Die Tierärztin Anna Rötting hat in einem alten Bauernhaus in Nindorf eine moderne Anlaufstelle mit Notaufnahme ins Leben gerufen.
Alte Eichen, Kopfsteinpflaster und ein typisch niedersächsisches Bauernhaus: Die Hofstelle am Buursod 3 im Herzen Nindorfs steht unter Denkmalschutz und wirkt ausgesprochen idyllisch. Als sei die Zeit hier stehen geblieben. Der Schein trügt. Das alte Anwesen beherbergt eine moderne Pferdeklinik. Hier wird mit Hightech-Ausstattung, großem Fachwissen und viel Liebe zum Tier Krankheit geheilt und Leid gelindert.
Pferdegesundheit ist seit zwei Jahrzehnten Dr. Anna Röttings Profession und seit Kindesbeinen ihre Passion. Schon als kleines Mädchen wollte die Hamburger Deern Tierärztin werden. Sie studierte in Hannover, promovierte in Berlin, bildete sich in Pferdekliniken in Kansas und Illinois zur Spezialistin für Chirurgie und Orthopädie weiter. Ihr Forschungsgebiet sind Kolikerkrankungen. Mit ihren Qualifikationen dürfte sie in allen europäischen Ländern und den USA arbeiten. Will sie aber nicht. „Ich bin hier zu Hause. Ich liebe die norddeutsche Landschaft.“
Nindorf bei Hanstedt ist nicht nur schön, sondern für ein Pferdekrankenhaus auch perfekt gelegen. Die Autobahnabfahrt ist nah, es gibt viele Rösser in und um die Lüneburger Heide – Reit- und Springpferde, Kutschpferde, Ponys und Esel. Behandelt wird alles, was vier Hufe hat. Die Konkurrenz ist fern: Die nächsten Kliniken liegen in Hannover, Bargteheide und Sottrum bei Bremen. Deshalb hatte Anne Rötting auch keine Finanzierungsprobleme. „Wenn das Konzept stimmt, geben die Banken auch Kredit.“ Zwei Millionen Euro hat die 48-Jährige in die Realisierung ihres Traums gesteckt. Schon jetzt ist klar: Die Investition zahlt sich aus. Knapp 700 Patienten haben Anna Rötting und ihr Team seit Eröffnung Mitte Februar behandelt. Das Spektrum ist breit gefächert und reicht von ersten Untersuchungen vor dem Kauf eines Pferds bis zur Zahnmedizin.
Gerade steht ein Dunkelbrauner in der Notaufnahme. Aus seiner Nüster hängt ein Schlauch, den Assistenztierärztin Alexe Düx vorsichtig hin und her bewegt, während zwei tiermedizinische Fachangestellte den Kopf des sedierten Tieres halten. Alle drei verfolgen auf einem Monitor die Kamerabilder, die das Endoskop liefert. Das Pferd kann keine Nahrung schlucken und es gilt, herauszufinden, wo die Ursache für die Schlundverstopfung liegt. Bald ist klar, dass dem Tier mit Medikamenten und Suppe geholfen werden kann.
Das rustikale Ambiente wirkt beruhigend auf die Tiere
Zunächst einmal geht es aber zur Beobachtung in die Intensivbox. Der Beutel mit dem Tropf hängt an einer Schnur von dicken Deckenbalken. Denn das Herzstück der Klinik liegt im Stallteil des Hauses. Anna Rötting hat das Gebäude, das vermutlich aus der Zeit um 1850 stammt, nur behutsam renoviert. Wegen des Denkmalschutzes, aber auch aus eigener Überzeugung. Das rustikale Ambiente wirke beruhigend auf die vierbeinigen Patienten und ihre Besitzer, sagt sie.
Die Pferde betreten die Klinik durch das große Scheunentor. Die Tenne dahinter beherbergt Notaufnahme und Operationssaal, die Stallungen wurden zu Intensivboxen, die Knechtkammern zu Labor und Hygieneraum, der Stallkeller zum Materiallager. Anna Rötting, die im Wohntrakt nebenan lebt, aber auch die diensthabenden Kollegen, denen während ihres nächtlichen Bereitschaftsdienstes Ruheräume unter dem Dach zur Verfügung stehen, können nach den frisch eingelieferten Patienten sehen, ohne einen Fuß aus dem Haus setzen zu müssen.
Weiterer Vorteil: Die häufigen Visiten stören die genesenden Pferde nicht, die hinter dem Sandplatz zum Longieren in einem neu errichteten Stallgebäude stehen. Im kommenden Sommer sollen kleine Ausläufe im Freien dazu kommen. Neben der 7500 Quadratmeter großen Hoffläche gehören 8,7 Hektar Wiese zum Anwesen, die der Heuproduktion dienen. Durchschnittlich bleiben die Tiere drei bis vier Tage in der Pferdeklinik. „Rehamaßnahmen führen wir hier nicht durch“, erläutert Anna Rötting.
Das Krankenhaus ist an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr geöffnet. Die Auslastung sei sehr gut, aber am Limit arbeite man noch nicht. „Gott sei Dank. Wäre ja schlimm, wenn die neue Klinik schon im ersten Jahr zu klein würde.“ Allerdings werden in einer historischen Scheune gerade weitere Behandlungsräume errichtet – unter weitgehendem Erhalt der alten Bausubstanz, versteht sich. Auch das Team, das momentan aus 15 Frauen und zwei Männern besteht, wird mittelfristig erweitert werden müssen. Vor allem um einen Chirurgen. Derzeit ist Anna Rötting selbst die einzige Operateurin. Das bedeutet weitgehende Bindung an den Hof. Nur in Ausnahmefällen wird sie durch einen Kollegen vertreten, in dessen großer Praxis sie selbst zur Unterstützung dreimal monatlich das Skalpell führt.
Wie viele Stunden sie wöchentlich arbeitet, weiß sie nicht zu sagen. Privatleben und Beruf sind für die Tierärztin untrennbar mit einander verflochten. Sie lebt nicht nur in der Klinik, sondern auch für sie. „Es macht einfach Spaß, Tiermedizin so zu gestalten, wie ich es möchte und die ganze Bandbreite abzudecken. , sagt Anna Rötting.