Harburg. Fachkonferenz befasst sich mit Grenzen der Verdichtung von Stadtteilen. Verwaltung sieht Potenzial für 7900 neue Wohneinheiten.
Die Stadt Hamburg wächst und mit ihr der Bezirk Harburg. Die Verwaltung hat im Vorjahr Baugenehmigungen für knapp 1300 zusätzliche Wohnungen erteilt, im ersten Halbjahr 2018 gab es grünes Licht für 620 weitere Wohneinheiten. In den kommenden fünf Jahren und darüber hinaus plant der Bezirk den Neubau von rund 7900 Wohneinheiten, so sieht es das Wohnungsbauprogramm 2018 vor.
Ein Großteil entsteht auf grünen Wiesen, vor allem in Neugraben-Fischbek. Aber auch im Kerngebiet Harburgs sieht der Bezirk großes Potenzial. Ein Großteil ist nur zu erschließen, in dem vorhandene Siedlungsflächen enger bebaut werden. „Dichte im Wohnungsbau“ lautet das Thema der Harburger Wohnungsbaukonferenz am Dienstag im Elbcampus der Handwerkskammer.
Längst wird im Bezirk und in der gesamten Stadt darüber gestritten, wieviel Naturräume dem Wohnungsbau geopfert werden sollten – der Naturschutzbund Deutschland hat dazu erfolgreich die Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ gestartet und damit das Thema in die Bürgerschaft gebracht. Auch in Harburg gibt es mancherorts Unmut über geplante Nachverdichtungen.
So wehrten sich Eißendorfer Bürger gegen ein Projekt am Wilhelm-Busch-Weg, wo zwei Doppelhäuser mit acht Wohnungen durch einen (im Bau befindlichen) dreigeschossigen Neubau mit 19 Wohnungen ersetzt werden sollen. Im Heimfelder Villenviertel kämpfen Nachbarn für den Erhalt alter Bäume und den Charakter ihres Quartiers. Zum Beispiel bei einem Grundstück an der Vogelerstraße, wo hinter einer alten Villa drei zusätzliche Wohneinheiten geplant sind.
Selbst in der dicht bebauten Harburger Innenstadt sollen weitere Wohnungen entstehen. Sie sei „als Wohnstandort bislang nur in Ansätzen in Erscheinung getreten“, heißt es im Wohnungs-bauprogramm. Der Bezirk will mit finanzieller Unterstützung der Stadtentwicklungsbehörde sein Zentrum sowohl für das Wohnen als auch für den Einzelhandel attraktiver machen.
Das geschieht zum Beispiel durch den Abriss des seit gut zehn Jahren weitgehend leerstehenden Harburg-Centers. An seiner Stelle werden in einem mehrfach abgestuften Gebäudekomplex gut 230 Wohnungen und im Erdgeschoss Ladenflächen entstehen.
Prominente Projekte sind auch der geplante Bau von rund 80 Seniorenwohnungen auf der Westseite der Marktfläche Sand und das Vorhaben der städtischen Wohnungsgesellschaft Saga, an der Ecke Knoopstraße/Harburger Ring ein siebengeschossiges Gebäude mit 93 – vorwiegend kleineren – Wohnungen zu errichten.
Ein großes Entwicklungspotenzial sieht die Verwaltung zudem im Binnenhafen. Im Rahmen der drei Großprojekte Brückenquartier, Neuländer Quarree und Hafenquartier im östlichen Teil des Hafengebietes werden zusammen mehrere Hundert neue Wohnungen entstehen. Das Brückenquartier feierte im September Richtfest, die anderen beiden Projekte sind noch im Planungsstadium.
Längst gibt es Stimmen, die sich um das maritime Flair des Binnenhafens sorgen und den Bezirk außerdem auffordern, für die kommenden Hafenbewohner grüne Freiräume zu erhalten. Ein Forum für solche Stimmen bietet die Binnenhafen-Begleitgruppe, die einmal im Quartal öffentlich tagt.
Auf dem Treffen im September betonte Kay Wolkau von den Neuen Liberalen, die „wichtige soziale und ökologische Funktion“ von Grünflächen. Er sprach sich dafür aus, eine Baumgruppe am Kanalplatz, das „Wäldchen“, langfristig zu sichern. Baudezernent Jörg Heinrich Penner konterte, dass es nicht gelingen werde, bereits kalkulierte Baufelder zu Gunsten von Freiflächen nicht zu bebauen.
Politiker der Linken kritisieren vor allem, dass der Anteil des sozialen Wohnungsbaus viel zu gering sei. „Gerade aufgrund der ständig steigenden Mieten ist es dringend notwendig, im Bezirk über eine ausreichende Anzahl von öffentlich geförderten Wohnungen zu verfügen“, heißt es in einer Anfrage der Linken zu dem Thema.
Der Antwort des Bezirksamts ist zu entnehmen, dass 2017 der Bau von 84 öffentlich geförderten Wohneinheiten genehmigt wurde, 36 neue Sozialwohnungen wurden fertiggestellt. Gleichzeitig sind 249 Wohnungen aus der Bindung gefallen. Im Bezirk Harburg ist die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen von 9531 im Jahr 2009 auf derzeit 6169 gesunken.
Ein anderer Ansatz, allgemein bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist der frei finanzierte Bau von preiswerten Wohnungen, bei dem sich der Investor verpflichtet, in den ersten fünf Jahren eine Kaltmiete von maximal acht Euro pro Quadratmeter zu verlangen. Eines von zwei Hamburger Pilotprojekten solcher 8-Euro-Wohnungen entsteht im Baugebiet Neugrabener Vogelkamp.
Dort werden derzeit 44 Familien-Wohnungen in einer kostensparenden Bauweise errichtet – 44 von insgesamt rund 1500 geplanten Wohneinheiten. Zusammen mit den anderen beiden Fischbeker Quartieren Heidbrook und Reethen sollen im Harburger Westen rund 4300 neue Wohnungen entstehen.
Anders als im Harburger Zentrum werden hier Potenziale im Grünen erschlossen und die Bauprojekte als naturnahes Wohnen vermarktet. Im bezirklichen Kerngebiet ist dies nicht möglich. „Unser Anspruch ist es, trotz höherer baulicher Dichte die Attraktivität der Quartiere zu steigern“, schreibt der damalige Interims-Bezirksamtsleiter Dierk Trispel in das Vorwort des Wohnungsbauprogramms 2018. Es klingt ein wenig nach der Quadratur des Kreises.
Die CDU-Fraktion in der Bezirksversammlung – seit dem Bruch der Großen Koalition meist in der Oppositionsrolle – steht der bezirklichen Nachverdichtung skeptisch gegenüber: „Wir plädieren dafür, auf Nachverdichtung weitgehend zu verzichten, denn sie geht immer auf Kosten der Anwohner“, sagt Rainer Bliefernicht, stellvertretender Fraktionschef.
Die Wohnqualität werde geschwächt. Das fördere die Abwanderung von gut situierten Menschen in die umliegenden Landkreise. Die Bezirksverwaltung ist da optimistischer: Mit städtebaulich klugen Konzepten werde Harburg von einer wachsenden Einwohnerzahl und zusätzlicher Bebauung profitieren, so Trispel.
Bürgertermin Fischbeker Reethen
Ein Blau-Grünes Band soll das geplante Neubaugebiet Fischbeker Reethen durchziehen. Zur Gestaltung dieses Freiraums hatte die Städtische Entwicklungsgesellschaft IBA Hamburg einen Wettbewerb ausgeschrieben. Ein Preisgericht hat drei Büros ausgewählt, die nun in die Verhandlungsphase treten: relais Landschaftsarchitekten aus Berlin, Club L94 (Köln) sowie ARGE Treibhaus Hamburg mit 3:0 aus Wien.
Am 24. Oktober lädt die IBA Hamburg interessierte Bürger um 18 Uhr zu einer öffentlichen Diskussion in die Schule Ohrnsweg ein. Die Planungsteams stellen dort ihre Entwürfe vor, beantworten Fragen, nehmen Anregungen und Kritik entgegen. Aufgrund der Verfahrensrichtlinien müssen sich die Besucher verpflichten, das Gehörte vertraulich zu behandeln. Veranstaltungsort: Ohrnsweg 52, 21149 Hamburg (Fischbek).