„Die Fitmacher“-- Heute: Christopher Hirch und Friederike Schrödter, die Kinder und Jugendliche lehren, mit dem Wind zu spielen.
Das Boot fährt mit rasanter Geschwindigkeit von Backbord auf die Boje zu. Skipper Peer luvt an und dreht den Bug durch den Wind. Das Team wechselt die Position, die Segel flattern kurz und ziehen auf die andere Seite. Jetzt kommt der Wind von Steuerbord. Peer und Louise sind zufrieden. Das Manöver ist geglückt. Das Boot nimmt Fahrt auf. „Zieh die Schot dichter, drück die Pinne weg“, ruft Übungsleiter Christopher Hirch durch sein Megafon.
Das hellgraue Segelboot saust durch das glasklare Wasser. Die Gischt spritzt den Jugendlichen ins Gesicht. Am Ufer gleiten Bäume, Büsche, Wiesen vorbei. Postkartenidylle in Harburg. Diese liegt zwischen Autobahn 1, Gewerbegebiet Großmoorbogen und den Wiesen von Gut Moor, ist 48 Hektar groß und mit 20 Metern Tiefe und vier Millionen Kubikmeter Wasser das perfekte Revier für die Sportler der Segelvereinigung Sinstorf (SVGS).
Hier, auf dem Neuländer See, hat der Verein vor vier Jahren sein neues Clubhaus samt Bootshalle bezogen. Seitdem werden mitten im Landschaftsschutzgebiet die Segel gehisst und die Kräfte des Windes als sportliche Herausforderung oder Mittel zur Entspannung genutzt.
Doch wer in Harburg segeln möchte, muss sich erstmal auf die Suche machen. Denn die Anlage der Segelvereinigung Sinstorf liegt nicht, wie vermutet, im selbigen Stadtteil, sondern einige Kilometer davon entfernt, in Neuland, am Fünfhausener Landweg 128. Versteckt hinter dem gewaltigen Gebäude des Neuländer Betonwerks, hinter hohen Hecken und einem ebenso hohen Eisentor liegt das Areal des Vereins, der die rund 10.000 Quadratmeter große Fläche gemeinsam mit dem Angelsportverein Harburg-Wilhelmsburg und der Hamburger Schulbehörde nutzt.
Um einen gepflasterten Platz mit Grill und Bänken gruppieren sich vier kleine, bunt angestrichene Holzhäuser mit begrünten Dächern. Über die 1500 Quadratmeter große Wiese, vorbei an der grünen Bootshalle, geht es zu den zwei Stegen sowie der Sliprampe. In der Ferne tönt das Rauschen der Autobahn, vom See weht das Kreischen der Wasservögel herüber. Die Rotoren der Windräder am Ostufer des Sees drehen sich kräftig.
Christopher Hirch und seine Kollegin Friederike Schrödter begrüßen die Kinder und Jugendlichen, die an diesem Nachmittag zum Jollentraining kommen. Anfänger und Fortgeschrittene. Der Jüngste ist elf, die Älteste 15 Jahre alt. „Bevor’s auf’s Wasser geht, vermitteln wir an Land die wichtigsten Sicherheitsregeln, wie zum Beispiel das richtige Verhalten bei Kenterungen“, sagt Christopher Hirch, den alle am Steg nur Chris nennen.
Der 22 Jahre alte Tostedter begleitet die Kinder und Jugendlichen im Motorboot. Nicht nur, um Trainingsanweisungen aus der Nähe zu geben, sondern auch, um bei Bedarf schnell Hilfe leisten zu können. Der Theologiestudent segelt selbst seit neun Jahren. „Meine Eltern wollten, dass ich Sport mache. Und weil ich damals zwei linke Hände hatte und keinen Ball fangen konnte, haben sie mich zum Segelkurs angemeldet“, erzählt er mit einem Augenzwinkern.
Damals lag der Vereinssitz der Segelvereinigung noch in Wilstorf in einem Container am Außenmühlenteich. Trainiert wurde dort in kleinen Ein-Mann-Booten, den Optimisten. Die Älteren mussten zum Jollentraining an die Alster fahren. Erst 2014 konnte der Verein sein Revier an den Neuländer See verlagern. Seitdem trainieren alle gemeinsam in Neuland.
Zur Flotte gehören nicht nur die Optimisten mit ihren bunten Segeln, sondern auch Boote der Klasse „RS Feva“. „Diese Boote sind speziell für Jugendliche konzipiert, die keine Vorerfahrungen haben oder bisher Optimist gesegelt sind, also Umsteiger“, sagt Friederike Schrödter. „Sie werden mit zwei Personen gesegelt und verfügen neben Fock und Großsegel auch über einen Gennaker.“
Die 21-Jährige, die mit sechs Jahren das erste Mal im Segelboot saß, ist Expertin, was diese Bootsklasse betrifft. Mit zwölf Jahren schenkte ihr Vater, der sich seit Vereinsgründung 1981 für den Segelsport in Harburg engagiert, ihr eine eigene Feva. Das Boot hat die Familie seitdem auf Nord- und Ostsee begleitet.
Darüber hinaus steht es den Seglern des Vereins zur Verfügung. Friederike, die im dritten Semester Bauingenieurwesen studiert, ist mit ihrer Jolle schon viele Regatten gefahren, bis hin zur Weltmeisterschaft in Travemünde. Das war 2015. Und weil sie diesen Sport liebt, gern mit Gleichgesinnten ihre Zeit an Land und auf dem Wasser verbringt und es mag, immer wieder neue Herausforderungen im Boot zu meistern, engagiert sie sich seit vier Jahren auch als Trainerin im Verein.
An den Wochenenden fährt die Studentin regelmäßig mit den Segelschülern zu Regatten an die Ostsee, Schlei und auf den Wittensee. Im vergangenen Jahr waren sie mit drei Booten und sechs Kindern in Holland zur Weltmeisterschaft. 2019 soll es im Juli nach Italien gehen. Dafür wird trainiert. Von April bis Oktober, bei Wind und Wetter.
Etwa eine halbe Stunde brauchen die Segelschüler, um die Boote klar zu machen. Währenddessen markiert Friederike Schrödter mit ein paar Bojen den Segelkurs auf dem Wasser, Christopher Hirch hilft beim Trimmen der Segel. Dann geht es los. Die Schüler tragen Neoprenanzüge und Schwimmwesten.
„Denn Sicherheit geht vor“, sagt die Trainerin. „Bei uns darf keiner ohne Weste raus. Und gesegelt wird grundsätzlich in der Gruppe.“ Während die Schüler auf dem Wasser ihren Horizont erweitern, fährt das Trainerteam mit dem Elektromotorboot von Jolle zu Jolle, gibt Tipps und Kommandos: „Segel dichter, Pinnenausleger benutzen, weiter nach vorn setzen!“
Besonderes Augenmerk haben die Trainer auf Peer Schrödter und Louise Masuhr gelegt. Die beiden schnitten bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr als zweitbestes deutsches Team in ihrer Bootsklasse ab, belegten insgesamt den 127. Platz. Im kommenden Jahr wollen sie ganz vorn dabei sein. „Segeln ist so facettenreich wie kaum eine andere Sportart“, sagt die Schülerin.
„Ich mag die Auseinandersetzung mit der Natur, mit dem Material und mit Menschen.“ Vor allem aber gefällt ihr die Gemeinschaft, das gesellige Beisammensein der Mitglieder, die sich regelmäßig an den Wochenenden am See treffen, gemeinsam die Segel hissen, den Grill anschmeißen oder einfach nur Fußball spielen. Rund 80 sind es derzeit, davon ein Großteil Kinder und Jugendliche.
Diese treffen sich auch in den Wintermonaten, wenn das Wetter zu rau ist, um mit dem Boot aufs Wasser zu gehen. Dann werden Boote repariert, Gartenarbeiten gemacht oder in dem kleinen Vereinsheim Theorie gepaukt und bei Saft, Kaffee und Kuchen auf die vergangene Saison zurückgeblickt. Die ganz Hartgesottenen allerdings gehen einmal im Jahr auch bei Minusgraden aufs Wasser. Bei der vereinseigenen lesjökelregatta „trotzen sie den Elementen, weichen Eisschollen aus und ringen Eisbären nieder“, heißt es im Jahresbericht des Vereins.
Gewonnen hat 2017 und 2018 Trainerin Friederike Schrödter. Statt eines Pokals gab es einen Eiszapfen. Und zum Aufwärmen eine heiße Erbsensuppe. Spätestens im März bereiten sich die Segler dann in der Turnhalle auch körperlich wieder auf die Saison vor. Bevor es nach den Hamburger Märzferien dann heißt: „Leine Los - klar zum Ablegen!“
Die Ausbildung
Die Segelvereinigung Sinstorf e.V. wurde 1981 gegründet mit dem Ziel, Schüler, Eltern und Lehrer des Sinstorfer Gymnasiums an den Sport heranzuführen. Seit mehr als 30 Jahren liegt der Fokus auf der Jugend- und Jüngstenausbildung.
Mittelpunkt des Vereinslebens ist das Wassersportzentrum Neuländer See. Dort können die Jüngsten das Segeln in den Optimisten-Jollen ab acht Jahren erlernen.
In den Optis sind die Kiddies ihre eigenen Schiffsführer; sie müssen steuern, auf den Wind achten und die richtige Segelstellung wählen. Mit ungefähr 13 Jahren steigen die jungen Segler auf die Jollen um.
Das Training findet im Sommerhalbjahr wöchentlich (außerhalb der Ferien) statt. In allen aktuellen Gruppen sind noch Ausbildungsplätze frei. Weitere Informationen gibt es im Internet: www.svgs-hamburg.de
Das Revier
Der Neuländer See ist nach der Außenalster und dem Hohendeicher See das drittgrößte Segelrevier der Stadt — die Elbe ausgenommen.
Von 1960 bis 2000 hatte die Firma Neuland Beton Sand und Kies abgebaut, wodurch der See entstanden war. Anfang des Jahrhunderts gründeten der Angelsportverein, die Seglervereinigung Sinstorf und das Immanuel-Kant-Gymnasium die „Umwelt- und Wassersportgemeinschaft Neuländer See“. 2009 begannen die Bauarbeiten, die von der Schulbehörde und Stadtentwicklungsbehörde mit 780.000 Euro unterstützt wurden. Der Bezirk Harburg gab 120.000 Euro.
Das Zentrum wird heute von Schulen für den Biounterricht und Schulsport genutzt. Wassersportler können den Segelsport zu erlernen. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Voraussetzung allerdings ist der Freischwimmer.