Neu Wulmstorf. Kreistag entscheidet am Montag über neue Vorranggebiete für die Windkraft. Doch es gibt auch Widerstand – zum Beispiel in Neu Wulmstorf.

Man muss schon eine Weile einen schmalen Feldweg entlang spazieren, um vom Golfplatz Daensen zu einem der fünf großen Windrotoren gelangen, die dort auf einem kleinen Höhenzug stehen. Überraschend breit ist der untere Teil des Stahlturms der Anlage, die gut 200 Meter hoch aufragt. Eher bedächtig dreht sich trotz frischer Brise der Flügel, ein feines „Schwapp“ „Schwapp“ ist erst hier direkt am Windrad zu hören — so als würde jemand in rhythmischen Abständen ein riesiges Handtuch ausschlagen. Blickt man dort nach Westen Richtung Stade, fällt am Horizont eine ganze Reihe weiterer Windräder auf.

Blickt man nach Osten breitet sich bis auf zwei, drei ferne Winterräder die sanft geschwungene norddeutsche Landschaft aus Äckern und Waldstücken aus. Doch nicht weit von den fünf Rotoren sollen bald einige, weitere Windräder stehen. Sechs Windanlagen könnten dort im Nachbar-Landkreis Harburg auf dem Gebiet der Gemeinde Neu Wulmstorf gebaut werden, verteilt auf zwei Flächen. Seit Jahren schon gibt es Streit um diesen geplanten Windpark bei dem Dorf Ardestorf. Zwei weitere Rotoren sind im nahen Elstorf geplant.

Tobias Handtke, SPD-Kreispolitiker und Fraktionschef aus Neu Wulmstorf, ist hin- und hergerissen
Tobias Handtke, SPD-Kreispolitiker und Fraktionschef aus Neu Wulmstorf, ist hin- und hergerissen © HA

Ziel ist eine Bündelung der Windkraft-Standorte

Die Projekte gehören zu den so genannten Vorranggebieten, die der Landkreis Harburg für sein neues Regionales Raumordnungsprogramm festlegen will. Mit diesem Programm wird grob geplant, wo Natur, wo Wald oder wo eben Siedlungsgebiete und Windanlagen ihren Platz haben sollen.

Ziel dabei ist eine Art Bündelung der Windkraft-Standorte, die ausreichende Abstände zu Wohnhäusern und auch untereinander einhalten sollen. Ausgeschlossen wurden auch Flächen, wo es Arten- und Naturschutzbedenken gab. 14 völlige neue Windpark-Standorte gehören jetzt zu diesen Vorranggebieten, eben zum Beispiel bei Ardestorf oder in Brackel, wo es ebenfalls Gegenwind durch heftige Bürgerproteste gibt. Mehr als 40 neue Anlagen wären auf diesen neuen Flächen möglich.

Zusätzlich dürften noch eine Reihe weiterer Windräder auf sechs so genannten „vergrößerten Bestandsflächen“ hinzu kommen. (siehe Infokasten). Fünf weitere bestehende Standorte werden durch das Programm planerisch gesichert. Insgesamt könnten es am Ende 95 Windkraft-Anlagen sein, schätzt die Kreisverwaltung.

Am 22. Oktober wird voraussichtlich der Kreistag diese Planung absegnen, viel Widerstand trotz Bürgerprotesten ist nicht zu erwarten. „Ich persönlich könnte auf diese Anlagen bei Ardestorf verzichten, aber ich werde deshalb nicht gegen das gesamte Raumordnungsprogramm stimmen“, sagt etwa der Neu Wulmstorfer CDU-Kreistagsabgeordnete Malte Kanebley.

„Ich bin hin und her gerissen“, sagt auch der Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion Tobias Handtke, der ebenfalls aus der Gemeinde kommt. Einerseits gebe es da die Klimaziele, andererseits auch Bedenken, vor allem wegen des Vogelschutzes, sagt Handtke, der aber dennoch mit breiter Zustimmung am 22. Oktober rechnet. Nach glühender Liebe für die Windkraft klingen aber beide Kreis-Politiker nicht, eher nach zerknirschter Einsicht.

Mit dieser Ausweisung folgt der Landkreis denn auch einer Vorgabe des Landes Niedersachsen, das in den nächsten Jahrzehnten die Stromproduktion nahezu vollständig auf erneuerbare Energien und weg von Kohle und Atomkraft umstellen will. Gut 1,4 Prozent der Landesfläche sollen dabei für Windenergie vorgehalten werden, heißt dabei die klimapolitische Vorgabe.

Das schafft der Landkreis mit seinem Programm längst nicht, lediglich etwa 0,5 Prozent betragen die insgesamt 558,5 Hektar, die künftig zwischen Elbe und Este für Windkraftanlagen vorgesehen sind. „Für mehr ist der Siedlungsdruck hier in der Metropolregion viel zu groß, wir sind nicht Ostfriesland“, sagt dazu Landkreis-Sprecher Andres Wulfes. Oder anders: Windkraft-Standorte sind knapp im Landkreis - auch wenn das Land mehr wünscht.

Entsprechend zäh gestaltet sich der Weg zum Rotor daher für diejenigen, die so etwas planen. Im Fall von drei Anlagen bei Ardestorf ist der Projektplaner die Firma WindStrom , die bereits um 2012 mit etwa zwei Dutzend Grundeigentümern verhandelt hat. In der Regel bekommen alle Grundeigentümer einer solchen Fläche anteilig eine Pacht, nicht nur derjenige, auf dessen Acker dann tatsächlich das Fundament steht. Betreiben will den einen Windpark mit drei Rotoren später die Genossenschaft BürgerEnergie Buxtehude, der auch schon eines der benachbarten Windräder bei Daensen gehört.

Bürger können sich an dem Windpark beteiligen

Etwa 17 Millionen Euro will die Genossenschaft in das Ardestorfer Projekt investieren, zwei Millionen davon sind als Eigenkapital geplant, die aus Anteilen von 1000 bis maximal 20.000 Euro einzelner Teilhaber dieses „Bürgerwindparks“ zusammen kommen sollen, für den eine eigene Gesellschaft gegründet wurde und die dafür den Zuschlag der Bundesnetzagentur erhalten hat.

Etwas mehr als drei Prozent Zinsen sollen später aus den Erträgen ausgeschüttet werden. Das nicht üppig, aber mehr als auf dem Sparbuch. Allerdings gibt es natürlich immer trotz zahlreicher Versicherungen ein wirtschaftliches Ausfallrisiko, sagt Genossenschaftsvorstand Robert Neumann, für den aber nicht allein der Ertrag zählt, wie er sagt. „Es ist einfach faszinierend, bei dieser Energiewende dabei zu sein.“

Doch nicht alle sehen das so. Wortführer des Protests in Ardestorf ist beispielsweise Wilhelm Hartmann. Der Kaufmann, Jäger und erklärter Vogelfreund arbeitet selbst in der Windbranche, vermittelt als Berater Flächen und ist vor einigen Jahren abgeblitzt, als er sich für das Gebiet bei Daensen interessierte. „Da bin ich abgebügelt worden“, sagt er. Eben weil es dort so viele schützenswerte Greifvögel gebe, was nun offensichtlich nicht mehr gelte.

„Ich bin für Windkraft — aber nicht dort“, sagt Hartmann, der dazu auf eine Hühnerfarm bei Ardestorf verweist, die so etwas wie ein gedeckter Tisch für Greifvögel sei. Regelmäßig überzieht er beteiligte Verwaltungen und Politiker mit E-Mails, verweist auf echte oder vermeintliche Unstimmigkeiten. Etwa, dass an anderer Stelle wegen vermehrter Greifvogel-Vorkommen Windkraft-Standort als Vorranggebiete gestrichen worden seien. „Warum ist das nicht auch in Ardestorf der Fall“, fragt er.

„Ja, es gibt dort viele Vögel“, räumt auch Windkraft-Befürworter Neumann ein. Aber ein deutlich erhöhtes Tötungsrisiko gebe es nicht, Vögel kämen auch bei Hochspannungsleitungen oder schlicht im Straßenverkehr um. Zudem seien heutige Rotoren weit höher als die Bäume, da würden beispielsweise die geschützten Uhus viel tiefer vielen. „Die sind doch nicht blöd und steigen so hoch auf bei der Beutesuche“, sagt Neumann und verweist auf Studien – der Windkraftbranche – wonach in Nähe von Windparks die Zahl von Greifvögeln sogar gestiegen sei.

Auch ein zusätzliches Vogel-Gutachten der Gemeinde gibt ihm in Teilen recht: Greifvögel sind dort gefährdet, ja - aber sie machen den Bau nicht unmöglich, weil man Ausgleichsflächen schaffen kann, so in etwa lautet das Ergebnis, dem Vogelschützer Hartmann widerspricht.

Wer auch immer recht hat in diesem Streit um saubere Energie und schützenswerte Vögel: mit der Entscheidung am 22. Oktober ist das Thema lange noch nicht durch. Denn selbst wenn Ardestorf bald als Vorranggebiet gilt, die künftigen Windkraftbetreiber brauchen dennoch noch eine zusätzliche, spezielle Genehmigung durch die Landkreisverwaltung, deren Naturschutzbehörde bereits Bedenken geäußert hatte.

Ob zusätzliche Auflagen kommen, bestimmte Abschaltzeiten angeordnet werden oder was auch immer — für die Windkraft-Planer bleibt es weiter eine Zitterpartie. Eine Energiewende lässt sich offenbar einfacher verkünden - als in der Praxis tatsächlich umsetzen.

Neue Flächen

Die Zahlen in Klammern zeigen die Größe in Hektar und die mögliche Anzahl der Anlagen:

Brackel (21,8 Hektar/ 5 Anlagen)
Evendorf (9,2/2)
Evendorf (12,2/2)
Halvesbostel (13,3/4)
Regesbostel (48,5/6)
Holtorfsbostel (9,8/2)
Stellheide (30,9/3)
Ardestorf (18,2/4)
Ardestorf (11,4/2)
Elstorf (9,4/2)
Ramelsoh/Ohlendorf (8,6/2)
Hollinde (10,0/2)
Pattensen-Süd (9,4/2)
Scharmbeck (73,9/4)

Vergrößerte Bestandsflächen

Grauen (14,9/4)
Quarrendorf (29,3/5)
Wulfsen (18,6/3)
Heidenau (46,1/7)
Wüstenhöfen (14,5/4)
Pattensen (71,6/10)

Unveränderte B.-Flächen

Evendorf (11,9/2)
Ohlenbüttel (6,5/5)
Ramelsloh/Ohlendorf (10,7/4)
Tötensen (18,5/5)
Wennerstorf (29,2/4)

So wird gefördert

Einspeisevergütung: Mit dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) fördert der Bund „sauberen Strom“. Das EEG garantierte seit 2000 festgelegte Vergütungen, die über den Marktpreisen lagen, aber von den Verbrauchern mitfinanziert werden. (Etwa 24 Prozent des Strompreises)

Durch das EEG stieg der Anteil erneuerbarer Energie auf rund 32 Prozent. Seit 2017 wird keine feste Vergütung mehr pro kWh gezahlt, sondern neue Betreiber müssen sich bei einer Ausschreibung bewerben, um mehr Wettbewerb zu bekommen. Zuschläge erhalten nun die mit den geringsten Vergütungsforderungen.