Der Abendblatt-Adventskalender: Menschen, die Türen öffnen. Heute: Seelsorger Jürgen Pommerien
Es gibt diesen Moment im Leben, an dem Sätze wie diese nicht mehr greifen: „Mach’ dir keine Sorgen. Das wird schon wieder.“ Momente, in denen das Leben einem Menschen schonungslos zeigt, dass es endlich ist. Dann ist Jürgen Pommerien da, ein Begleiter in schweren Stunden.
Jürgen Pommerien ist Seelsorger. Seit 2003 kümmert er sich im Dienst der Krankenhäuser Buchholz und Winsen auf Intensiv- und Palliativstationen um Menschen, die schwer erkrankt sind und jene, die einen nahestehenden Menschen verlieren werden oder bereits verloren haben. „Ich gehe auf die Menschen zu und bin erst einmal da. Ich laufe nicht weg — auch wenn es noch so schwierig ist“, sagt der 63-Jährige.
Es sind Fälle wie diese, als eine junge Frau in der 39. Schwangerschaftswoche ihre ungeborene Tochter verliert, obwohl die Schwangerschaft so gut verlaufen ist. Als Jürgen Pommerien bei der Visite am Morgen der Totgeburt davon erfährt, macht er sich auf den Weg zu der betroffenen Mutter. Er setzt sich zu ihr ans Bett und hört zu. „Reden befreit“, sagt er. „Im Miteinander bewältigen wir die schlimmsten Schicksalsschläge.“
Es gibt Patienten, die seinen Besuch erbitten. Und solche, zu denen er ungefragt geht, weil er weiß, dass er gebraucht wird. Seine erste Frage lautet: „Wie geht es Ihnen?“ Es ist eine einfache Frage, die Dämme brechen lässt und Raum gibt für ehrliche Antworten. Jürgen Pommerien muss Wahrheiten aushalten, die oft den engsten Angehörigen nie zu Ohren kommen. Schonungslose Ehrlichkeit. Grenzenlose Verzweiflung. „Eine Krankheit ist eine gemeine Hinterrücksaktion“, sagt der studierte Theologe und ehemalige Pastor. „Da dringt plötzlich etwas in mich hinein, dass ich nicht steuern kann. Der Mensch kann Autos bauen, Computer zusammenschrauben, er kann Flugzeuge steuern und Kinder gebären. Aber wenn er schwer erkrankt, ist er plötzlich vollkommen machtlos.“
Pommerien selbst hat Situationen der Ohnmacht erleben müssen. Als er mit acht Jahren von der Schule kam und der Nachbar tot auf der Treppe lag. Er hat erleben müssen, wie sein Elternhaus brannte. Und hätte mit 23 Jahren seinen Vater beinahe an einem Schlaganfall verloren. „Ich hielt ihn in meinem Arm und konnte nichts tun“, sagt er.
Auch als Seelsorger kann Pommerien keine Zaubersalbe aus der Tasche ziehen. Aber er kann den Kranken zeigen, dass sie in ihrer Würde bleiben, in ihrem Anspruch auf Respekt und Wahrnehmung als ganzer Mensch. Und er kann ihnen vermitteln, dass es weiter geht. Dass es nicht nur Schatten gibt. Und der Erkrankte noch Boden unter den Füßen hat. „Du hast noch Lebensraum“, sagt er dann. „Gestalte ihn!“ Als Seelsorger versucht er, den Betroffenen vom Druck der Überforderung zu befreien. „Indem ich zuhöre, öffne ich Türen.“ Gleichzeitig aber gewinnt auch er Raum, neue Einsichten und Erkenntnisse. „Ich habe einen wunderbaren Beruf“, sagt er. „Ich darf den Menschen sehen, entdecken und ich darf neugierig sein. Das Schönste aber ist, ich lerne. Bei jeder Begegnung öffnen sich auch mir neue Türen.“