Harburg. 20 Jahre Initiative Gedenken in Harburg. Sie sorgte vor 15 Jahren für Verlegung des ersten Stolpersteins
Die Initiative Gedenken in Harburg ist umtriebig, engagiert, mehrfach ausgezeichnet und feiert in diesem Jahr gleich zwei besondere Anlässe: Sie wurde vor 20 Jahren gegründet und hat vor 15 Jahren dafür gesorgt, dass die Idee des Kölner Künstlers Gunter Demnig, mit Stolpersteinen an die Opfer des Nazi-Terrors zu erinnern, in Harburg umgesetzt umgesetzt wird. Beides wird im September mit mehreren Veranstaltungen gewürdigt (siehe Info-Kasten).
Gegründet hat die Initiative 1998 Klaus-Peter Lehmann, lange Jahre Pastor der evangelischen Dreifaltigkeits-Kirchengemeinden Harburg. Bis heute ist die Initiative angegliedert an den Kirchenkreis Ost, nutzt Räume im Haus der Kirche an der Hölertwiete 5.
Klaus Möller, inzwischen 82 Jahre alt, war zu der Zeit noch stellvertretender Schulleiter des Heisenberg-Gymnasiums und unterrichtete neben Englisch vor allem Geschichte. In ihrem Einsatz wider das Vergessen der Gräueltaten des Nationalsozialismus waren beide Männer, zunächst unabhängig voneinander, unermüdlich. Da war es wohl nur eine Frage der Zeit, dass sich ihre Wege kreuzten. Tatsächlich stieß Klaus Möller nur ein halbes Jahr nach der Gründung zur Initiative und ist ihr bis heute treu geblieben.
Der spanische Philosoph George Santayana (1863-1952) hat schon 1905 in einem Satz gebündelt, was Möller bis heute, bis ins hohe Alter, umtreibt: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“
Möller und seine Mitstreiter – von anfänglich 15 sind aktuell nurmehr zehn übrig geblieben, richten seit 20 Jahren, Jahr für Jahr, die Harburger Gedenktage aus, um an die Schrecken der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zu erinnern. Bis vor zwei Jahren stellten sie sich dieser Aufgabe allein.
Jeder Gedenktag widmete sich einem speziellen Thema wie beispielsweise „Hakenkreuz und rundes Leder – Hamburger Fußball im Nationalsozialismus“. Doch das sei nicht länger durchzuhalten gewesen, sagt Möller: „Wir haben die Last nun auf mehrere Schultern verteilt.“ Seither machen bei den Gedenktagen zum Beispiel Schulen mit, aber auch die Bücherhalle Harburg, die Kulturwerkstatt oder das Süderelbe-Archiv.
Seit 20 Jahren recherchieren Möller und Co. unermüdlich die Lebenswege und Schicksale von Harburger Nazi-Opfern, unzählige Überlebende sowie Hinterbliebene haben sie ausfindig gemacht – an die 100 Zeitzeugen brachten sie dazu, nach Harburg zu kommen, teilzunehmen an den Gedenktagen oder an Gesprächen und Austausch mit Schülern. Diese Begegnungen waren es vor allem, die Möller bis heute als besonders wertvoll und bewegend empfindet.
Es liegt am natürlichen Lauf des Lebens, dass der Kreis der Überlebenden immer kleiner wird. Doch bis heute hat die Initiative Kontakt zu etwa 20 von ihnen. Allen, sowohl den Zeitzeugen also auch den Mitgliedern der Initiative Gedenken in Harburg, ist dieser Austausch mit jungen Menschen ein besonderes Anliegen, um die Erinnerung an die Opfer der Nazis wach zu halten, um sie zu ehren. Um ihnen und ihren Angehörigen vielleicht ein wenig von dem zurück zu geben, was auf grausame Weise mit Füßen getreten wurde: Würde.
Was Klaus Möller auch freut: Immer wieder ist aus diesen Begegnungen besonderes Engagement von Schülern erwachsen. So entstanden insgesamt zehn Projektarbeiten und Dokumentationen von Mädchen und Jungen, die große Beachtung fanden. Zunächst in einer Auflage von 500 Stück erschienen, musste in einigen Fällen nachgedruckt werden.
Acht der Arbeiten wurden sogar mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet. Der wird jedes Jahr an Schüler vergeben, die sich mit ihren Projekten für mehr Toleranz und gegen das Vergessen von Unrecht und Unmenschlichkeit in der NS-Zeit einsetzen. Bei der Verleihung in diesem Jahr wurden aber nicht nur Schüler ausgezeichnet, sondern auch die Arbeit einiger Pädagogen besonders gewürdigt. Einer von ihnen war Klaus Möller als Initiator gleich mehrerer dieser ungewöhnlichen Schülerprojekte.
Die Mitglieder der Initiative, die sich einmal im Monat zur Besprechung im Haus der Kirche treffen, arbeiten aber hauptsächlich im stillen Kämmerlein, will sagen Zuhause oder in Archiven, Bibliotheken.
Wenn Gunter Demnig im September nach Harburg kommt, weil hier vor 15 Jahren der erste Stolperstein verlegt worden ist, dann wird er in einer Festveranstaltung nicht nur über sein Projekt sprechen, sondern persönlich weitere 24 Steine verlegen – 14 von ihnen gestiftet von jungen Menschen, die dafür wie jeder Pate immerhin 120 Euro zahlen.
Die Zahl der Stolpersteine in Harburg wächst damit auf 231. „Am Anfang hätten wir nie gedacht, dass es einmal so viele sein würden“, sagt Klaus Möller.
Jeder Stein ist ein Schicksal. Das zu recherchieren, macht einen Großteil der Arbeit der Initiative aus. „Das braucht viel Zeit und Geduld“, sagt Möller. Spurensuche, die manchmal so viel Akribie erfordert wie ein Puzzle mit vielen tausend Teilen.
Aber damit aufzuhören, kommt für Möller nicht in Frage, nicht solange er gesund und fit genug bleibt. Ihn treibt die Überzeugung um: „Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung!“ Ein Satz auf der Höhe der Zeit.
Spuren und Wege
15 Jahre Stolpersteine in Harburg: Für den Initiator dieses Projektes, den Kölner Künstler Gunter Demnig, Anlass für einen Besuch. Am Freitag, 21. September, spricht er von 19.30 Uhr an in der St.-Trinitatis-Kirchengemeinde an der Bremer Straße 9 (Eintritt frei). Sein Thema: „Stolpersteine – Spuren und Wege“. Mit den in den Boden gelassenen quadratischen Messingtafeln soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die Mini-Gedenktafeln liegen in 1265 Kommunen Deutschlands und 21 Ländern Europas.
Der Künstler wird am Sonnabend, 22. September, zusammen mit Schülern der Oberschule Neu Wulmstorf 24 Stolpersteine in Harburg verlegen – für 14 haben die Schüler die Patenschaft übernommen. Offiziell eingeweiht werden diese Mini-Denkmale, von denen es dann 231 in Harburg gibt, bei einer Gedenkveranstaltung am Mittwoch, 26. September, 11 Uhr, im Rieckhof, Rieckhoffstraße 12. Während der Freier, die von Klaus Barnick, Sprecher der Initiative Gedenken in Harburg, moderiert wird, erinnern die Schüler an die Schicksale dieser 24 Harburger Nazi-Opfer.