Lüneburg/Stade. Studentinnen der Uni Lüneburg entwickeln Erste-Hilfe-Konzept für die Region Süderelbe. Rettungswache zeigt Interesse an Erprobung.

Starke Schmerzen im Brustkorb, Engegefühl, Angst – Alarmsignale, die auf einen Herzinfarkt hindeuten. Jetzt ist rasche Hilfe notwendig. Denn es geht um Leben und Tod, jede Minute zählt. Aber auf dem Lande ist es manchmal gar nicht so einfach, bis ein Rettungswagen über weite Distanzen am Einsatzort ist, um dem Infarktpatienten rechtzeitig zu versorgen.

Deshalb soll in Zukunft zusätzlich schnelle Hilfe aus der Luft kommen: eine Erst-Helfer-Drohne mit einem Defibrillator an Bord. Der fliegende Lebensretter soll in der Region Lüneburg eingesetzt werden. Das sieht ein Konzept vor, das Studentinnen an der Leuphania Universität Lüneburg entwickelt haben. Die Feuer- und Rettungsleitstelle in Stade zeigt bereits Interesse an einem Probebetrieb.

„Ausgangspunkt war für uns, zu schauen, was fehlt, um die Region Lüneburg attraktiver zu machen“, sagt Kathrin Kramer (27), die die Idee mit der Drohne zusammen mit zwei weiteren Masterstudentinnen im Fach Wirtschaftsingenieurwesen zu einem Rettungs-Konzept für die Region entwickelt hat. Während der Notarzt in der Stadt sieben bis zehn Minuten brauche, um bei einem Notfall wie einem Herzinfarkt – in Deutschland die Todesursache Nummer Eins – einzugreifen, dauere dies auf dem Lande wesentlich länger. In Niedersachsen beträgt die so genannte Hilfsfrist 15 Minuten.

„Wir haben gefragt, ob die Rettungswagen in der Lage sind, das 15-Minuten-Ziel in der Region Lüneburg immer einzuhalten“, sagt Anna Viehbahn, eine der drei Studentinnen, die das Konzept an der Uni Lüneburg Im Rahmen eines Ideenwettbewerbs entwickelt haben. Das Ergebnis? „Meistens gelingt es, aber nicht immer. Je nach Region können aus 15 schnell mal 20 Minuten werden. Und wenn ein Rettungswagen gerade im Einsatz zu einem Verkehrsunfall ist, kann es auch schon mal 35 Minuten dauern, bis der nächste Rettungswagen beim Herzinfarktpatienten ist“, sagt die Studentin. Möglicherweise ist es dann schon zu spät. „Schon nach fünf Minuten sinkt die Überlebenschance um 60 Prozent“, sagt Anna Viehbahn.

Die Erst-Helfer-Drohne fliegt bis zu 100 km/h und benötigt nur wenige Minuten, um zum Zielort zu gelangen. „Sie findet den Weg ferngesteuert über das Handy. Oder sie fliegt per Autopilot dorthin, das geht am Schnellsten. Dazu werden die GPS-Daten in die Drohne eingegeben“, erklärt Kathrin Kramer. Tests in Stockholm, wo eine ähnliche Drohne bereits erprobt wird, hätten ergeben, dass die Drohne nur fünfeinhalb Minuten brauchte, um ans Ziel zu gelangen – im Unterschied zum Rettungswagen, der 22 Minuten benötigte.

Die Drohne ist mit einem Defibrillator, einer Kamera, Mikrofon und Lautsprecher und einem Ersthelfer-Set ausgestattet. „Rettungskräfte in der Leitstelle oder der Notarzt können sich ein Lagebild verschaffen und sich mit dem Ersthelfer unterhalten und ihm Anweisungen geben, was zu tun ist: den Patienten in die stabile Seitanlage bringen, ihm das Hemd öffnen und wie und wo die Pads für den Defibrillator anzulegen sind. Damit wird der Patient für die Rettungscrew vorbereitet“, sagt Anna Viebahn. „Bei vielen liegt der Erste-Hilfe-Kursus lange zurück. Die meisten wissen in der Aufregung nicht, was als erstes zu tun ist. Die Erst-Helfer-Drohne ersetzt aber nicht den Notarzt“, ergänzt Kathrin Kramer.

Die Anschaffungskosten für eine Drohne werden mit 15.000 Euro beziffert. Hinzu kommen Schulungskosten von rund 3000 Euro für drei Personen an drei Tagen. 77 Rettungswachen gibt es im Raum Lüneburg. Aber nicht alle müssten mit einer Erst-Helfer-Drohne ausgestattet werden, betont Anna Viebahn. Zunächst sollen zwei bis drei Drohnen im Raum Stade getestet werden. Warum Stade? „Dort gibt es ein hohes Verkehrsaufkommen, viele Unfälle, und die Rettungswagen sind oft im Einsatz“, sagt Kathrin Kramer. „Das Konzept lässt sich aber auf alle Landkreise übertragen.“

In Stade gibt es bereits Interesse an den fliegenden Lebensrettern. „Wir halten die Hilfsfrist von 15 Minuten im Prinzip in 95 Prozent der Fälle ein“, sagt Wilfried Sprekels, Leiter der Feuer- und Rettungswache. Es komme aber schon mal vor, dass es länger dauert, etwa im Winter, wenn es glatt ist. Deshalb arbeite die Rettungswache mit 30 Freiwilligen Wehren zusammen.

„Die sind in der Regel in fünf Minuten da, haben Defibrillatoren und eine Ausbildung zur Wiederbelebung“, sagt Sprekels. Einem Testbetrieb der Erst-Helfer-Drohnen in Stade zeigt sich Sprekels aufgeschlossen. „Ich kann mir vorstellen, das bei uns zu erproben“, sagte er dem Abendblatt. „Alles, was hilft, den Patienten schneller zu versorgen, begrüßen wir.“

Die Drohne

Die Ersthelfer-Drohne ist ein Quadrokopter, hat also vier Propeller. Die Traglast beträgt bis zu fünf Kilogramm.

Der Antrieb ist elektrisch (Akku). Die Flugzeit beträgt bis zu eine Stunde. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt zirka 100 km/h.

An Bord ist ein Defibrillator, der das Herz des Patienten durch gezielte Stromstöße in Gang bringen kann. Außerdem sind eine Kamera, Mikrofon, Lautsprecher und ein Ersthelfer-Set zur Mund-zu-Mund-Beatmung, Handschuhe und ggf. Medikamente an Bord.

Am Einsatzort nimmt der Ersthelfer die Drohne in Empfang und kann sie mit ins Haus nehmen, wenn sich der Patient dort befindet. Sie wird vom Rettungsdienst nach dem Einsatz zurück zur Leitstelle transportiert.

Die Hilfsfrist ist die gesetzliche vorgeschriebene Frist, in der die Retter im Notfall am Einsatzort erscheinen müssen. Sie beträgt in Niedersachsen 15 Minuten und soll in 95 Prozent der Einsätze eingehalten werden.