Stöckte. Weil Wohnungen in Hamburg zu teuer sind, hat die Familie auf dem Wasser gebaut – und dabei einen Beruf entdeckt.
Am Deich, wo die Ilmenau in die Elbe fließt, liegt das Zuhause von Jill und Ole Grigoleit. Es ist nicht aus Stein gebaut und hat keine Rosenbeete vor der Haustür. Es hat auch keine akkurat geschnittene Hecke, die das Grundstück vom Grundstück des Nachbarn trennt, keinen Zierrasen und keine gepflasterte Auffahrt für die Familienkutsche. Wer zu den Grigoleits will, muss über eine Brücke und einen Steg gehen, einen großen Schritt nach vorne machen und aufpassen, dass er nicht ins Wasser fällt: Das Ehepaar, beide 33, lebt mit seinen zwei Kindern Line (4) und Morlin (1) sowie Mischlingshund Yola auf einem Hausboot im Stöckter Hafen.
Für die Familie ist das Leben dort ein Traum. „Dieser Blick aufs Wasser!“, schwärmt Ole Grigoleit. Morgens beim Kaffeetrinken kann er die Enten füttern und abends, wenn alle im Bett liegen, wird man sanft in den Schlaf geschauckelt. Die Kinder sind den ganzen Tag an der frischen Luft und spielen auf dem aufgeschütteten kleinen Strandabschnitt am Ufer, schaukeln und rutschen. Eine gefährliche Situation gab es noch nie, die Mädchen haben das Hausbootleben sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, passen gut auf und wissen, dass sie auf dem Steg nur an der Hand laufen dürfen.
Trotzdem hat das Leben auf dem Wasser anfangs wenig mit einem Traum zu tun. Weil das junge Paar in Hamburg vergeblich nach einer geeigneten und bezahlbaren Wohnung suchte, kam Oles Mutter irgendwann die Idee mit dem Hausboot. Keiner von ihnen war jemals ein Hausbootfan gewesen, dennoch dachten sie: Warum nicht? Übers Internet wurden sie tatsächlich fündig. Für circa 6000 Euro kauften sie sich – ehrlich gesagt – einen Schrotthaufen aus Geesthacht, von dem nur noch der Rumpf verwertbar war. „Den Rest des Hausboots mussten wir abreißen“, sagt Jill Grigoleit.
Voller Tatendrang machte sich Ole, der Schiffsmechaniker gelernt, sein Nautik- und Maschinenbaustudium abgebrochen und zuletzt als Messebauer gearbeitet hatte, an den Neubau. Der Autodidakt brachte sich nahezu alles selbst bei, hämmerte Holzbalken zusammen, verlegte Wasserrohre und brachte Dämmmaterial an. Während der Arbeiten wohnte das Paar im Büro des Hafenmeisters. Weil es dort aber ziemlich eng war, zogen sie im Winter 2011 schon vor Fertigstellung in das Hausboot. Sie hatten keine Toilette und sie hatten keine Dusche – egal, Hauptsache es sind die eigenen vier Wände.
Schon bald tat sich aber ein weiteres Problem auf: Wo soll das neue Heim zukünftig hin? „Ein Liegeplatz für 100 Quadratmeter ist ziemlich teuer“, sagt Jill Grigoleit. Ein kleiner Trick brachte die Rettung. Statt für viel Geld einen Platz zu mieten, kauften sie sich im Jahr 2014 gleich einen ganzen Hafen, und zwar den Yachthafen Ilmenau im Winsener Ortsteil Stöckte. Seitdem ist Ole Grigoleit nicht nur Hausbootbesitzer, sondern auch Hafenmeister, zuständig für 50 Liegeplätze. „Das Gute ist, dass sich der Hafen durch die Liegegebühr quasi selbst finanziert“, sagt er.
Um entlastet zu werden, sucht er jetzt aber einen Angestellten, der im Hafen hilft – denn die Grigoleits haben weitere Pläne gefasst. Ole will noch mehr Hausboote bauen, es gibt einige Anfragen von Interessenten, für die er den Traum vom Leben auf dem Wasser umsetzen soll. Ein Prototyp liegt auf der anderen Stegseite, gleich gegenüber von seinem eigenen Hausboot. 16 Monate hat er gebraucht, um Hausboot Nummer zwei fertigzustellen. Ebenfalls fast komplett alleine, aber mit etwas mehr fachlichem Rat von außerhalb. „Beim ersten Boot habe ich einfach drauflosgebaut, beim zweiten habe ich vorher nachgedacht“, fasst er sein Vorgehen mit einem Grinsen zusammen. Boot Nummer zwei ist mit 40 Quadratmetern weitaus kleiner und wird von den Grigoleits als Ferienwohnung vermietet. Es besitzt eine Fußbodenheizung und einen Keller, damit kleinere Reparaturen am Rumpf ohne Probleme ausgeführt werden können. Alles ist aus Holz und riecht noch so richtig nigelnagelneu.
Franziska und Matthias Fleischer mit Madita (3) und Emil (3 Monate) aus Bremen sind die ersten Feriengäste. Sie haben von den Grigoleits über die ZDF-Sendung „37 Grad“ erfahren, als sie dort vor einigen Wochen von ihrem Hausboot-Projekt berichteten. „Wir fanden die Idee, auf einem Hausboot zu übernachten, generell cool und sind total begeistert“, sagt Franziska Fleischer. Das leichte Schaukeln gefalle ihr sehr gut und außerdem verheiße so ein Hausboot weitaus mehr Abenteuer als ein Hotel oder Campingplatz.
Die Grigoleits leben dieses Abenteuer dauerhaft. Jill gefällt es sogar so gut, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen konnte, nach der Elternzeit wieder in ihren alten Job als Redakteurin in Hamburg zurückzukehren. Sie kümmert sich jetzt um die eigene Website und das Marketing. Ansonsten lassen die zwei die Zukunft einfach auf sich zukommen. Die Hausboote und der Hafen, das ist zurzeit ihr Ding. Was später kommt – mal schauen. „Vielleicht leben wir irgendwann mal in einem Baumhaus“, witzelt Ole Grigoleit.