Harburg/Neu Wulmstorf. Jugendliche aus Neu Wulmstorf und Harburg stiften 14 der insgesamt 24 neuen Stolpersteine im Bezirk
Es sind Zitate, die es in sich haben. „Wer die Augen vor der Vergangenheit schließt, wird blind für die Zukunft“, hat der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker gesagt. „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt“, stand auf dem 5. Flugblatt der Weißen Rose, einer Gruppe von Widerstandskämpfern um die Geschwister Hans und Sophie Scholl (beide hingerichtet im Februar 1943). Gabriele Bock, Lehrerin der Oberschule Neu Wulmstorf, erinnerte gestern im Rieckhof an diesen Satz. Anlass der Gedenkstunde dort war die Verlegung weiterer 24 Stolpersteine in Harburg. Jeder einzelne erinnert an das Schicksal und Leid von Harburgern, die von Nazis ermordet worden sind. Aktuell gibt es 231 solcher Steine, verteilt im gesamten Bezirk.
Die Idee der Stolpersteine, angestoßen von dem Kölner Künstler Gunter Demnig, hat die Initiative Gedenken in Harburg vor nunmehr 15 Jahren aufgegriffen. Das Besondere gestern war die Tatsache, dass von den 24 neuen Steinen vierzehn von Schülern der Oberschule Neu Wulmstorf und des Regionalen Bildungs- und Beratungszentrums Harburg finanziert – pro Stein werden 120 Euro benötigt – worden sind. Und nicht nur das. Die Jugendlichen haben in akribischer Detektivarbeit die Schicksale jedes einzelnen Opfers recherchiert und dokumentiert. Vor allem die Oberschule Neu Wulmstorf hat dabei Maßstäbe gesetzt. „Dass eine Schule die Patenschaft gleich für zehn Stolpersteine übernimmt, das hatten wir noch nie“, sagte Klaus Möller von der Initiative Gedenken in Harburg. Fakt ist: Gesellschaftliches Engagement und kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Vorkommnissen, gehören an dieser Schule zum Alltag. Erst im vergangenen Jahr wurde sie als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgezeichnet.
Hinschauen statt wegsehen, Handeln statt bequemer Anpassung, darum ging es in einer Projektwoche, bei der Gabriele Bock das Thema Stolpersteine in den Mittelpunkt gestellt hatte. Dass die Schüler jetzt die Patenschaft für zehn dieser Steine in Harburg übernehmen, ist das Ergebnis und Ausdruck einer unerschütterlichen Überzeugung von Gabriele Bock: „Gleichgültigkeit können wir uns nicht leisten!“
Florian Schneider, Pastor der Lutherkirchengemeinde in Neu Wulmstorf, teilt diese Auffassung. Er war als Gedenkredner geladen und mahnte eindringlich: „Wenn wir uns nicht erinnern, werden wir zu Komplizen der Täter von damals.“ Es gehe darum, den Menschen, denen die Nazis auf grausame Weise alles genommen haben, von der Würde bis hin zum Leben, wenigstens ihren Namen zurückzugeben: „Das tun wir heute.“
Den Opfern müsse ein Gesicht gegeben werden. Damit jeder gewahr werde: Sie waren so vieles mehr. Sie waren Mütter, Väter, Kinder. Handwerker oder Hausfrauen. Lehrer oder Ärzte, Menschen eben. „Wir dürfen nicht stehenbleiben beim Mitleid“, sagte Schneider. Erinnerung müsse vielmehr rational gesteuert sein. Dazu gehöre das Erforschen und die Suche nach biografischen Details: „Gerade sie machen einem den Wahnsinn bewusst.“ Nicht auszuhalten, dass es aktuell wieder Menschen gibt, die sich aus dieser Erinnerungskultur ausklinken, sogar den Holocaust verleugnen! Schon einmal, sagt Pastor Schneider, habe Entmenschlichung von Opfern mit sprachlichen Entgleisungen begonnen: „Passt auf eure Worte auf.“
Wenn Mitschüler oder sonst wer als „Juden“ oder „behindert“ bezeichnet werden, dann ist das eine solche Entgleisung, die von harmlos so weit entfernt ist, wie ein Nazi vom Gutmensch.
„Das Erinnern“, sagt Pastor Schneider, „gehört in die Mitte der Gesellschaft“. Genau dahin, wo kein Platz sein darf für braunes Gedankengut, Fremdenhass und Antisemitismus.