Andy Engel zeigt Ärzten in der Helios Klinik, wie Brustwarzen per Tätowierung scheinbar perfekt wieder hergestellt werden können
Als die Ärzte das Implantat setzen, spürt Susanne Berg, dass jetzt alles gut wird. Und sie Frieden finden wird nach dieser Odyssee. Ein ganzes Jahrzehnt hat dieser steinige Weg gedauert. Von der ersten Diagnose Brustkrebs bis zum Tag, als Susanne Berg vor Andy Engel sitzt. Der Star-Tätowierer wird ihre mit der Brust entfernten Brustwarzen rekonstruieren und ihr das Gefühl zurückgeben, ein ganzer Mensch zu sein.
Andy Engel ist einer der Besten in seinem Metier. In sein Studio in Franken kommen Menschen aus ganz Deutschland, Europa, den USA, um sich ein fotorealistisches Porträt stechen zu lassen. Engel ist für die nächsten acht Jahre ausgebucht. Und dennoch nimmt sich der 46-Jährige einen Tag pro Woche aus dem „normalen“ Geschäft. Dann tätowiert er ausschließlich Frauen, die an Brustkrebs erkrankt und therapiert sind, neue Brustwarzen. Dabei handelt es sich um zwei fotorealistische Tattoos, die die mit Implantaten rekonstruierte Brust optisch vervollständigen.
Für Susanne Bergs Tätowierung haben sich Andy Engel und seine Kundin an diesem Tag in der Helios Klinik Mariahilf verabredet. Sie wollen die Behandlung dazu für eine Demonstration vor Hamburger Ärzten nutzen und erreichen, dass diese das Angebot kennenlernen und an ihre Patientinnen vermitteln können.
Es ist Mittwoch-Abend, kurz nach 19 Uhr. Im großen Konferenzraum der Villa Meyer auf dem Gelände der Klinik haben sich rund 20 Interessierte versammelt. Ärzte und Krankenschwestern, Pflegekräfte, Patienten und Menschen, die vielleicht selbst einmal die Hilfe von Andy Engel benötigen werden.
Als Vorlage für die Brustwarzen hat der Tätowierer eine Reihe von Brustporträts gesunder Frauen mitgebracht, aus der Susanne Berg wählen kann. „Diese wird zunächst abgezeichnet und anschließend auf die Brust kopiert“, erklärt Andy Engel. „Dabei gleiche ich mit der richtigen Positionierung Höhen-, Haut- und Brustunterschiede aus.“ Doch nicht nur auf die Position, sondern auch auf die richtige Farbkombination kommt es an. Ein ganzes Brustwarzen-Farb-Set hat sich der Vater zweier Kinder von einer renommierten Firma für diese Tätowierungen anfertigen lassen. Ein letzter Blick in den Spiegel. Susanne Berg hebt beide Daumen. Andy Engel taucht die Nadel in die Farbe und beginnt zu stechen. Mit einer dünnen Nadel zeichnet er die Konturen der Brustwarzen nach. Anschließend füllt er die Flächen aus, setzt pro Sekunde mehrere Stiche. Susanne Berg fühlt ein dumpfes Trommeln in der Haut. Dann blendet der Körper den Schmerz aus. Sie blickt in die Runde und lächelt.
Susanne Berg hat ein Martyrium hinter sich. Vor zehn Jahren erkrankte sie an Brustkrebs. Die Ärzte stellten in der linken Brust einen Tumor fest, den sie brusterhaltend entfernen konnten. Dann der Schock. Im März 2017 wurde ein neuer Tumor in der Brust gefunden. Vorsorglich ließ sie sich beide Brüste amputieren, weil eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand, dass der Krebs zurückkehren könnte. Der anschließende Wiederaufbau hinterließ Narben. Wo früher Brustwarzen waren, blieb fahle Haut. „Für mich war das keine Brust mehr“, sagt Susanne Berg. „Ich fühlte mich einfach nicht komplett.“ In einer schlaflosen Nacht begann sie zu recherchieren, stieß schließlich im Internet auf die Brustwarzenrekonstruktion durch Tätowierung. Am nächsten Morgen rief sie Andy Engel in seinem Studio an. „Können Sie mir helfen, mich wieder ganz zu fühlen“, fragte sie ihn.
Den an Brustkrebs erkrankten Frauen zu helfen, ist Andy Engel eine Herzensangelegenheit. „Vor zehn Jahren erkrankte eine Stammkundin“, erzählt er. „Sie bat mich, die verlorene Brustwarze mit einer dreidimensionalen Tätowierung zu rekonstruieren. Ihre Begeisterung über das Ergebnis verbreitete sie über den Bayerischen Rundfunk.“ Diesen Beitrag hörte Dr. Andreas Kramer, Gynäkologe an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg. Der Arzt nahm Kontakt zu Andy Engel auf. Kurze Zeit später schloss das zertifizierte Brustzentrum Main-Tauber einen Kooperationsvertrag mit dem Tätowierer.
Brustwarzen-Rekonstruktion dauert knapp drei Stunden
Inzwischen hat der Franke seine Kooperationen ausgeweitet. Die Uniklinik Würzburg, das Leopoldina Krankenhaus Schweinfurt, das Brustzentrum Tuttlingen und Bad Mergentheim gehören dazu. Nächster Partner könnte die Helios Mariahilf Klinik sein. Sie wäre die erste Klinik in Hamburg, die ihren Patientinnen eine solche Behandlung anbietet.
Susanne Berg kommt aus Timmendorf und ist froh, dass sie das Angebot hier im Norden nutzen kann. Dass sie an diesem Abend Zuschauer hat, stört sie nicht. „Ich wünsche mir, dass möglichst viele Frauen von dieser Methode erfahren“, sagt sie. Auch, weil nur dann der Druck auf die Krankenkassen erhöht werden könne, wenn immer mehr Patientinnen die Leistung anfordern. Bislang ist das Angebot — 833 Euro kosten die Rekonstruktions-Tattoos pro Brust — keine reguläre Kassenleistung. „Gewöhnlich muss ein Antrag bezüglich der Kostenübernahme durch die Krankenkasse gestellt werden“, sagt Andy Engel. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die Krankenkassen in 60 bis 70 Prozent der Fälle für die Kosten aufkommen.
Knapp drei Stunden dauert die Rekonstruktion der Brustwarzen in 3D-Optik. Stück für Stück färbt sich die Haut auf der Mitte der Brust, entstehen durch verschiedene Farben und Schattierungen Brustwarze und Warzenvorhof. Die Zuschauer applaudieren begeistert. „Tatsächlich sieht man keinen Unterschied zur ursprünglichen Brustwarze“, sagt Dr. Christoph Großmann, ärztlicher Leiter des Brustzentrums an der Helios Mariahilf Klinik. Großmann war es, der Andy Engel nach Hamburg eingeladen hatte, als er von seinen ehemaligen Kollegen aus Würzburg von seinem Angebot erfuhr. „Ich wollte wissen, ob wir das Angebot guten Gewissens unseren Patientinnen empfehlen können“, sagt er und nickt zufrieden. „Sehr schön.“
Ein letztes Mal wischt Andy Engel mit einem Tuch über die tätowierte Brust, reicht Susanne Berg einen Spiegel. Sie zittert, als sie den Kopf hebt und zum ersten Mal ihre neue, komplette Brust sieht. Dann lässt sie den Spiegel sinken, beginnt zu weinen vor Glück und Erleichterung. Die Odyssee hat ein Ende. „Endlich bin ich wieder ganz“, sagt sie leise. Und dann ruft sie, dass alle im Saal es hören können: „Vielen, vielen Dank! Das bin wieder ich!“