Harburg. Ole Uecker sucht im Landkreis Harburg nach abgestürzten Weltkriegsflugzeugen. 30 bis 40 Wracks müsste es hier geben, schätzt er

Abgestürzt durch deutsche Flugabwehr, in Luftgefechten oder wegen technischer Defekte: Die letzten Überreste von Bombern und anderen Militärflugzeugen, die im Landkreis Harburg im Zweiten Weltkrieg niedergingen, sind mancherorts noch zu finden. Die Arbeitsgemeinschaft Luftarchäologie (AGLA) sucht in ganz Niedersachsen nach Absturzstellen von Weltkriegsfliegern – etwa 800 solcher Orte zwischen Emsland, Lüneburg und Göttingen sind bereits identifiziert. Ein Mitglied der AGLA ist Ole Uecker. Der 22-jährige Archäologiestudent sucht im Landkreis Harburg nach Absturzstellen.

Ein Dutzend Abstürze hat Uecker bislang lokalisieren können – mit geschultem Auge, Metallsonde und nach ausführlicher Vorrecherche. Denn am Ort finden sich meist nur winzige Wrackteile, die von dem Absturz zeugen. „Die Wehrmacht hatte damals die Wracks geborgen. Sie lieferten wertvolle Rohstoffe, die extrem knapp waren. Zudem interessierten sich die Deutschen für die Technik der feindlichen Maschinen“, sagt Jochen Brandt vom Archäologischen Museum Hamburg. Er ist im Landkreis für die Bodendenkmalpflege zuständig und damit der wichtigste Ansprechpartner für Uecker. Ohne Brandts Erlaubnis dürfte der Student gar nicht nach den Hinterlassenschaften suchen.

Ein Lancaster Bomber der britischen Royal Air Force (RAF). Die Bomber waren im Zweiten Weltkrieg im Einsatz über Deutschland.
Ein Lancaster Bomber der britischen Royal Air Force (RAF). Die Bomber waren im Zweiten Weltkrieg im Einsatz über Deutschland. © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / The Times

Bislang war Uecker nur im westlichen Bereich des Landkreises unterwegs – die genauen Fundorte möchte er nicht benennen. Generell sei im Landkreis mit 30, 40 Absturzstellen zu rechnen, die sich etwa zu gleichen Anteilen auf deutsche, amerikanische und britische Maschinen verteilen könnten. Darunter seien viele Bomber der Allierten, sagt Brandt: „Die Maschinen waren groß und schwerfällig und deshalb ein leichtes Ziel. Zudem kamen sie in Pulks. In die hat die Luftabwehr dann hinein geschossen.“

Die Entdeckung seiner ersten Absturzstelle gehe auf einen Augenzeugen zurück, erzählt Uecker: „Der Vater einer Freundin ist Landwirt. Er erzählte mir, dass auf einem seiner Grundstücke im Zweiten Weltkrieg ein Flugzeug abgestürzt sei und konnte den Ort relativ genau beschreiben. Das ist normalerweise nicht der Fall, dann heißt es eher: irgendwo hier auf diesem Hektar“, sagt Uecker.

Tatsächlich fand Uecker bei diesem und anderen Abstürzen auf Ackerflächen einzelne Überbleibsel des rund 75 Jahre zurückliegenden Ereignisses. Es können Blechfetzen oder Plexiglasscherben, Metallteile oder Munition sein. Sehr schnell sei meist herauszufinden, welche Nationalität der Flieger hatte. Mit etwas Glück und den passenden Fundstücken lässt sich der Maschinentyp ermitteln. Alles weitere ist detektivische Kleinarbeit. Manchmal kommt auch der Zufall zu Hilfe. So traf Uecker einen Anwohner, dessen Vater nach einem Absturz das Spornrad (aus Hartgummi, am Heck der Maschinen) aufgelesen und in seine Schubkarre verbaut hat. Die Karre mit dem Rad gibt es noch heute, sie ist aber nicht mehr in Gebrauch.

Aus Unwissenheit fing Uecker bei seinem ersten Fund an zu graben, und siebte Tausende Kleinteile aus dem Boden, darunter die Hälfte eines zerbeulten Typenschildes in deutscher Sprache. Das Puzzle hätte er gar nicht ans Tageslicht fördern dürfen. „Auch Sondengänger mit offizieller Genehmigung, die sich in den Dienst der Archäologie stellen, dürfen nur oberflächlich suchen und nicht graben“, betont Brandt. Aus seiner Sicht stellt die Absturzstelle ein Bodendenkmal dar (dies ist noch nicht offiziell entschieden), das durch Grabungen nicht beschädigt werden darf. Häufig geschieht dies allerdings durch die landwirtschaftliche Bodenbearbeitung – „Spargel ist ein Archäologie-Exitus“, sagt Brandt.

Die Fundorte sind äußerst gefährliche Stellen

Als Kreisarchäologe könnte er Genehmigungen für Grabungen erteilen. Bei Absturzstellen komme das aber nicht in Frage: „Die Fundorte sind gefährliche Stellen. Dort können Blasen mit Benzin, Hydrauliköl und natürlich auch Kampfmittel im Boden liegen.“ Er nennt ein Beispiel aus seiner eigenen Arbeit: „Als ich noch in Mecklenburg-Vorpommern arbeitete, haben wir im Jahr 2004 an einer Absturzstelle gegraben. Dadurch haben wir mehrere Kubikmeter kontaminierten Boden freigelegt, die von einem Spezialunternehmen teuer entsorgt werden mussten.“

Ein weiterer Grund hat mit Pietät zu tun. Manche Absturzstelle birgt Knochenreste des Piloten oder Copiloten. Wenn dort gegraben würde, wäre die Totenruhe gestört. Wenn tatsächlich einmal Knochen zutage gefördert sind, verfahren die betroffenen Nationen sehr unterschiedlich mit den Überresten ihrer Landsleute. Uecker: „War dort eine deutsche Maschine abgestürzt, dann entscheidet die Kriegsgräberfürsorge, ob die Knochenteile im Boden bleiben oder – seltener – auf einem Friedhof beigesetzt werden. Bei britischen Maschinen bleibt alles im Boden, und der Fundort wird zum Kriegsgrab erklärt.“ Dagegen schickten die USA eine sehr gut ausgestattete Task Force, die akribisch menschliche Überreste berge und ins Heimatland zurückführe. „Hier gilt das Motto: Niemand bleibt zurück“. Dies sei im Landkreis aber noch nicht passiert.

Absturzstellen deutscher Maschinen: schwer zu finden

Ein Antrieb für die Aufklärung eines Flugzeugschicksals können Anfragen von Angehörigen von im Krieg getöteten Besatzungsmitgliedern sein. Hinweise, wer in den abgestürzten Fliegern saß, geben oftmals die Listen der Verlustmeldungen des britischen oder amerikanischen Militärs. Umgekehrt gab es deutsche Abschussmeldungen, bei denen der Zerstörungsgrad der Flugzeuge sowie alle sichtbaren Kennnummern notiert wurden. Zum Ende des Krieges wurde die deutsche Buchhaltung allerdings lückenhaft. Generell sei bei den Flugzeugen der Alliierten oftmals die Gemarkung, in der sich die Maschine in den Boden grub, bekannt, so Uecker. Absturzstellen von deutschen Maschinen seien schwerer zu ermitteln.

Die Mitglieder der AGLA stehen per Mail im Kontakt und treffen sich einmal im Jahr persönlich, um Erfahrungen auszutauschen. Sie schätzen, dass es in ganz Niedersachsen rund 2400 Absturzstellen aus dem Zweiten Weltkrieg gibt – ein weites Feld für Hobby- und Profi-Archäologen. Ole Uecker möchte seine Bachelorarbeit über den archäologischen Umgang mit den Absturzstellen schreiben. „Bevor ich mich dem Thema widmete, dachte ich, dass in meiner Region kaum Krieg war“, sagt er. Tatsächlich lag zumindest der westliche Teil des Landkreises in der Haupteinflugschneise der alliierten Bombergeschwader auf ihrem Weg nach Hamburg.