Stade/Ehestorf. Als erstes Gebäude für das Projekt „Königsberger Straße“ wird eine Spezialfirma das Gebäude zerlegen und aus Stade abtransportieren.

Es wird eine Premiere. Sie beginnt, ungewöhnlich früh für Premieren, um 7.30 Uhr am kommenden Mittwoch auf dem Gelände einer ehemaligen Esso und späteren Aral-Tankstelle in Stade. Häuschen, Dach und Säule sollen auf Tieflader verladen und dann zum Freilichtmuseum am Kiekeberg gebracht werden. „Für uns ist es das erste Mal, dass wir eine Tankstelle so verpacken und abtransportieren“, sagt Philipp Schäle, Translozierer bei der Firma Jako Baudenkmalpflege aus Baden-Württemberg.

Die Spezialisten aus Rot an der Rot bringen sonst vor allem historische Bauernhäuser aus dem 14. bis 18 Jahrhundert zu ihren neuen Standorten in Museen oder sind für Liebhaber im Einsatz, die ein altes Wohnhaus auf ein anderes Grundstück versetzen wollen.

Der frühmorgendliche Termin markierte nach dem ersten Spatenstich und dem Beginn der Erdarbeiten am Museum Anfang September eine erste, gut sichtbare Aktion für das Projekt „Königsberger Straße“ (siehe Infokasten) des Freilichtmuseums am Kiekeberg. Die Tankstelle steht als eines von sechs Häusern für die Nachkriegszeit, die im Museum abgebildet wird.

Für den Transport teilt Schäle das Gebäude in drei Teile auf. „Das Haus wird mitsamt der Bodenplatte verladen. Dafür wird eine Stahlkonstruktion darunter geschoben“, erklärt der gelernte Zimmerer, der anschließend Projekt-Management und Bauwesen in Biberach an der Riß studiert hat. So sollen Schäden vermieden werden. Auch das Dach kommt in einer Holz und Stahlverschalung auf den Lkw. Das dritte Teil ist die Säule, die das Dach hält.

In einem von der Polizei festgelegten Zeitkorridor werden die drei Lkw in der Nach von Mittwoch auf Donnerstag in Richtung Ehestorf zum Museum fahren. Mit Blinklicht und Peterwagen für die Sicherheit. Der frühe Beginn der Arbeiten soll dabei sicherstellen, dass alle Vorbereitungen bis zum Abend abgeschlossen sind.

Das Original: Bis 1984 konnten Autofahrer an der Tankstelle bedient werden. Esso verkaufte die Anlage 1953 an die Deutsche Gasolin AG, die später von Aral übernommen wurde.
Das Original: Bis 1984 konnten Autofahrer an der Tankstelle bedient werden. Esso verkaufte die Anlage 1953 an die Deutsche Gasolin AG, die später von Aral übernommen wurde. © Mehrtens | Mehrtens

Seit Anfang der Woche sind für die Vorbereitung vier Mitarbeiter von Jako in Stade. Der fünfte stieß am Freitag dazu. Drei bis vier solcher Projekte im Jahr erledigt Schäles Mannschaft. Das Geschäft läuft gut. Insgesamt kommt das Unternehmen, nach eigenen Angaben bundesweiter Marktführer für das Versetzen von Gebäuden, mit 100 Mitarbeitern auf einen Umsatz von zwölf Millionen Euro.

Allein der im Juli erteilte Auftrag für den Kiekeberg mit Ab- und Aufbau hat einen Wert von 143.000 Euro. „Zuletzt“, weiß Schäle, „hat das Interesse an Verlagerungen von Gebäuden aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich zugenommen.“

Genau diese Zeitspanne von 1949 bis 1970 will das Freilichtmuseum mit einer typischen Baugruppe auf das Gelände holen, das derzeit am Museum hergerichtet wird. Die Stader Tankstelle gilt als Glücksfall. „Häufig sind Tankstellen aus der Frühzeit abgerissen oder für neue Nutzungen stark umgestaltet. In manchen Orten wurde jedoch der Wert der Gebäude erkannt: Sie stehen jetzt unter Denkmalschutz,“ erläutert Museumsdirektor Stefan Zimmermann.

In Stade endete der Tankbetrieb zwar schon 1984. Die Anlage wurde jedoch ohne gravierende Veränderungen bis 2018 verpachtet. „Die bisherigen Eigentümer, Enkel des Tankstellenbesitzers, haben das Ensemble bewusst an unser Museum verkauft. Sie unterstützen die Translozierung“, freut sich Zimmermann. Horst und Klaus Mehrtens wollen am Mittwoch beim Verladen an der Harburger Straße mit dabei sein.

Die Anlage aus Stade, damals noch im selbstständigen Dorf Campe gelegen, ging aus einer klassischen Dorfschmiede hervor und entwickelte sich zu einer serviceorientierten, modern gestalteten Tankstelle weiter. 1928 wurde neben Schmiede und Wohnhaus, von der Deutsch-Amerikanischen Petroleumgesellschaft, später Esso, eine Pumpanlage installiert.

Projektmanager Philipp Schäle, Jako Baudenkmalpflege GmbH, freut sich auf die Aufgabe und sagt: „Für uns ist es das erste Mal, dass wir eine Tankstelle so verpacken und abtransportieren“.
Projektmanager Philipp Schäle, Jako Baudenkmalpflege GmbH, freut sich auf die Aufgabe und sagt: „Für uns ist es das erste Mal, dass wir eine Tankstelle so verpacken und abtransportieren“. © Schäle | Jako

Sie bestand aus einer Zapfsäule, die noch ungeschützt gegen Witterungseinflüsse installiert war und per Hand bedient werden musste. Das galt als besonders innovativ. Denn die erste deutschlandweite, öffentliche Pumpanlage stand damals erst fünf Jahre lang in Hannover. Ein Schutzdach folgte 1932, weitere Tanks kamen später hinzu.

Esso verkaufte die Anlage 1953 schließlich an die Deutsche Gasolin AG, die später von Aral übernommen wurde. Der Mineralölkonzern legte Wert auf die gleichförmige Architektur und seine charakteristischen Farben, die einen Wiedererkennbarkeit schufen und die fortschrittsbegeisterte Zeit symbolisierten, teilte das Kiekeberg-Musem dazu mit.

So erhielt die Tankstelle 1954 ein mehr als zehn Meter langes Flugdach, ein Tankwarthaus mit Kiosk und WC und zwei beidseitig anfahrbare Tanksäulen. Alles in den Gasolin-Farben Rot und Weiß gehalten. Anfang der 1960-er erweiterte der Besitzer den Service: Er baute eine Pflegehalle, in der Autos gewaschen, geputzt und gegen Rost geschützt wurden.

Das Ende kam 1984. Zum Schluss hatte der Besitzer einen Klingelschlauch installiert, der ihn in seinem Wohnhaus informierte, wenn Kunden an den Säulen vorfuhren. Bevor das Museum einstieg, hatte ein Händler am Standort Gebrauchtwagen verkauft.

Die Tankstelle soll nun zunächst zwischengelagert und im Frühjahr 2019 als erstes Gebäude in der neuen „Königsberger Straße“ aufgebaut werden. Am Kiekeberg wird sie mit den charakteristischen Farben rot-weiß, passenden Werbeschildern und Einrichtungsgegenständen von 1955 ausgestattet.

Trotz der frühen Uhrzeit, genau 36 Minuten vor Sonnenaufgang in Stade, ist das Interesse an der Verladeaktion groß. So wollen neben dem Architekten der „Königsberger Straße“ Christoph Frenzel, dem Stiftungsratvorsitzende Klaus-Wilfried Kienert und Museumsdirektor Zimmermann mit Michael Roesberg (Stade) und Rainer Rempe (Harburg) gleich zwei Landräte dabei sein.

Nachkriegszeit

Sechs Häuser werden für das Projekt „Königsberger Straße. Heimat in der jungen Bundesrepublik“ aufgebaut. Neben der Tankstelle sind es eine Ladenzeile mit modernen Geschäften, ein Doppelhaus und ein Siedlungshaus, ein Aussiedlerhof und ein Fertighaus als neuer Bautyp. Dazu kommen Gärten, Straßenlaternen, eine Litfaßsäule und eine Telefonzelle.

Ziel des Projektes ist es, die kulturellen Zeugen der Nachkriegszeit für die Nachwelt zu erhalten und die Aufbauleistung darzustellen. Der Bund fördert den Aufbau mit 3,28 Millionen Euro. Das entspricht mehr als der Hälfte der Kosten von 6,14 Millionen Euro. Die Bauzeit ist auf sechs Jahre angelegt.