Harburg. Politik und Kulturschaffende wollen die Likör- und Spirituosenfabrik im Binnenhafen erhalten. Doch es fehlen umsetzungsfähige Konzepte.
Was soll aus der alten Likörfabrik Hilke am Karnapp werden? Seit den 1990er Jahren verfällt das Gebäude. Das Denkmalschutzamt verbietet den Abriss, der Besitzer verweigert die Sanierung. Binnenhafenfreunde, wie die Geschichtswerkstatt Harburg oder die Stadtplanerin Birgit Caumanns sind empört: „Hier verfällt ein Kulturschatz“, sagt Caumanns, „da muss etwas geschehen!“
Von vorne macht das Gebäudeensemble nichts Besonderes her: Zwei dreigeschossige Häuser mit stehenden Fenstern, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts in Harburg zuhauf gebaut wurden. Lediglich die Klinkerfassade hebt sie von den ansonsten mehrheitlich verputzten Häusern der Zeit ab. Haus Nummer 15 hat es allerdings hinter der Fassade schon in sich: Hier lagen früher die Kontor- und Verkaufsräume der Fabrik. Die Denkmalschützer verzeichnen hier Stuck-Ornamente, Vertäfelungen und zum Teil altes erhaltenswertes Mobiliar. Haus Nummer 15 wurde 1859 vom damaligen Fabrikanten Heinrich Osterhoff errichtet. Über den Geschäftsräumen wohnten er und seine Familie.
Haus Nummer 16 wurde 1899 von Louis Hilke in Auftrag gegeben, der die Fabrik 1893 von Osterhoff gekauft hatte. Es ist ein reines Wohnhaus.
Im Hinterhof dieser beiden Häuser liegt, was die Denkmalschützerherzen nun wirklich höher schlagen lässt: Die eigentliche Fabrik mit der Brennerei und darüber hinaus mehreren Produktions-und Lagergebäuden. Sie wurde bereits 1836 gebaut und ist damit eines der ältesten noch bestehenden Harburger Industriegebäude.
Bis 1985 wurde hier noch gebrannt, verschnitten, aufgesetzt und gemischt. Mittlerweile hatte Louis Hilke die Fabrik an die Familie Berg weitergegeben, die den gut eingeführten Markennamen „Hilke“ für ihre Produkte jedoch beibehielt. Heute hält die Rum Albrecht GmbH aus Bad Bevensen die Rechte an der Harburger Traditionsmarke.
Nach dem Ende der Produktion wollten die Brüder Berg die Fabrik loswerden und wandten sich an ihren Nachbarn, Dachdeckermeisterr Thomas Hoppe. „Ich habe mir die Häuser dann zusammen mit einem Experten angesehen“, erinnert sich Hoppe, „und kam zu dem Schluss, dass die Sanierungskosten wegen des Schwamm-Befalls so hoch wären, dass ich den Preis, den die Bergs aufriefen, nicht zahlen konnte.“
Die Berg-Brüder drängten aber weiter, mit immer niedrigeren Forderungen. Schließlich kam man überein, dass das Geschäft für einen symbolischen Preis von 1000 DM abgeschlossen würde. „Um Notar und Grundbuch sollten sich die Bergs kümmern und ich fing mit ersten Sanierungsarbeiten an“, sagt Hoppe. „Der Plan war, in der Wintersaison richtig loszulegen und so meine Gesellen in Beschäftigung zu halten.“
In der Zwischenzeit war dem Grundbuchamt der niedrige Kaufpreis aufgefallen und die Bergs bekamen einen Fragenkatalog zugeschickt, mit dem die Stadt herausfinden wollte, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Bergs brachten das Schreiben zu ihrem Anwalt. Der riet den Bergs, auf Rückabwicklung des Kaufvertrags zu klagen. Der Prozess ging bis zum Bundesverwaltungsgericht. Hoppe verlor.
Schließlich wurde Arne Weber Besitzer des Grundstücks. Er beabsichtigte, die Fabrik und die Vorderhäuser abzureißen, wurde aber vom Denkmalschutzamt gestoppt. Seitdem ist wenig passiert. Lediglich das Dach wurde neu abgedichtet. Einen Planungsvorstoß zur denkmalgerechten Sanierung hat Arne Weber seit dem Kauf gemacht: Die alten Gebäude sollten in ein „Center of Green Technologies“ integriert werden. Das wurde hier jedoch nicht verwirklicht.
Es herrscht große Einigkeit in der Harburger Bezirkspolitik und bei Kulturverantwortlichen, dass die alte Fabrik erhalten bleiben soll. Allein in den letzten drei Jahren gab es drei Anträge in der Bezirksversammlung, das Fabrikensemble zu retten, an dem der Schwamm immer weiter nagt.
Doch zu einer konkreten Umsetzung kommen aus der Politik wenig Vorschläge. Rainer Maria Weiss, Direktor des Stadtmuseums Harburg, ist da konkreter: „Den hinteren Teil muss man auf alle Fälle im Original erhalten. Das ist ein Kleinod! Eventuell kann man hier eine aktive Museumsbrennerei einrichten, wie es im Kiekeberg eine gab“, sagt er. „Vorne müsste das Kontor restauriert werden. Ansonsten könnte man in den Vorderhäusern auch wieder Wohnungen einrichten.“
Wie man die Hinterhäuser erhalten könnte, haben vor zehn Jahren die Hamburger Architekten Ingrid Spengler und Manfred Wiescholek im IBA-Buch „Denkmalwelt Harburger Binnenhafen“ vorgeschlagen: Eine Art Glaskasten sollte den gesamten hinteren Bereich einhausen: „Die Dächer der Schuppen können entfernt und durch ein Industriedach vor Witterungseinflüssen so geschützt werden, dass Häuser und Gassen überdeckt und durch senkrechte Verglasungen als Aufenthaltsbereich tauglich gemacht werden.
Auf diese Weise bleibt das Ensemble lesbar und kann in den Obergeschossen gewerblich und im Erdgeschoss für Gastronomie genutzt werden, ohne die Kleinarchitekturen durch Anpassung an energetische Standards zu überformen“, schreiben die Fachleute.
Boom ab 1845
1836 war Nicolaus Heinrich Osterhoff mit seiner Likörfabrik einer der Industriepioniere im bis dahin kaufmännisch und handwerklich geprägten Harburg. Erst mit dem Ausbau des Binnenhafens ab 1845 begann Harburgs Industrie zu boomen. Vor allem Kautschuk und Ölsaaten wurden (und werden) hier verarbeitet.