„Die Fitmacher“: Im Marmstorfer Tanzstudio von Charlotte Grigoleit arbeiten Frauen beim Ballett an Haltung und Körpergefühl.
Montagabend, 19 Uhr. Im Marmstorfer Tanzstudio „tanzt!“ trudeln nach und nach die Frauen aus der Ballettgruppe ein. Obwohl einigen anzusehen ist, dass sie bereits einen langen Tag hinter sich haben, freuen sie sich sichtlich, nun hier zu sein. Sie lachen, tauschen Neuigkeiten aus und schlüpfen nebenbei in ihre rosé schimmernden Schläppchen.
Als die ersten leisen Töne durch den kleinen Unterrichtsraum klingen, kehrt augenblicklich Ruhe in die Körper. Konzentriert stehen sieben Frauen im Raum, jeweils eine Hand liegt leicht auf der Stange. Der Kopf schwebt scheinbar auf dem Hals, die Füße stehen fest nebeneinander, die Spitzen sind nach außen gedreht. „Plié! Und strecken! Achtet auf eure Schultern!“, ruft Jamila Franzen.“ Den großen Wandspiegel im Rücken hat sie ihre Schülerinnen im Blick. „Und jetzt: Tendu!“ Die Fußspitzen schnellen nach vorn.
Die Tanzpädagogin führt ihre Schülerinnen durch eine Abfolge, es geht darum, Beine und Fußgelenke zu dehnen und zu strecken. Arme werden leicht angewinkelt, schwenken zur Seite, nach oben und wieder runter, zugleich ziehen die Füße Halbkreise am Boden und wandern dann am Knöchel hinauf. „Gaaanz langsam, wie eine Schnecke“, erinnert Jamila Franzen an die richtige Ausführung.
Auch bei der nächsten Übung hat sie einen bildlichen Vergleich parat. Es gilt, ein Bein nach hinten zu strecken und leicht angewinkelt anzuheben. „Aber das Bein nicht nach außen kippen, sonst sieht das aus wie ein pinkelnder Hund.“
Bei der entsprechenden Bewegung nach vorn wiederum soll der Fuß so nach außen gedreht werden, dass man - „im Idealfall“ – einen Teller darauf abstellen könnte. Das könne sie aber auch nicht, bekennt die 29-Jährige freimütig. Die Frauen in ihrer Anfängergruppe vereint die Begeisterung für ein Training, das den Körper bis in seine Spitzen fordert und Haltung, Kraft und Beweglichkeit verbessert.
„Ballett ist Arbeit“, sagt die ausgebildete Bühnentänzerin Charlotte Grigoleit, die das Studio gemeinsam mit ihrer Mutter führt. „Dafür ist es super gut für den gesamten Körper und auch für den Kopf, weil beide Gehirnhälften angesprochen werden. Und es macht einfach glücklich.“ Eine wichtige Rolle spiele auch die schöne, beruhigende Musik und die besondere Ästhetik des Balletts.
Eine Altersgrenze gebe es beim Anfängerballett nicht, sagt die 28-Jährige. „Das ist ein Klischee. Es ist nie zu spät.“ Viele der älteren Schülerinnen hätten als Kinder vom Ballett geträumt, aber aus unterschiedlichen Gründen keine Chance dazu gehabt. „Natürlich wird man mit 40 keine Primaballerina mehr, aber jede Tänzerin kann für sich das Beste geben und sich verbessern.“ Trotz der zunächst schwierig erscheinenden Übungen werde der Kopf beim Ballett frei. Denn sitzen die Abfolgen erst, kann der Körper sich auf die Routine verlassen. Dann zählen die Verbesserungen im Detail. Dabei sei es egal, betont Charlotte Grigoleit, ob das selbst gesteckte Ziel nun die bessere Balance, die Dehnung bis an die Fußspitzen oder der Spagat sei.
Das Zusammenspiel aus Entspannung und Konzentration hat eine der Kursteilnehmerinnen überzeugt, sich mit Mitte 50 einen Kindheitstraum zu erfüllen und sich der Herausforderung Ballett zu stellen. „Es ist auch ein bisschen mühselig, man braucht eine gewisse Frustrationstoleranz“, sagt sie. „Und dann gibt es Momente, in denen ich spüre, was möglich ist. Dafür ist es die Arbeit wert.“ Zudem seien ihre Rückenprobleme, die sie im Alltag begleiten, beim Tanzen einfach weg.
Auch Katrin, 53 Jahre alt, wollte „schon immer“ Ballett tanzen. Sie hofft auf eine bessere Körperhaltung durch das Training - und schätzt die angenehme Atmosphäre in dem Marmstorfer Studio. Es wird viel gelacht und wenig auf die anderen Teilnehmerinnen geschielt. „Der Gedanke, dass man beim Ballett merkwürdig aussieht, verschwindet schnell wieder.“
Ines hat dagegen schon als Kind beim Balletttraining die Füße gespitzt, den Bauch angespannt und den Körper – wie an einem unsichtbaren Band – in die Höhe wachsen lassen. Das Berufsleben ließ ihr nun nur noch Zeit für einen Termin in der Woche. Sie habe sich gefragt, was ihr das Wichtigste sei, erzählt die 38-Jährige. „Und das ist ganz klar: Tanzen.“ Über Kurse in Jazz und Modern Dance, die ebenfalls in dem Studio angeboten werden, kam sie in die Ballettgruppe. „Das macht so viel Spaß und gibt mir ein gutes Körpergefühl“, sagt Ines. „Wenn ich hier tanze, habe ich das Gefühl, ich brauche gar nichts anderes mehr. Ballett macht abhängig.“
Die Tänzerinnen konzentrieren sich eine Stunde ganz auf sich
Die Musik klingt aus, die Frauen räumen die Stangen zur Seite und verteilen sich im Raum. Jetzt beginnt der zweite Teil der Trainingsstunde. Eine klassische Version des Aerosmith-Songs „I don’t want to miss a thing“ tönt aus den kleinen Lautsprechern.
Jamila Franzen führt ihre Gruppe durch eine Choreografie, die die Frauen in den vergangenen Wochen Stück für Stück eingeübt haben. Sie machen ausladende und zugleich kontrollierte Bewegungen mit Armen und Beinen, drehen sich auf Zehenspitzen und halten dabei stets ihren Kopf stabil in eine Richtung. Beim Ballett gehe es darum, in schöner Atmosphäre seine Balance zu finden, sagt die Tanzpädagogin. „Die Tänzerinnen können sich für eine Stunde ganz auf sich konzentrieren und innerlich wachsen.“ Obwohl es eine ruhige Stunde sei, werde der Körper von oben bis unten gefordert.
Die Unterrichtsstunde neigt sich dem Ende zu. Zum Abschluss heben die Frauen noch einmal ihre Arme, ziehen mit den Fußspitzen einen Halbkreis über den Boden und beenden die Bewegung mit einer sogenannten Révérance, einem leichten Knicks.
Dann weicht die disziplinierte Spannung plötzlich einem lockeren Durcheinander, es werden Haltung und Outfit bewundert und Tipps für Befestigung der Schuhbänder ausgetauscht. Nach und nach sammeln die Frauen ihre Sachen zusammen und verlassen erhobenen Hauptes den kleinen Raum. Von Müdigkeit keine Spur mehr.
Training für Kopf und Körper
Ballett fördert die Aufrichtung des Körpers, stärkt den Rumpf und stabilisiert die Wirbelsäule. Beim Training werden Arme, Beine und Fußgelenke bewegt, was sich positiv auf den Rücken auswirkt.
Das Training kann zudem den Muskelabbau verlangsamen. Da die Tänzer viel auf den Zehenspitzen stehen, werden auch Oberschenkel und Waden trainiert.
Auch für den Kopf ist Ballett gut: Da beim Üben der Choreografien beide Gehirnhälften angesprochen werden, hat das Training einen ähnlichen Effekt wie das Lösen von Kreuzworträtseln. „Es ist sogar noch besser, weil der Körper die gelernten Bewegungen gleich umsetzt“, sagt Charlotte Grigoleit.
Im Unterricht werden darüber hinaus Koordination, Beweglichkeit, Balance und Musikalität geschult. Grundsätzlich kann jeder mit Ballett beginnen, bei gesundheitlichen Problemen sollte jedoch zuvor der Trainer zurate gezogen werden.
Das Ballett-Studio „tanzt!“
Das Studio „tanzt!“ wurde 2011 von Charlotte Grigoleit und ihrer Mutter Andrea Grigoleit im Süden Hamburgs eröffnet. Die 28-Jährige hat eine Ausbildung in zeitgenössischem Bühnentanz absolviert und zudem ein Pädagogikzertifikat erworben. Der Name geht auf das Zitat der Tänzerin Pina Bausch zurück: „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!“
Mit ihrem siebenköpfigen Team bieten Mutter und Tochter 41 Kurse pro Woche an, unter anderem in den Bereichen Ballett, Modern Dance, Jazzdance, Nia, Hip-Hop, Breakdance und moderner Kindertanz.
„Tanz ist die Poesie des Fußes“ - unter diesem Motto wollen die Trainer ihre Leidenschaft für den Tanz weitergeben und den Schülern helfen, ihre Fähigkeiten zu verbessern.
Das Studio liegt am Beutnerring 9 in Marmstorf. Weitere Informationen unter der Telefonnummer 040/20 91 06 22 und im Internet auf www.tanzt-hamburg.de.