Hamburg . Friedrich-Ebert-Gymnasium und Helms-Museum präsentieren Architektur der Heimfelder Schule und Veranstaltungshalle.
Im Herzen von Heimfeld steht ein Gebäudeensemble, das bei seiner Einweihung 1930 für Furore sorgte und auch heute noch über den Stadtteil hinaus strahlt: die Schulgebäude des Friedrich-Ebert-Gymnasiums (FEG) und die Friedrich-Ebert-Halle, in der vor allem Konzerte, aber auch Comedy und Ballett geboten werden.
Der wuchtige Backsteinkomplex, den manche Laien fälschlicherweise als Nazi-Bau einordnen, entstand Ende der 1920er Jahre und markiert eine Zeitenwende in der Architektur und Didaktik. Das Stadtmuseum Harburg/Helms-Museum hat dem eine Ausstellung gewidmet, in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern des Projektes „Begabtenpiloten“ am FEG.
Die Architektur sei ein Paradebeispiel für das „Neue Bauen“ in der Weimarer Republik, sagt der Stadthistoriker Jens Brauer. Die Kunstrichtung neue Sachlichkeit und die Bauhausarchitektur gehörten dazu. Brauer: „Das Gebäude ist schlicht und sachlich gegliedert. Es hat hohe Fenster, durch die viel Licht einfällt – sehr schön zu sehen in den Treppenhäusern mit ihren vertikalen Fensterbändern. Alles ist auf die Funktion ausgelegt.“
Schon vor dem ersten Weltkrieg gab es in der wachsenden preußischen Stadt Harburg-Wilhelmsburg das Bestreben, eine große Schule zu bauen. Doch dann kamen der erste Weltkrieg (1914– 1918) und die nachfolgende wirtschaftliche Not. Das Blatt kehrte sich Mitte der 1920er Jahre: Die Ära der „Goldenen Zwanziger“ brach an. Jetzt war Preußen (und zum kleineren Teil auch die junge, 115.000 Einwohner zählende Großstadt Harburg-Wilhelmsburg) in der Lage, ein Schulkomplex zu bauen, der zum größten öffentlichen Gebäude Harburgs wurde und deutschlandweit Zeichen setzte.
Schultoiletten aus Porzellan, Plumpsklos in Wohnungen
Das Konzept der modernen Architektur „Belüftung und Belichtung“ stand im Kontrast zu den beengten Wohnverhältnissen der damaligen Zeit. Die oberen Stockwerke der beiden Schulgebäude sind zurückversetzt, damit die Schüler ihre Pausen (auch) auf der Dachterrasse verbringen konnten. Lärmschutz war ebenfalls wichtig. So sind die Klassenräume von den Treppenhäusern baulich abgekoppelt.
In den Sanitärbereichen standen Toiletten aus Porzellan – in Zeiten, in denen es in vielen Wohnungen nur ein Plumpsklo gab. Und so wurde der Vorwurf laut, man habe für viel Geld eine Eliteschule erbaut. Dabei sollten alle Bürger von dem Bauwerk profitieren: Es beherbergte die erste Stadtbibliothek, und die Turnhallen wurden auch von anderen Schulen und Vereinen genutzt. Ebenso das „Schulbrausebad“ mit seinen Duschen.
Anno 1928, mitten im Bauprozess, fiel die Entscheidung, die geplante Schulaula zu einer städtischen Festhalle zu vergrößern. Es wurde eine hochmoderne „Multifunktionshalle“ mit Klimatechnik und Kinoeinrichtung, Bühne, Konzertorgel und aufwendiger Beleuchtung. Der Gemeinnutzen des Gebäudes sei den Bauherren wichtig gewesen, die Halle sollte der kulturellen Bildung der Bevölkerung dienen, erläutert Brauer. „Es wurde, ganz sozialdemokratisch, ein Haus fürs Volk gebaut.“
Der wichtigste Protagonist des Baus war der Sozialdemokrat Walter Dudek (1890–1976). Er war von 1925 bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 Harburgs Oberbürgermeister. Brauer: „In der Festschrift Zeitwende nannte Dudek die Einweihung des Gebäudes ein historisches Ereignis. Und das war sie in der Tat.“ In seiner Eröffnungsansprache appellierte Dudek an seine Bürger, dass jeder Harburger, der dazu in der Lage sei, auf ein Gymnasium zu gehen, dies nun auch tun solle.
1930 beherbergten die Gebäude zwei Jungenschulen: Das Stresemann-Realgymnasium (zu Beginn 366 Schüler) und die Kerschensteiner-Oberrealschule (435 Schüler) führten beide zum Abitur. In deren Mitte thronte die Friedrich-Ebert-Halle, benannt nach dem sozialdemokratischen ersten Reichs- präsidenten der Weimarer Republik Friedrich Ebert (1871–1925), der die noch junge parlamentarische Demokratie stärkte und ausbaute.
Ihm wurde mit der Halle ein Denkmal gesetzt. Über dem damaligen Eingangsportal befand sich eine Bronzebüste von Friedrich Ebert. Sie wurde von den Nationalsozialisten entfernt und ist bis heute verschollen.
Keine Drill- und Paukschule, sondern vielseitiger Lernort
Auch die anderen beiden Gebäudenamen zeigen: Zur modernen „Hardware“ gesellte sich entsprechende „Software“. Georg Kerschensteiner (1854–1932) war ein deutscher Pädagoge und der Begründer der Arbeitsschule. Brauer: „Kerschensteiner sah die Schule als Ort des Wissenserwerbs und wollte weg von der gängigen Drill- und Paukschule. Er plädierte dafür, den Erziehungs- und Bildungsprozess an der Entwicklung der Schüler zu orientieren. Zur Wissensvermittlung gehörte das Tun, das Ausprobieren, Experimentieren, mit den Händen (be-)greifen.“
In den Klassenzimmern der beiden neuen Schulen standen keine fest verankerten Pultreihen und Bänke mehr, sondern Tische und Stühle, die sich für Gruppenarbeiten verrücken ließen. Physik- und Chemieräume, Zeichen- und Gesangssäle waren Orte des Ausprobierens. Die Schüler hatten bis zu fünf Stunden Sport in der Woche – Bewegung fördert das Lernen.
Auch der dritte Namensgeber, der sozialdemokratische Reichskanzler und Reichsaußenminister Gustav Stresemann (1878–1929), steht für Fortschritt. Seine Weltverbundenheit war den konservativen Kräften der 1920er Jahre ebenso ein Dorn im Auge wie die Ideen von Ebert und Kerschensteiner.
Nur drei Jahre konnten die Schulen ihr Reformwerk ausführen. Dann kamen die Nationalsozialisten. Die beiden Schulleiter wurden zwangsversetzt, die Zeitenwende rückabgewickelt, Oberschulen und Festhalle umbenannt. Parteinahe Nazis überwachten die Unterrichts- und Freizeitgestaltung. Bei den Bombenangriffen auf Harburg wurde die Friedrich-Ebert-Halle im Herbst 1944 komplett zerstört. Die Schulgebäude blieben weitgehend intakt.
Nach dem Krieg war es wieder Walter Dudek, der „seine“ Friedrich-Ebert-Halle in den Jahren 1948/49 ein zweites Mal errichten ließ. Damals war Dudek Finanzsenator von Hamburg (Harburg-Wilhelmsburg war 1938 der Stadt zugeschlagen worden). Gegen großen Widerstand besorgte er die nötigen Gelder zum Wiederaufbau der Festhalle – in einer Zeit, in der Hamburg in Trümmern lag und immense Wohnungsnot herrschte.
1950 wurde die fast unveränderte neue Halle eingeweiht. Die Schule blieb bis in die 1960er Jahre eine reine Jungenschule. Seit 1968 trägt das Gymnasium wieder den ursprünglichen Namen Friedrich Ebert.
Führungen
Am Tag des offenen Denkmals (Sonntag, 9. September) werden die Schüler der Geschichts-Arbeitsgruppe dreimal durch ihre Schule und die Festhalle führen. Start ist um 14, 15 und 16 Uhr. Dauer: jeweils eine Dreiviertelstunde.
Orgelkonzerte sind am 9. September um 15 und 16 Uhr (jeweils eine halbe Stunde) und von 17 bis 18 Uhr in der Friedrich-Ebert-Halle (FEH) geplant.
Die Ausstellung läuft bis zum Jahresende und kann im Rahmen von Veranstaltungen in der FEH besucht werden. Zusätzlich wird an ausgewählten Tagen von 15 bis 17 Uhr geöffnet sein (Infos folgen unter www.amh.de). Der Kurator und Stadthistoriker Jens Brauer wird an folgenden Freitagen jeweils von 16 bis 16.45 Uhr Führungen anbieten: 14.9., 21.9., 28.9., 19.10., 26.10., 9.11. und 7.12.
Gemeinsame Geschichtsforschung
Die Kooperation vom Museum mit Schülern des Friedrich-Ebert-Gymnasiums
Als Harburgs neuer Stadthistoriker, Jens Brauer, im Frühjahr das Magazin des Stadtmuseums Harburg/Helms-Museum inspizierte, fiel ihm ein großer Karton ins Auge. Er enthielt künstlerisch anmutende Aufnahmen des Harburger Fotografen Kurt Foige (1888–1965). Sie zeigten historische Bilder der Friedrich-Ebert-Halle und der angrenzenden Schulgebäude. Brauer fand sie so beeindruckend, dass er sich vornahm, sie einmal der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Etwa zur gleichen Zeit bildete sich am Friedrich-Ebert-Gymnasium im Rahmen des bundesweiten Projekts „Begabungspiloten“ eine achtköpfige Schülergruppe, die ihre geschichtsträchtige Schule erforschen will. Schließlich reichen die Wurzeln bis ins Jahr 1628 zurück, und das Gymnasium residiert in einem sehr besonderen Gebäudeensemble, das seit fast 90 Jahren eines der Harburger Aushängeschilder ist.
Unter der Anleitung der freiberuflichen Geschichtspädagogin Frauke Steinhäuser machten sich die Schüler der achten bis elften Klassen (heute neun bis zwölf) an die Arbeit. Unter anderem wendeten sie sich an Jens Brauer und fragten nach historischen Aufnahmen von ihrer Schule – es wuchs zusammen, was zusammengehört.
„Es ist erstaunlich, wie viel von dem, was in den 1920er Jahren erdacht und gebaut wurde, noch heute in der Schule vorhanden ist“, sagt Laura Runn (17). „Als wir die Bilder betrachteten, hatten wir bei fast jedem Raum ein Déjà-vu, vor allem bei den Fachräumen, den Fluren und Bibliotheken“, ergänzt Jonathan Adelmann (17). „Ich interessiere mich für Architektur, und da hat unsere Schule viel zu bieten“, antwortet Jesper Eggers (14) auf die Frage, warum er sich in dem Projekt engagiert.
Nun wollen die Schüler mit den Historikern Steinhäuser und Brauer ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit präsentieren. Rechtzeitig zum Tag des Denkmals (9. September) startet heute die Ausstellung „Zeitwende – das Friedrich-Ebert-Gymnasium in Fotografien von 1930“ des Helms-Museums. Am Tag selbst führen die Schüler durch die Gebäude.
„Ich finde es toll, dass die Schüler über ihre Schule erzählen, vor Leuten die voraussichtlich wenig von den geschichtlichen Hintergründen wissen“, sagt Steinhäuser. „Das entspricht dem, was wir wollen“, sagt auch Jens Brauer: „Mit der Stadtgeschichte an die Öffentlichkeit gehen“.