Harburg. Die erste Sitzung der Bezirksversammlung mit wechselnden Mehrheiten hat die Harburger Fraktionen wachgerüttelt

Mit Spannung hatten Beteiligte und Beobachter auf die erste Sitzung der Bezirksversammlung nach dem Ende der Großen Koalition und ganz ohne feste Bündnisse gewartet. Würde mit wechselnden Mehrheiten jetzt das Chaos ausbrechen, wie einige befürchteten, oder würde eine ganz neue Dynamik in das Gremium einziehen? Letzteres war der Fall, und am Ende des Dienstagabends waren alle Parteien zufrieden über die neuen Verhältnisse im Harburger Rathaus.

„Das war so ganz anders als sonst“, freut sich Kay Wolkau, Fraktionsvorsitzender der Neuen Liberalen (NL). „Es war schön, so eine Aufbruchstimmung zu erleben. Das ist erfrischend und tut der Bezirkspolitik gut.“

Auffallend: So lange die Redezeit reichte wurde über jeden einzelnen Antrag lange und ausführlich und bis auf wenige Ausnahmen auch sachlich diskutiert wurde. Es wurden auch weniger Anträge abgelehnt, als sonst. Wahrscheinlich hat auch das Kay Wolkau gefreut: Wechselnden Mehrheiten sei Dank wurde der NL-Antrag, eine Machbarkeitsstudie zur U-Bahn-Anbindung von Harburg zu fordern trotz der Ablehnung der SPD angenommen. In Groko-Zeiten hätte auch die CDU dagegen gestimmt – obwohl die U-Bahn Teil des Koalitionsvertrags war.

„Das war das erste Mal in den zehn Jahren, die ich in der Bezirksversammlung bin, dass ich nicht das Gefühl hatte, dass alles schon vor der Sitzung entschieden war“, sagt der FDP-Abgeordnete Carsten Schuster. „So kann das weitergehen.“

Auch bei denen, die zuvor gemeinsam die Macht hatten, alles niederzustimmen, was ihnen nicht in den Kram passte, kommt keine allzu große Wehmut nach Zeiten der Koalition auf: „Diese Sitzung war zum Teil erheiternd“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Heimath. „Zum Teil aber auch nicht, wenn es noch um persönliche Gekränktheiten ging.“

Er spielte damit auf den rhetorischen Angriff der CDU-Abgeordneten Britt-Meike Fischer-Pinz auf die SPD an, als es um den gemeinsamen Antrag von SPD, Grünen und Linken ging, den Bedarf an Kita-Plätzen im Bezirk quartiersgenau zu erfassen. „In der Koalition hat sich die SPD stets geweigert, das Thema anzugehen, und jetzt machen Sie es auf einmal“, hatte sich Fischer-Pinz beim Ex-Koalitionspartner beschwert. „Wir müssen in dieser Situation sachlich bleiben“, sagt Jürgen Heimath. „Wenn die Ergebnisse am Ende für sich sprechen, sind die wechselnden Mehrheiten gut für das Ansehen der Harburger Bezirksversammlung.“ Zumal das Gremium aufgrund seiner Zusammensetzung auch nördlich der Elbe beobachtet wird.

Heimaths ehemaliges Fraktionschef-Pendant in der Großen Koalition, Ralf-Dieter Fischer, sprach der Sitzung Unterhaltungswert zu: „Das war amüsant“, sagt er, „vor allem war es interessant zu sehen, welche Mehrheiten sich bei welchen Themen bildeten.“ Fischer hat auch Grund zur Zufriedenheit: Fast alle CDU-Anträge kamen durch. Lediglich die CDU-Forderung nach einem Verkehrskoordinator wurde bei einem 23:23-Stimmenpatt abgelehnt. In der Sache ist das aber kein Verlust, denn der Zusatzantrag der SPD, diesen Verkehrskoordinator beim Bezirksamt anzusiedeln, wurde angenommen.

„Wir haben uns bewusst etwas zurückgehalten“, sagt Fischer. „Und wir werden uns auch bei der nächsten Sitzung zurückhalten und beobachten. Dann entscheiden wir uns, wie wir mit dieser Situation strategisch umgehen.“

Dass sein Vize Uwe Schneider mehrmals betont hatte, dass ab der nächsten Wahl wieder eine Große Koalition gebildet würde, sieht Fischer nicht als Widerspruch. „Es steht ja zu befürchten, dass nach der nächsten Wahl die Mehrheitsverhältnisse wieder keine ander Wahl lassen“, sagt er. „Eventuell reicht es aber auch nicht einmal für eine schwarz-rote Mehrheit. Dann sind wechselnde Mehrheiten wohl besser als feste Bündnisse mit vielen Beteiligten.“

Voll zufrieden mit der Sitzung war Britta Herrmann von den Grünen, eine der ersten Befürworterinnen wechselnder Mehrheiten: „So habe ich mir das gewünscht, so kann es weitergehen“, sagt sie.

Auch der Linken-Fraktionsvorsitzende Jörn Lohmann freut sich „Dass überhaupt Anträge von uns durchkommen, ist schon ein Kulturschock“, sagt er. „Aber dass die CDU so viele unserer Anträge unterstützt, ist interessant.“