„Die Fitmacher“ sind Menschen, die uns in Bewegung bringen. Wie Cornelia Eggers, die die Roadrunners der TSH auf dem Einrad trainiert.
Unmöglich“, war ihr erster Gedanke. Damals, als Cornelia Eggers das erste Mal auf dem Einrad saß. „Das lerne ich nie!“ Dann sauste das Rad nach vorn, der Oberkörper fiel zurück. Und mit einem lauten Krachen landete sie auf dem Hallenboden. Also von vorn. Einmal, zweimal, hundertmal.
Was so aussieht, als wäre es unmöglich zu erlernen, beherrschen die Mädchen der TSH-Einradgruppe „Roadrunners“ aus dem Effeff. Emsig wie die Ameisen sausen sie kreuz und quer auf ihren einachsigen Fahrzeugen durch die Turnhalle an der Woellmerstraße, fahren vorwärts und rückwärts, nebeneinander, hintereinander, Hand in Hand und allein. Die Jüngste ist zehn, die Älteste 28 Jahre alt. Manchmal verlieren sie das Gleichgewicht, kippen plötzlich nach vorn, nach hinten. Dann springen sie wieder auf, versuchen es nochmal. Aufgeben kommt nicht in Frage.
Cornelia Eggers steht in der Mitte der Halle, klatscht in die Hände. „Los, weiter“, ruft sie. „Komm Lena, versuch es nochmal! Und jetzt alle hintereinander!“ Die Mädchen sortieren sich. Fahren in einer Reihe durch die Halle. Dann teilt sich die Gruppe, fährt auseinander, wieder sternförmig zusammen. Die Trainerin ist zufrieden. „Die Mädchen machen das prima“, sagt die 35-Jährige, die seit 2004 in Heimfeld Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auf dem Einrad unterrichtet. Eine Aufgabe, die ihr vor 14 Jahren mehr oder weniger ungewollt in den Schoß gefallen ist.
Damals besuchte ihre sieben Jahre jüngere und vom „Einradvirus“ infizierte Schwester Daniela am Gymnasium eine Einrad-AG. Und weil sie mehr trainieren wollte, es in Harburg aber keine Trainingsmöglichkeiten gab, beschloss sie, selbst aktiv zu werden. Doch Daniela war damals erst 14, durfte nicht offiziell als Trainerin unterrichten. Also musste Cornelia ran. „Da stand ich also in der Halle, 30 Mädchen um mich herum, die mich fragend anschauten“, erinnert sie sich.
„Und ich selbst saß noch nie auf einem Einrad.“ Die Schwestern teilten sich auf. Die Ältere übernahm die Theorie, die Jüngere die Praxis. Nach wenigen Monaten war das Angebot fest im Sportprogramm der Turnerschaft verankert. Mittlerweile wird das Schwesternduo tatkräftig durch Vanessa Hohensee unterstützt.
Mädchen erarbeiten die Choreographie gemeinsam
Trainiert wird jeden Dienstag von 18 bis 19.30 Uhr. Zu Beginn des Trainings übt jeder für sich: vorwärts-, rückwärts- und hinterm Sattel fahren, Pendeln und Gliding, Springen und Einbeinfahren. Anschließend arbeiten die Mädchen an der gemeinsamen Choreographie, die sie an verkaufsoffenen Sonntagen in der Fußgängerzone, beim Sommer- und Laternenfest der Turnerschaft Harburg und zur Weihnachtsfeier in der Woellmerstraße vorführen. „Neue Figuren gehen wir erstmal zu Fuß ab, damit es später auf dem Einrad keine Zusammenstöße gibt“, sagt Cornelia Eggers.
Darüber hinaus gebe es klare Kommandos, nach denen sich die Fahrerinnen richten. „Stern“ zum Beispiel bedeutet, dass sich die Mädchen in der Mitte an den Händen fassen und im Kreis fahren. Bei der „Kutsche“ fahren sie zu zweit und Arm in Arm hintereinander, wobei der andere Arm auf die Schulter der Vorderfrau gelegt wird. Die Mädchen korrigieren sich gegenseitig, die Älteren helfen den Jüngeren.
Wiebke Toll ist eine von ihnen. Sie ist 22 Jahre alt, ein As auf dem Einrad und kommt von der Einradgruppe „Hipp-Hipp-hurrad“ des TSV Winsen, die sich vor einigen Jahren mit den „Roadrunners“ zur „Einradgemeinschaft Süderelbe“ zusammengeschlossen hat. Gemeinsam fahren sie beim Scharmbecker Erntefestzug und beim Run for Help in Winsen mit. Darüberhinaus unterstützen sie sich gegenseitig bei Auftritten.
Die ersten Erfahrungen auf dem Einrad machen die meisten Mädchen allerdings zuhause. „Sie üben am Band einer Wäschespinne im Kreis oder mit Hilfe eines Einkaufswagens“, sagt Cornelia Eggers. „Auch Zäune und Hecken dienen als Einstiegshilfe.“ Die Trainerin weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer die Anfänge sind. Ein Jahr, nachdem sie als Trainerin begonnen hatte, beschloss sie, doch noch das Einradfahren zu lernen.
Sie war damals Anfang 20. Und blitzschnell war ihr klar, dass es beim Einradfahren nicht nur um Willen und Geduld, sondern vor allem um Fitness geht. Geschult werden Kondition, Koordination, Konzentration und Körpergefühl. „Einradfahren ist eine Bewegungskunst, die sich positiv auf Körper, Geist und Seele auswirkt. Dabei spielen vor allem viel Geduld, Ausdauer und Konzentration zum Erlernen der Tricks eine wichtige Rolle“, sagt Cornelia Eggers. „Geschult wird beim Training zudem die Körperbeherrschung. Alle Muskeln von Kopf bis Fuß werden aktiviert. Gerade im Wachstumsalter beugt das Einradfahren Haltungsschäden vor.“
Die Trainerin hat rückblickend immer wieder feststellen müssen, dass viele Kinder, die kommen, wichtige Koordinationsübungen zu Beginn des Trainings gar nicht umsetzen können. „Ihnen fällt es schwer, einen Arm vorwärts, den anderen rückwärts kreisen zu lassen, selbst dann, wenn sie nicht auf dem Einrad sitzen. Auch einen Hampelmann können viele von ihnen gar nicht mehr.“ Die Mädchen aus der Einradgruppe haben mit solchen koordinatorischen Herausforderungen keine Probleme mehr. Sie absolvieren klassische Übungen sogar auf dem Einrad, werfen sich Bälle zu, fangen sie auf.
Jüngste Anschaffung istdas Twin-Einrad für zwei
Trainiert wird dabei vor allem der Gleichgewichtssinn, in dem die Mädchen auf einer Linie fahren, die auf den Boden gemalt ist. „Wir können das Ganze noch steigern, indem wir sie auf einer umgedrehten Bank fahren lassen“, sagt Cornelia Eggers. „Und wer es auf die Spitze treiben will, fährt mit dem Einrad über eine Slackline.“ Jüngste Anschaffung der Gruppe ist das Twin-Einrad, bei dem zwei separate, eigenständige Einräder mit einer Stange miteinander verbunden sind. Während der eine Fahrer tritt, kann der andere auf dem Sattel Akrobatik machen. Lena und Alexandra machen vor, wie das geht. Während die eine Gas gibt, hockt sich die andere im Schneidersitz auf den Sattel und streckt die Arme aus. Die Übung funktioniert. Die Mädchen strahlen übers ganze Gesicht.
Eineinhalb Stunden dauert das Training für die Jüngeren und jene, die noch am Anfang stehen. Wer bereits so gut fahren kann, dass er die Choreographien der Älteren mitmachen kann, bleibt noch eine Stunde länger. Gemeinsam üben sie dann für die norddeutschen Meisterschaften oder das Rendezvous der Besten. Wobei es den Roadrunners ausdrücklich nicht ums Gewinnen geht, sondern darum, sich ein Feedback einzuholen und neue Ideen zu sammeln. Derzeit üben sie, wie beim Cheerleading, an einer Pyramide, wobei eine besondere Erschwernis hinzukommt: Die tragenden Säulen stehen nicht mit beiden Beinen auf der Erde. Sie sitzen im Sattel auf einem einzigen Rad und wenn die Pyramide steht, treten sie in die Pedalen.
Das Einrad
Das Einrad hat seinen Namen aus dem offensichtlichen Grund, dass nur ein Rad des Einrades den Boden berührt.
Ein Einrad wird ausschließlich durch die Muskelkraft seines Fahrers im Gleichgewicht und somit auch aufrecht gehalten.
Die Radgröße geht von 12 Zoll bis hin zu Einrädern mit 50 Zoll, wobei die Größen mit 20 und 24 Zoll am verbreitetsten sind.
Der Aufbau eines Einrads entspricht dem eines Fahrrads, allerdings hat ein Einrad eine spezielle Radnabe, in der die Achse eingepasst ist. Über die Tretlagerwelle sind die Kurbeln fest mit der Nabe verbunden. Durch diese Eigenheit wird die Drehung der Pedale eins zu eins auf das Rad übertragen.
Das Gesamtsystem aus Fahrer und Einrad kann als eine Art inverses Pendel gesehen werden, dessen Schwerpunkt sich oberhalb des Drehpunktes befindet. Dadurch ist der Einradfahrer stetig gezwungen aktiv das Gleichgewicht auszubalancieren. Dabei sitzt er freihändig und möglichst lotrecht über der Radnabe auf dem Sattel.
Im Gegensatz zu früher, als das Einradfahren hauptsächlich von Clowns und Artisten im Zirkus betrieben wurde, hat sich Einradfahren heute zu einer stetig wachsenden Sportart entwickelt. Infos: www.einrad.pro
Das Training
Beim Einradfahren gibt es keine Altersgrenze. Jeder kann es lernen. Empfohlen wird ein Mindestalter von fünf bis sechs Jahren, da die Konzentration in dem Alter bereits länger aufrecht gehalten werden kann.
Das Verletzungsrisiko ist beim Einrad geringer als beim Fahrrad. Zu einem Sturz kommt es selten. Da sich die Position des Fahrer nicht wie beim Fahrrad innerhalb des Gefährts befindet, ist das Einrad bei einem Abgang nicht im Weg. Der Fahrer kommt in den meisten Fällen mit den Füßen auf.
Die Turnerschaft Harburg bietet dienstags von 18 bis 19.30 Uhr Training für Kinder und Jugendliche in der Halle der Schule Woellmerstraße an. Fortgeschrittene trainieren bis 20.30 Uhr. Die Weihnachtsaufführung findet am 18. Dezember um 19 Uhr in der Sporthalle Woellmerstraße statt. Infos: www.tshsport.de
Die Einradgruppe Hipp-hipp-Hurrad vom TSV-Winsen trainiert freitags von 18.30 bis 20 Uhr in der Sporthalle der IGS Rämenweg in Roydorf. Erwachsene und Fortgeschrittene treffen sich von 20 bis 21.30 Uhr. Infos: www.hurrad.de