Heimfeld. Paula Faúndes Gerdts ist Hebammenschülerin an der Helios Mariahilf Klinik. Carlotta Sauer hat die 24-Jährige einen Tag begleitet.

„Unsere kleinen Wunder“ steht auf der Tafel im Eingangsbereich der Helios Mariahilf Klinik. Darunter die Namen der Neugeborenen, ihr Geburtsdatum und die genaue Uhrzeit. Drei Kinder sind an diesem Tag bereits im Krankenhaus geboren und mit der Hilfe von Hebammen auf die Welt gebracht worden. Das Helios Mariahilf ist die einzige Klinik in Harburg und dem Landkreis, die Hebammen ausbildet. Paula Faúndes Gerdts ist eine von ihnen.

Um vier Uhr klingelt Faúndes Gerdts‘ Wecker, ihre Frühschicht beginnt um sechs Uhr morgens. Es ist der letzte Tag der Hebammen-Schülerin auf der Kinderintensivstation, danach geht es für sie wieder in den Kreißsaal. Die 24-Jährige hat im September 2017 ihre dreijährige Ausbildung begonnen. Sie gehört damit zum allerersten Ausbildungsjahrgang der Mariahilf Klinik Harburg. „Als Geburtenklinik wollten wir im Gespräch bleiben“, erklärt Pflegedirektorin Antje Weiß (46) die Entscheidung, selbst auszubilden. Mitte August startete der zweite Jahrgang. Sechs junge Frauen werden nun insgesamt zur Hebamme ausgebildet.

Faúndes Gerdts ist auf Umwegen zu ihrem Berufswunsch gelangt. Nachdem sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Flugbegleiterin arbeiten kann, erinnert sie sich an das Gefühl, das sie bei der Geburt ihrer jüngeren Geschwister hatte – pure Freude. Ein Praktikum bestätigt sie in dem Wunsch, Hebamme zu werden. „Der Beruf ist eine Mischung aus Zwischenmenschlichem und medizinischem Wissen. Es macht einfach glücklich, Leben auf die Welt zu bringen“, sagt Faúndes Gerdts.

Seit Beginn ihrer Ausbildung vor einem guten Jahr hat sie über vierzig Kinder mit auf die Welt gebracht. Nach zwei Monaten Theorieunterricht, der im hauseigenen Bildungszentrum in Salzgitter stattfindet, darf Faúndes Gerdts das erste Mal in den Kreißsaal. Dort wird sie von einer erfahrenen Hebamme angeleitet und erlernt erste Handgriffe.

Dies beschreibt sie als ihr einprägsamstes Ergebnis: „Das erste Mal ein Kind mit auf die Welt zu bringen, ist etwas ganz Besonderes. Bei mir war es ein Sternengucker, also ein Kind, das bei der Geburt nach oben schaut. Auch heute bin ich oft sehr emotional und muss mit den Freudentränen kämpfen.“ Der Beruf der Hebamme, also die Betreuung der gesamten Familie vor, während und nach einer Geburt, erfordere viel Empathie.

Die erste Totgeburt erlebte Faúndes Gerdts bereits während ihres Praktikums. „In traurigen Momenten liegt der Fokus noch mehr auf der Frau. Wir sind für sie da und geben ihr die Möglichkeit, Abschied zu nehmen“, sagt Faúndes Gerdts. Allen Hebammenschülerinnen steht ein Ansprechpartner für schwierige Situationen zur Seite.

Der theoretische Teil der Ausbildung beinhaltet Hintergrundwissen zu Mutter und Kind wie Anatomie oder Pharmazie. In schriftlichen Klausuren wird das Wissen regelmäßig geprüft, das Abschlussexamen nach drei Jahren besteht unter anderem in der Anleitung einer Geburt. Geburtshelfer wäre das männliche Pendant zur Hebamme. In ganz Deutschland gibt es lediglich zwei Männer, die diese Tätigkeit ausüben.

2130 Kinder wurden 2017 im Helios Mariahilf geboren – in fünf Kreißsälen. Das waren 322 Kinder mehr als im Jahr davor. In diesem Jahr gab es schon mehr als 1770 Geburten. Auch kleine Kliniken merken den Geburtenanstieg in Deutschland und den daraus folgenden Hebammenmangel.

Auf seiner Webseite hat der Deutsche Hebammen Verband e.V. auf der „Landkarte der Unterversorgung“ vermerkt, wo Hebammen fehlen. In Harburg suchen 19 Mütter vergeblich nach einer Schwangerenvorsorge, über 100 Wochenbettbetreuungen fehlen. Allein in Buchholz suchen 138 Mütter nach Versorgung für sich und ihr Neugeborenes in den Wochen nach der Geburt.

Auf dem Land und in unmittelbarer Stadtnähe ist der Mangel besonders groß. „Sobald der Schwangerschaftstest positiv ist, sollte sich eine Mutter momentan nach einer Hebamme umhören. Dieser Stress ist nicht zumutbar, zumal es in den frühen Schwangerschaftswochen noch häufiger zum Abbruch kommen kann“, kritisiert Faúndes Gerdts.

Die 30 Hebammen der Helios Mariahilf Klinik sind fest angestellt und arbeiten im Schichtsystem. Auch wenn sie Früh- und Spätschichten haben, müssen sie – anders als freiberufliche Hebammen – nicht dauerhaft telefonisch erreichbar sein, falls eine Geburt losgeht. Das Problem aller pflegerischen Berufe sieht sie in der Frage: „Wie bezahlt man Verantwortung?“. Die Antwort darauf ist noch nicht gefunden.

Aber die Helios Klinik hat reagiert. Im zweiten Ausbildungsjahrgang gibt es die Möglichkeit, die Ausbildung dual abzuschließen. Das heißt, neben der praktischen Ausbildung besuchen die Hebammenanwärterinnen eine Universität. Das letzte vierte Jahr studieren sie ausschließlich. Für den Bachelor of Science-Studiengang ist die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife Voraussetzung, für die reguläre Ausbildung mindestens ein Realschulabschluss. Zwei der drei Auszubildenden des derzeitigen ersten Jahrgangs haben sich zu diesem Modell entschieden.

„Im vergangenen Jahr hat eine Auszubildende abgebrochen, weil es die Möglichkeit, auch zu studieren, noch nicht gab. Mit dieser Akademisierung der Pflege wollen wir mit der Zeit gehen“, sagt Pflegedirektorin Weiß. Durch den Bachelor-Abschluss ändert sich vorerst nichts an der tariflich geregelten Bezahlung. Aber dieses Jahr gab es bereits 50 Bewerberinnen auf die drei zu vergebenden Stellen. In zwei Jahren wird Faúndes Gerdts ihre Ausbildung abschließen. Sie ist sich sicher: „Danach möchte ich weiterhin im Kreißsaal arbeiten – dort, wo das Leben beginnt.“

Die Klinik

Die Helios Mariahilf Klinik Hamburgan der Stader Straße ist ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung im Hamburger Süden, im Stadtteil Heimfeld. Sie gehört zu der Helios Kliniken Gruppe und ist spezialisiert auf Versorgung von Frauen und Kindern im Süderelberaum – sie ist seit der Hamburger Klinikreform Anfang 2017 die einzige Geburtsklinik südlich der Elbe. Das mehr als 100 Jahre alte Krankenhaus hat knapp 200 Betten.