Tiste . Im Tister Bauernmoor lässt sich derzeit ein grandioses Naturspektakel beobachten. Tausende Kraniche machen Rast auf dem Weg nach Süden.
Ohrenbetäubendes Spektakel hallt zurzeit jeden Abend über das Tister Moor. Es ist das Trompeten der Kraniche, die jetzt im Herbst auf ihrem Zug nach Süden Pause machen. Tagsüber suchen sie Futter, insbesondere auf abgeernteten Maisfeldern. Die Nächte verbringen sie auf Wasser- und Schlickflächen des ehemaligen Torfabbaugebiets bei Sittensen im Landkreis Rotenburg. Sie ruhen stehend, gegen Feinde durch die Unwegsamkeit der wieder vernässten Torfstiche und die schiere Masse der Artgenossen geschützt. Bevor sie sich niederlassen, drehen sie in kleineren oder größeren Trupps weite Kreise. Dabei verständigen sie sich rufend mit großem Lautrepertoire. Das Stimmvolumen verdanken sie dem Resonanzraum ihrer bis zu 130 Zentimeter langen und doppelt geschlungenen Luftröhre.
Dann und wann lassen sich einzelne Gruppen nieder, andere fliegen wieder auf. Erst mit Einbruch der Dunkelheit sind alle gelandet und es kehrt Ruhe ein. Das atemberaubende Naturschauspiel zieht täglich viele Besucher in die Einsamkeit des Tister Moores. Denn von den beiden Aussichtstürmen am Rande der Wasserflächen sind nicht nur Kraniche zu beobachten, sondern auch Reiher, Kormorane, Gänse und Enten. Oftmals entdeckt man auch Seeadler. Denn die Vogelvielfalt bietet dem Jäger reiche Beute.
Sehenswert und fremdartig wirkt auch die bizarre Landschaft. In den glatten Wasserflächen, aus denen wie Gerippe einzelne Bäume ragen, spiegeln sich das Abendrot des Himmels und die darüber fliegenden Vogelschwärme. „Bis Ende Oktober wird die Zahl der Kraniche noch zunehmen“, erklärt Bernd Herzig. Der Tister ist jeden Tag im Moor, beobachtet und zählt Vögel. 15000 Kraniche seien derzeit vor Ort, weitere 5000 werden dazu kommen schätzt er. Noch bis Mitte November werden die großen Schreitvögel sich im weiten Umkreis um das Tister Moor für ihre Reise nach Spanien stärken. Einige wenige werden erfahrungsgemäß über Winter hier bleiben. Bernd Herzig hat schon Kraniche auf dem Eis fotografiert.
Die schönsten seiner Bilder zeigt er den Besuchern auf dem Aussichtsturm und erzählt von seinen Beobachtungen. Auch von tierischen Dramen weiß er zu berichten. Etwa vom vermutlich verletzten Kranich, der von sechs Adlern angegriffen und geschlagen wurde, während seine Artgenossen rechtzeitig das Weite suchten. Oder vom Kranichpaar, das diesen Sommer in Sichtweite des Turms auf einem winzigen Inselchen sein Nest gebaut hatte.
Die vermeintliche Sicherheit des Nistplatzes erwies sich als trügerisch. Über Nacht wurde das Kranichmännchen angegriffen und erlag später seinen schweren Verletzungen. „Niemand weiß, was geschah. Man kann nur spekulieren, dass es ein Fuchs oder Wildschwein war“, sagt Herzig. Auch der kurz darauf geschlüpfte Jungvogel ging ein, obwohl die Kranichmutter schon bald einen neuen Partner hatte, der sich mit ihr um das Küken kümmerte. „Laut Statistik überlebt nur etwa 20 Prozent des Nachwuchses“, erklärt Herzig.
Es macht ihm offensichtlich Freude, andere an seinem Wissen teilhaben zu lassen und mit seiner Begeisterung anzustecken. Er gehört dem Moorbahnverein Burgsittensen an und ist einer der ehrenamtlichen Zugführer. Die Lokomotiven stammen noch aus den 1950er Jahren. Ursprünglich diente die Bahn dem Abtransport des Torfes, jetzt bringt sie Naturfreunde vom Bahnhof an der Hauptstraße 70 ins Moor.
Unter den eigens für Personenverkehr konstruierten Waggons ist auch ein Anhänger für Rollstuhlfahrer. Einer der beiden Aussichtstürme hat eine Auffahrtsrampe, damit auch Behinderte in den Genuss der Vogelbeobachtung kommen können.
Die Abfahrtszeiten des Zuges richten sich nach dem Einbruch der Dämmerung. Vom 22.bis 27. Oktober geht es um 16.45 Uhr los, vom 28.Oktober bis 4. November um 15.30 Uhr und vom 5. bis 11. November um 15.15 Uhr. Die Fahrt hin und zurück kostet drei Euro pro Person, die einfache, vier Kilometer lange Strecke, zwei Euro. Eine Anmeldung für Einzelpersonen ist nicht erforderlich. Selbstverständlich kann man auch zu den Aussichtstürmen wandern. Das Trompeten der Kraniche wird den Weg in jedem Fall begleiten.