Harburg. Wenn neue Wohnungen entstehen, sollte die Nachbarschaft profitieren. Diesen Anspruch vertrat der Bezirk auf der Wohnungsbaukonferenz.

Mehr Wohnraum in einem bereits dicht besiedelten Stadtgebiet zu schaffen, ist eine Gratwanderung zwischen den Interessen der Anwohner und den zahlreichen Menschen, die in Hamburg dringend Wohnraum suchen. Dieser Balanceakt stand im Mittelpunkt der Harburger Wohnungsbaukonferenz 2018, zu der sich am Dienstagnachmittag und -abend rund 120 Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wohnungswirtschaft sowie einige interessierte Bürger im ElbCampus der Handwerkskammer einfanden.

„Nachverdichtung muss immer eine Verbesserung für die Anwohner bringen, sonst funktioniert sie nicht“, sagte Harburgs Baudezernent Jörg Heinrich Penner und spielte darauf an, dass Bauvorhaben in Demokratien am Widerstand der Bevölkerung scheitern können – „wir sind hier nicht in China“. Allerdings herrsche „im politischen Raum“ oftmals noch die Haltung vor: „Unser Dorf soll schöner werden“, kritisierte Penner und bezog sich unter anderem auf die Diskussion um die Entwicklung des Ortskerns von Neugraben. „Er ist das Zentrum des urbanen Bereichs Süderelbe mit 50.000 Einwohnern“, sagte Harburgs oberster Baumeister. Der neue Rahmenplan des Bezirks sieht dort den Bau von rund 300 Wohnungen vor.

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Mit Blick auf Neubaugebiete auf der sprichwörtlichen grünen Wiese plädierte Penner für eine höhere bauliche Dichte als sie beispielsweise gerade im Neugrabener Heidbrook entsteht: „Wir können es uns in der Stadt nicht mehr leisten, großflächig Einfamilienhäuser auszuweisen.“ Das jüngste, bislang nur geplante Baugebiet Fischbeker Reethen habe dagegen einen großen Anteil von Reihen- und Mehrfamilienhäusern.

Einwohnerdichte nicht einmal halb so hoch wie in Wandsbek

Für Penner ist die oftmals unbeliebte verdichtete Bebauung im städtischen Bereich alternativlos. Schließlich wachse die Harburger Bevölkerung um jährlich rund ein Prozent. Während im Jahr 2010 noch 152.607 Einwohner ein Dach über ihren Köpfen brauchten, waren es 2017 schon 165.889 Menschen. Mit der Zahl der Menschen steigt die Bevölkerungsdichte im Bezirk. Allerdings liege sie mit 1326 Einwohnern (EW) pro Quadratkilometer (km2) noch deutlich unter der Dichte anderer Bezirke wie Wandsbek (2950 EW/km2) oder gar Eimsbüttel (5295 EW/km2).

Viele Menschen empfinden eine „Heimat Großstadt“ und könnten mit einer hohen Dichte gut umgehen, referierte Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik (Berlin). Bei anderen entstünde ein Dichtestress, wenn zusätzliche Gebäude in der Nachbarschaft hochgezogen werden, so Pätzold. Ein Wohlfühl-Kriterium sei: Wieviele Nachbarn können mir ins Fenster schauen?

Auch sie plädiert für städtebauliche Konzepte, die einen „sozialen Mehrwert“ von Neubauten bringen: „Es muss schöner sein, mit mehr Dichte zu wohnen.“ In den Augen der Anwohner mancher Harburger Bauprojekte mag eine solche Aussage wie Hohn wirken. Sie sorgen sich um die (letzten) grünen Freiräume in ihren Vierteln, befürchten mehr Verkehrsaufkommen und größere Parkplatznot oder dass ihre Wohnungen durch vielgeschossige Bauten verschattet werden.

Jörg Penner konkretisiert die Chancen, die eine Nachverdichtung für die bereits ansässigen Menschen in den betroffenen Wohnquartieren bringen könne. So sei eine Gegend, in der mehr Menschen wohnen, attraktiver für Geschäfte und Gastronomie. Penner: „Wenn man verdichtet, ist mehr im Stadtteil los. Man muss dann nicht mehr über die Elbe fahren, um eine gute Auswahl von Restaurants und Kneipen vorzufinden.“

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Dennoch bleiben Freiräume wichtig. Eine hohe Quartiersdichte brauche Lösungen jenseits der Grundstücksgrenzen, sagte Cornelia Peters, Freiraumplanerin in der Umweltbehörde. Ein gutes Beispiel sei der Sandtorpark in der HafenCity, der Flächen von vier Grundeigentümern beinhalte. Cornelia Stolze, Abteilungsleiterin Landschaftsplanung in Harburg, nennt gute Beispiele aus dem Bezirk, etwa die Grünanlage und Spielplatz an der Straße Hastedtplatz, aber auch kleine Nischen mit einer Bank und zwei Stühlen, die sich Anwohner an einer ungenutzten Stelle in Eigenregie selbst geschaffen haben.

Andere Beispiele, bei denen Anwohner Freiräume kreativ zu nutzen wissen, stammten aus Zürich oder New York. Stolze plädiert für das „Selbermachen“, freut sich über Eigeninitiativen der Bewohner, die die städtische Freiraumplanung bedarfsgerecht ergänzen.

Martin Kohler, der an der HafenCity Universität urbane Räume erforschte und jetzt für die Hochschule für Angewandte Wissenschaften arbeitet, wünscht sich mehr Flexibilität in der städtischen Freiraumplanung, etwa in Neubaugebieten: „Das Credo lautet immer: fertig bauen. Es sollten Freiräume unfertig bleiben und dann zunächst ein paar Jahre abgewartet werden, um zu sehen, was die Menschen brauchen und mit den Räumen machen.

Aber dieser Ansatz ist oft schwer umsetzbar: Nach fünf Jahren ist kein Geld mehr da, um die belebten Räume passend zur Nutzung fertig zu stellen. Die Investoren haben ihre Gebäude veräußert, weitere gestalterische Mittel sind nicht vorhanden.“ Kohler forderte die Behördenvertreter auf, eine solche kreative Freiraumentwicklung zu fördern.

Diskussionsbedarf herrschte auch zur heute favorisierten Blockrandbebauung: Um die zukünftigen Bewohner vor Lärm zu schützen, entstehen in städtischen Quartieren meist durchgängige Häuserfassaden, die oftmals um eine Ecke, auch hufeisenförmig um zwei Ecken gehen und teils sogar komplett zu Vierecken geschlossen werden. So entstehen ruhige Hinterhöfe, zu denen Schlafzimmer und Aufenthaltsräume ausgerichtet werden.

Der Nachteil: Diese grünen Oasen sind in den Straßenzügen und damit im Stadtbild nicht erkennbar. Sie schaffen einen Mehrwert, aber nur für die neuen Bewohner.

Der Bremer Punkt kann auch in Harburg funktionieren

Der Harburger Stadtplaner Heiko Stolzenburg sprach von einer „Blockseeligkeit der Vergangenheit“, die nicht dauernd verfolgt werden solle. Vielmehr könnten Ideen der 1960er/1970er Jahre, etwa der Bau von quer zum Straßenverlauf ausgerichteten Häuserzeilen, wieder aufgenommen werden.

Dies sorge zugleich für eine bessere Belüftung des Wohnquartiers, die in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger werde. Ein weiteres gutes Beispiel sei der „Bremer Punkt“: ein viergeschossiges Wohngebäude mit einer Grundfläche von 14 mal 14 Metern, das – günstig aus Holz und in Serie gefertigt – städtebauliche Nischen erschließen hilft, wenig Fläche verschlingt und Platz für bis zu elf Wohnungen bietet.

Blockrandbebauung müsse geöffnet werden, um Freiräume zugänglich zu machen, ergänzte Kollegin Stolze. Mehrere Teilnehmer betonten, dass neben den kleinen mehr oder minder grünen Freiräumen die Stadtnatur auf größeren Flächen dringend bewahrt werden müsse – der Naturschutzbund (NABU) Hamburg hat dazu erfolgreich die Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ gestartet und damit das Thema in die Bürgerschaft gebracht. „Alle reden von Ökologie und Naturschutz. Aber gleichzeitig wird an vielen Stellen Natur für den Wohnungsbau geopfert“, sagte Malte Siegert vom NABU.

Mikroapartments

Kleinstwohnungen mit 20 bis 40 Quadratmeter Fläche liegen auch in Harburg im Trend. Sie richten sich an Studenten und Senioren oder an Arbeitnehmer, die nur für wenige Jahre eine Unterkunft brauchen. Nach Einschätzung der Harburger Stadtplaner konzentriert sich das Interesse der Investoren bei Standorten in der Innenstadt auf diesen Wohnungstyp.

Die kleinen Formate bieten Wohnungskäufern und -mietern den Vorteil, dass der Kaufpreis oder die Monatsmiete aufgrund der geringen Fläche relativ erschwinglich ist. Der Quadratmeterpreis ist dagegen sehr hoch. Ein Hamburger Vermarkter solcher Apartments wirbt zum Beispiel damit, dass Eigentümer Mieterträge erlösen, die 50 bis 80 Prozent über den vergleichbaren ortsüblichen Mieten liegen.