Harburg . Ein Jahr nach den Großkontrollen in der Seehafenstraße: Einiges hat sich verbessert – aber Vieles liegt nach wie vor im Argen.
Max Dede
Es war eine der spektakulärsten Großrazzien in Harburg der vergangenen Zeit: Vor gut einem Jahr kontrollierten rund 100 Behördenmitarbeiter der Polizei, Sozialbehörde, des Harburger Bezirksamtes, der HPA und des Mietervereins zwei Wohnhäuser in der Seehafenstraße (wir berichteten). Was sie dort frühmorgens um 6 Uhr entdeckten, sprengte ihre Vorstellungskraft: Zwischen Kakerlaken, Ratten und Unrat lebten 162 Menschen – eingepfercht auf engstem Raum. Vor allem arme Familien mit Kindern ausländischer Herkunft wohnten in den völlig verwahrlosten und verdreckten fünfstöckigen Altbauten. Und das zu horrenden Mieten. Die Miete zahlte die Stadt.
Angesichts der dramatischen Hygienemängel und der unhaltbaren Zustände bot die Behörde den Bewohnern an, in Wohnunterkünfte umzuziehen. 30 Menschen nahmen das Angebot sofort an. Doch was ist seitdem in der Seehafenstraße passiert? Wie hat sich die Situation in den Häusern 7 und 9 entwickelt? Eine Bestandsaufnahme.
Im Erdgeschoss von Haus 7 steht Kioskbesitzer Muhammet Kabacik hinterm Tresen. „Seit Mai dieses Jahres steht das Haus komplett leer“, erzählt der Geschäftsmann. Er betreibt den kleinen Laden seit fünf Jahren. Er ist der Einzige, der noch da ist. Die Geschäfte mit den wenigen verbliebenen Bewohnern in Haus Nummer 9 laufen „ziemlich schlecht“, sagt er. „Ich muss in drei, vier Monaten auch raus“, sagt der Kioskbesitzer und zeigt auf den rückwärtigen Teil seines winzigen Ladens: „Das da wird ein Notausgang.“ Was der Kioskbesitzer macht, wenn er geht, weiß er heute noch nicht.
Der äußere Zustand der Häuser 7 bis 9 ist auch ein Jahr nach der Razzia in einem erbarmungswürdigen Zustand. Wie sieht es drinnen aus? „Es ist besser geworden“, sagt Andrea Marior aus Rumänien, die mit ihrem Mann und zwei Kindern in einer Wohnung im Obergeschoss wohnt. Sie zeigt uns das Treppenhaus. „Wir haben im Sommer das Treppenhaus gestrichen. Farbe gab es“, sagt sie in gebrochenem Deutsch. Im Dezember sollen die Bewohner nochmals Wandfarbe bekommen. Dann soll alles renoviert werden. Das habe ihnen der Hausmeister gesagt. „Etwa 40 Leute leben hier heute nur noch. In zehn Wohnungen. Fast alles Rumänen. Es ist alles sehr gut“, beteuert die Frau.
Schaut man genau hin, bemerkt man jedoch, dass nicht wirklich alles „sehr gut“ ist: In einer Ecke stapeln sich Autoreifen, Unrat wurde in die Abseiten gequetscht. Es sind Löcher in den Wänden, Kabel hängen lose von der Wand. Schilder, die verbieten, im Treppenhaus Wäsche zu trocknen und Kinderwagen zu parken, werden ignoriert. Die Fußböden geben an einigen Stellen bedenklich nach, die Briefkastenlage ist defekt.
All das scheint hier niemanden wirklich zu stören. „Es ist alles in Ordnung. Vieles ist besser geworden“, sagt Serban (18), der seit einem Jahr mit der Familie im Obergeschoss wohnt. Eine junge Frau lässt uns in ihrer Wohnung und zeigt uns einen immensen Wasserschaden an der Decke. Sie hat sich notgedrungen daran gewöhnt. Die Leute von der Seehafenstraße sind anscheinend froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben.
Die Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration hat die Ergebnisse der Razzia in der Seehafenstraße vom 5. September 2017 ausgewertet. Die „Aktionstage“, wie es im Amtsdeutsch heißt, hätten ihre Wirkung nicht verfehlt. „Die FHH wird in dem Vorhaben bestätigt, die sogenannten ,Aktionstage’ weiter fortzuführen“, teilte der Pressesprecher der Sozialbehörde Marcel Schweitzer dem Abendblatt mit. „Schwierige Wohnverhältnisse und ausbeuterische Strukturen werden unter anderem damit erfolgreich bekämpft und beseitigt.“ Ist das wirklich so? Was wurde bisher konkret unternommen? „Bauliche Mängel, Vermüllung und die Bekämpfung des Schädlingsbefalls sind von den Vermietern beseitigt bzw. vorgenommen worden“, heißt es dazu von der Behörde. Wir haben einen anderen Eindruck. Die bisherige Nutzung der Nummer 7 wurde von der zuständigen Hamburg Port Authority (HPA) untersagt. Dort sei nur noch eine „hafengewerbliche Nutzung“ zulässig. „Wohnen ist dort nicht mehr erlaubt.“
Im vergangenen Jahr sei „ein Teil der ehemaligen Bewohner mit Hilfe der zuständigen Fachstelle im Bezirksamt in städtischen Wohnunterkünften untergebracht worden“, sagt Schweitzer. Ein weiterer Teil habe sich selbst eine neue Unterkunft gesucht.
Unterdessen machen bei den verbliebenen Bewohnern in Haus Nummer 9 Gerüchte die Runde, dass sie womöglich in nächster Zeit ebenfalls aus ihren Wohnungen ausziehen sollen. Steht ein Abriss der Häuser 7, 8 und 9 bevor? „Weder der BASFI noch dem Bezirksamt sind hierzu Informationen bekannt“, betont der Behördensprecher. Baurechtlich sei dafür die HPA zuständig. Der Vermieter war für uns nicht erreichbar.
Was wird mit dem Kiosk in Haus Nummer 7 passieren? „Da es sich um ein Privatgebäude handelt, wissen wir es nicht. Aus Sicht des Harburger Bezirksamtes spricht allerdings nichts gegen eine gewerbliche Nutzung“, betont Schweitzer. Baurechtlich sei dafür allerdings die HPA zuständig.