Harburg. 1654 verewigte Caspar Merian das Stadtpanorama. Das Stadtmuseum Harburg ließ den Kupferstich digital kolorieren und zeigt ihn erstmals.

Wer Harburg nicht kennt, sieht das Panorama einer hübschen mittelalterlichen Stadt mit imposantem Schloss. Auf den ersten Blick mag dem Betrachter durch den Kopf gehen, dort einmal hinzureisen, um sich den offenbar bestens erhaltenen historischen Ort näher anzusehen. Der genauere Blick fällt jedoch auf Frachtsegler und Pferdegespanne – dieses Panoramabild ist nicht in der Gegenwart aufgenommen. Vielmehr ist es ein Abbild des 17. Jahrhunderts, das dank digitaler Technik in die Moderne geholt wurde. Die Vorlage hatte Caspar Merian im Jahr 1654 geschaffen.

„Die ursprüngliche Ansicht, ein schwarz-weißer Kupferstich, ist sicherlich vielen Harburgern bekannt“, sagt Thorsten Römer, Geschäftsführer des Archäologischen Museums Hamburg und Stadtmuseums Harburg. Das Museum plant im Gewölbekeller des noch erhaltenen Schlossflügels der ehemaligen Zitadelle – der Keimzelle Harburgs – eine Außenstelle zu errichten.

Das Panorama wird im Schlossgewölbe gezeigt

Die neue Dependance soll 2020 eröffnet werden. „Dort werden wir am historischen Ort die Frühgeschichte Harburgs präsentieren. Wir haben uns gefragt, was wir dort als besondere Attraktion zeigen können. Mein Vorstandskollege Rainer-Maria Weiss machte den Vorschlag, doch einmal zu versuchen, aus dem Kupferstich etwas Neues zu machen.“

Das Museum hat den Freien Illustrator Roland Warzecha beauftragt, in einem europaweit einmaligen Pilotprojekt die digitale Version von Merians Kupferstich so zu kolorieren, dass eine fotorealistische Ansicht entsteht. Warzecha musste jeden digitalen Punkt mit einer Farbe versehen, arbeitete wochenlang an dem einzigartigen Werk. „Wir waren vom Ergebnis so begeistert, dass wir beschlossen haben, die Panorama-Ansicht jetzt zu unserem Museums-Jubiläum der Öffentlichkeit zu präsentieren“, sagt Römer. „Wenn es damals eine Drohne gegeben hätte, dann hätte deren Aufnahme so aussehen können.“

Der Detailreichtum macht den historischen Blick vom Schwarzenberg dorthin, wo sich heute der Harburger Binnenhafen befindet, so realistisch. Das Bild enthält Schattierungen etwa auf Wiesen und Gewässern. Die Ackerfläche vorn links sieht aus, als sei sie gerade frisch gepflügt worden.

Der Himmel ist, wie in der Natur, am Horizont am hellsten. „Um so eine fotorealistische Animation zu erhalten, wird die Vorlage vektorisiert“, erläutert der Harburger Stadthistoriker Jens Brauer. „Dazu wird der Ursprung herausgearbeitet, die Linien, die Merian mit feinen Werkzeugen in die kupferne Druckplatte einarbeitete. So entsteht eine digitale Schwarz-Weiß-Zeichnung, deren Flächen neu aufgebaut werden. Dabei hat der Grafiker akribisch darauf geachtet, woher das Licht kommt.“

Die Südwand des Schlosses auf der Festungsinsel ist hell erleuchtet – offenbar zeigt das Bild den „Prospect der Statt undt Festung Harburg“, so der Titel, zur Mittagszeit. Die detailreichen Landschaftselemente stammen aus einem digitalen Archiv. Brauer: „Warzecha hat eine umfangreiche Sammlung von fotorealistischen Landschaftselementen wie Äcker, Wiesen und Wälder. Damit hat er viele Flächen bestückt.“

Im Harburg-Merian erstreckt sich die Stadt entlang der Schloßstraße in der Bildmitte (links auf der rechten Zeitungsseite) von der Schloßinsel im Norden (ganz links) bis zum alten Stadttor im Süden (ganz rechts am Fuße des Schwarzenbergs). Parallel zur Schloß

straße verläuft (unterhalb der Häuserzeilen) der stark befahrene Kaufhauskanal, auf dem Koggen und kleinere Frachtsegler festgemacht haben. Gut zu erkennen sind das alte Rathaus (auf dieser Seite ganz links, mit Turm), das Kaufhaus (großes Gebäude am Wasser) und die neu erbaute Dreifaltigkeitskirche weiter rechts im Bild.

Im Hintergrund sind die Elbe und links das mittelalterliche Hamburg auf der nördlichen Elbseite dargestellt. „Der Merian ist für uns Archäologen wie ein Blick in die Vergangenheit. Unsere Ausgrabungen der letzten Jahre, die wir in genau diesem Bereich durchgeführt haben, werden so noch einmal mit neuem Leben gefüllt“, freut sich Museumsdirektor Weiss.

Die Vorlage für Merians Kupferstich lieferte Conrad Buno. Als der gebürtige Hesse um 1650 herum vom Schwarzenberg auf die Siedlung hinabschaute und seine Skizze zeichnete, gab es in der Stadt große Baustellen (das unterscheidet sie nicht von heute). „Die Dreifaltigkeitskirche war damals noch in Bau. Buno hat sie mit einem Zwiebelturm versehen und einen fertigen Zustand gezeigt, der so gar nicht gebaut wurde“, sagt Brauer. Abgesehen von solchen kleineren Ungereimtheiten hat die zeitgenössische Momentaufnahme eine große Aussagekraft.

Zu Zeiten Merians war die Süderelbe der Hauptstrom

Sie zeige zum Beispiel die Bedeutung Harburgs als Hafenstadt, so Brauer. „Der Kaufhauskanal war so tief, dass er selbst für größere Lastschiffe, für Koggen, schiffbar war. Die Grundstücke der Kaufleute hatten eine Wasseranbindung. Noch heute sind die handtuchartigen Grundstückszuschnitte an der Schloß- und an der Blohmstraße erkennbar.“ Zu Zeiten Merians sei die Süderelbe der Hauptstrom gewesen, erläutert der Stadthistoriker. „Ein zeitgenössischer Kommentar zu dem Bild erwähnt den Hafen erstmals als Drehscheibe des Personen- und Frachtverkehrs. Auch die Postroute führte durch Harburg. Wer nach Hamburg wollte, musste hier übersetzen. Das änderte sich erst mit dem Bau der Elbbrücken.“

Das heutige Harburg zeichnet sich in dem Merian- Panorama kaum ab. Den Kaufhauskanal und andere Hafenkanäle gibt es heute noch. Auch die Schloßinsel existiert weiterhin. Aus dem Feldweg vorn rechts ist eine Harburger Hauptverkehrsader geworden: die Buxtehuder Straße (B73). Pferde und Kühe grasen heute – bis auf wenige Ausnahmen – vor den virtuellen Toren der Stadt beziehungsweise des Hamburger Bezirks.

Das Harburg-Panorama wird im Museumsshop in drei Versionen angeboten: im Format 90 x 40 Zentimeter, gedruckt auf hochwertigem Hahnemühlen-Papier für 49 Euro, als Fotoabzug auf einer Aluverbund-Platte für 169 Euro und als hochwertiger Druck hinter Acryl-Glas mit Holzrahmen für 299 Euro. Die beiden teuren Varianten haben Lieferzeiten von sieben bis zehn Werktagen; dafür erhalten Käufer das Buch über die Grabungsfunde in der Harburger Schloßstraße gratis dazu. Online kann der Merian unter shop@amh.de bestellt werden. Museum feiert sein 120-jähriges Bestehen

1898 gründete sich der „Museumsverein für den Stadt- und Landkreis Harburg“ und legte den Grundstein für das heutige Stadtmuseum Harburg und das Archäologische Museum Hamburg.

Am Wochenende 24./ 25. November wird das Museum anlässlich des Jubiläums zwei Tage der offenen Tür mit buntem Programm veranstalten.

Die Geschichte des Museums lesen Sie in der kommenden Montagsausgabe.

Die Wissenschafts-Familie Merian

Caspar Merian wurde am 13. Februar 1627 in Frankfurt am Main geboren. Er entstammt der Basler Familie Merian. Sein Vater Matthäus begründete den Frankfurter Zweig der Familie und führte im 17. Jahrhundert einen der größten europäischen Verlage.

Die Halbschwester von Caspar, Maria Sibylla Merian, ist die Begründerin der deutschen Entomologie (Insektenkunde). Nach ihr wurde ein deutsches Forschungsschiff benannt, weil sie Ende des 17. Jahrhunderts als erste Frau Forschungsreisen größeren Ausmaßes mit dem Schiff unternahm. Die „Maria S. Merian wurde 2006 in Dienst gestellt.

Das Hauptwerk von Matthäus und Caspar Merian ist die „Topographia Germaniae“. Sohn Caspar führte das Werk des Vaters fort, zusammen mit Martin Zeiller, der die Texte schrieb. Es besteht aus Kupferstich-Panoramen von deutschen Städten und Ortschaften und umfasst 1701 Abbildungen sowie Tausende von Ortsbeschreibungen. Die „Topographia Germaniae“ gilt als die bedeutendste Sammlung von Illustrationen deutscher Städte in der frühen Neuzeit.