Moorburg. Die Heiko Miersen GmbH ist Norddeutschlands letzte Abwrackwerft. Was hier zerlegt wird, hat oft eine lange Geschichte hinter sich.
Das Leben eines Schiffes beginnt, wenn es vom Stapel läuft. Auch am Ende des Schiffslebens liegt ein Stapel – oder mehrere. In Fragmente zerlegt, die mit dem Kran oder dem Bagger bequem aus dem Wrack gehoben werden können, wird das Schiff auf dem Gelände der Abwrackwerft aufgestapelt. Nur noch eine Abwrackwerft gibt es in Norddeutschland: Die Heiko Miersen GmbH in Moorburg. Das derzeitige Projekt der Spezial-Schrotter: Sie zerlegen den ehemaligen Motorsegler „Annemarie“.
Die Miersen GmbH liegt etwas versteckt, eingequetscht zwischen Holborn-Raffinerie und Kraftwerk Moorburg, hinter einer Flutschutzwand direkt an der Süderelbe. Der Boden des Geländes ist zerfurcht. Hier und da schlammig, hier und da noch vom Bodenfrost der Herbstnacht in Form gehalten. Im Sommer ist es staubig. Senior Heiko Miersen ist heute verhindert. Sohn Mats (24) führt durch den Familienbetrieb. Sein Bruder Ole (26) ist hier auch noch irgendwo unterwegs. Irgendwann werden sie den Betrieb übernehmen. Erste Projekte haben sie schon eigenständig abwickeln dürfen.
Die Annemarie liegt im Kanal neben der Werft – jedenfalls das, was noch übrig ist, denn Miersens Männer haben schon einen Tag daran gearbeitet. Jetzt müssen sie ablaufend Wasser abwarten, damit sie weiter brennen können. Bald ist es soweit. „Wenn das Wasser noch eine Handbreit sinkt, können wir loslegen“, sagt Mats Miersen, „und wenn der Kanal ganz trocken gefallen ist, können wir das Schiff bis zum Kiel zerlegen. Das wird heute noch fertig.“
Miersens nehmen den Umweltschutz im Kanal ernst
Der Kanal, der bei Niedrigwasser trockenfällt und so ein natürliches Dock darstellt, ist das wichtigste Kapital der Miersens. Bevor Heiko Miersen vor 20 Jahren mit seinem Betrieb nach Moorburg zog, war er ein Schrotter unter vielen, mit Betriebsplatz in Billbrook und einem Lastwagen mit Greifarm. Seit 1989 ist der 54-jährige im Metall-Recycling selbstständig. Eine Zeit lang plante die Wirtschaftsbehörde in dem Kanal Schierlingswasserfenchel anzusiedeln, um ihn als Naturschutz-Ausgleichsfläche für die Fahrrinnenanpassung der Elbe anrechnen zu können. Das hätte die Existenz der letzten deutschen Abwrackwerft in Frage gestellt. Mittlerweile sind die Ausgleichsflächen woanders gefunden.
Weil das Recht, im Kanal zu arbeiten, für die Miersens wichtig ist, nehmen sie den Umweltschutz ernst. In Moorburg kommen nur noch Metallhüllen an. „Wir haben einige Spezialfirmen im Hamburger Hafen, mit denen wir zusammenarbeiten“ sagt Mats Miersen, „bei denen entsorgen wir Bilgewasser und Betriebsstoffe und spülen Leitungen und Behälter sauber durch. Auch Isoliermaterial, Kabel und Kunststoffe entsorgen wir noch am Kai liegend.“
Mittlerweile fliegen an Bord der Annemarie die Funken. Das haben die Arbeiter eigentlich nicht so gern, denn jeder Funke ist ein kleines, glühendes Stahlteilchen; und so etwas massenhaft um sich herum fliegen zu haben, ist nicht angenehm. Ganz vermeiden lässt es sich allerdings nie. Vor allem nicht, wenn Rost im Spiel ist. Immer wieder klopfen die Schweißer deswegen mit schweren Hämmern auf den Stahl, um auf diese Weise die dicksten rotbraunen Placken zu lösen.
Miersen: „Jedes Schiff hat seine eigene Geschichte“
Ein großer Teil der Annemarie liegt bereits an Land, zerlegt in Fragmente, die in einen Muldencontainer passen. Dabei ist auch ein Stück des Bugs, „Annem“ steht noch drauf. Wie die Arie weitergeht, kann man nur im Innern des Haufens erahnen. Fast 90 Jahre lang war das Schiff auf Nord-und Ostsee unterwegs. 1930, als sie in Rendsburg vom Stapel lief, war sie eine begehrte Dame: Auf dem Meer sparsam unter Segel unterwegs, war sie in Häfen und Kanälen dank eines 150-PS-Hilfsdiesels fahr- und manövrierfähig. Heute nennt man das wohl einen Hybridantrieb. 12 solcher Schiffe baute die Nobiskrug-Werft von 1928 bis 1932. Die Annemarie war die zweite. Bis 1991 fuhr sie noch als Kümo. Es folgten einige Jahre wechselnder Besitzer mit großen Plänen und zuletzt zehn Jahre als erlebnispädagogisches Segelschiff.
„Jedes Schiff, das bei uns endet, hat seine eigene Geschichte“, sagt Mats Miersen, „selbst, wenn es einmal als Typschiff in Serie gebaut wurde, wie die Annemarie hier, haben doch über Jahrzehnte verschiedene Eigner die Schiffe individuell aus- und umgebaut. Das macht das Zerlegen zu einer gleichermaßen spannenden und traurigen Angelegenheit.“
Traurig ist es oft, wenn die Eigner noch sehr an ihrem Schiff hängen und große Träume auf der Abwrackwerft beerdigt werden. „Besonders, wenn wir hier Schiffe aus dem Binnenhafen zerlegen“, sagt Mats Miersen. „Manchmal kennt mein Vater die Eigner persönlich, weil er selbst mal im Binnenhafen gewohnt hat. Und meistens übersteigen die Entsorgungskosten den Materialwert, zumal es ja häufig Holzschiffe sind. Dann müssen wir den Eignern auch noch eine Rechnung stellen. Das fällt schwer, aber es muss sein!“
Mal hat man viel zu tun, mal wochenlang kein Projekt
Das Abwrackgeschäft ist launisch: Mal hat man viel zu tun, mal wochenlang kein Projekt. Die Miersens zerlegen deshalb auch Apparate und nehmen Schrott von Zulieferern an, um diesen weiterzuverkaufen. „Am meisten Spaß macht aber das Schiffezerlegen“, sagt Mats Miersen.
Der letzte Stapel der Annemarie wächst. Demnächst wird der Schrott verkauft, je nach Marktlage manchmal über Großhändler, meistens aber direkt an die Recycling-Stahlwerke in Hamburg oder in Bremen. Wer weiß, ob aus dem eingeschmolzenen Schrott der Annemarie nicht irgendwann doch wieder ein Schiff geschweißt wird?