auch die Liegenden, nicht allzu sperrig zu sein. „Das Training besteht aus gegenseitigem Helfen“, sagt er. „Deshalb haben wir im Training auch keine Gegner, sondern Partner. Das ist einer der Judo-Werte und es ist jedem Judotrainer wichtig, das auch zu vermitteln.“

Raimund Geerdts selbst lebt seit 40 Jahren nach den Judo-Prinzipien. „Ich habe mit fünf Jahren angefangen“, sagt der ehemalige Bundesliga-Kämpfer, „und die Werte des Judo haben mir seitdem in jeder Lebenslage geholfen. Das will ich auch den Kleinen vermitteln.“

Das Training endet mit dem nächsten Fangenspiel. Die Anspannung aus der Konzentrationsphase muss gelöst werden. Danach wird abgegrüßt – mucksmäuschenstill.

Die Ursprünge des Judo

Judo wurde in den 1880er-Jahren von dem japanischen Gymnasiallehrer Jigoro Kano (1860 – 1938) aus verschiedenen Schulen des Ju-Jitsu – den waffenlosen Kampftechniken der Samurai – entwickelt. Kano selbst hatte diese Kampfsportschulen besucht, da er als Jugendlicher von schwacher Konstitution und Angriffen Gleichaltriger ausgesetzt war. Er wollte die positiven Effekte des Trainings an seine Schüler weitervermitteln.

Kano unternahm Vortragsreisen nach Europa und Amerika . Bei der Deutschen Post war man so begeistert von seinem System, dass Judo Pflichtsport für die Briefträger wurde. Viele deutsche Judovereine gehen auf Postsport­vereine zurück.

In Harburg bieten der KSC Bushido, der Harburger Turnerbund , die FSV Harburg-Rönneburg und die Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft Judo an. Im Landkreis Harburg bieten es der TVV Neu Wulmstorf, Blau-Weiss Buchholz, Hansa-SV Stöckte, die TS Westerhof, der Todtglüsinger SV, MTV Pattensen, MTV Ramelsloh und der SV Holm-Seppensen an.

Kleinkinderjudo gibt es nur beim KSC Bushido und beim HTB.