Heimfeld. Biologen untersuchen im Rahmen des Projekts „Natürlich Hamburg!“, welche Arten nachts in Meyers Park auf Insektenjagd gehen.
Eine laue Sommernacht im Wald: Mücken fliegen, eine Grille zirpt, von fern ist der Verkehrslärm der A7 zu hören. Die Biologen Robert Pahl und Nina Ruhl haben am Abend in Meyers Park, der waldähnlichen Parkanlage am östlichen Rand der Harburger Berge, mehrere Kunststoffnetze aufgebaut. In dieser Nacht fangen sie im Auftrag der Umweltbehörde Fledermäuse. Sie sollen genauere Daten liefern zum Vorkommen und zur Artenvielfalt der flatternden Insektenjäger im Harburger Stadtpark und Meyers Park.
In der späten Dämmerung ist Hauptflugzeit der kleinen Fledertiere. Immer wieder zappelt es in einem der Netze, die Pahl und Ruhl alle zehn Minuten mit Taschenlampen kontrollieren. Die beiden Fledermausexperten sind deutschlandweit im Einsatz. Als Mitarbeiter der Gesellschaft für Freilandökologie und Naturschutzplanung in Molfsee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) kartieren sie die Flattertiere, etwa für Gutachten zum Bau von Windenergieanlagen. Dieses Mal sind sie im Rahmen des Projekts „Natürlich Hamburg!“ aktiv, dem bundesweit ersten Naturschutzgroßprojekt in einer Großstadt.
Ziel ist es, Parks und Grünanlagen der Stadt naturnäher zu gestalten. Doch vor einzelnen Maßnahmen steht eine gründliche Bestandsaufnahme. „Wir können für einige Fledermausarten gar nicht viel tun, weil wir so wenig über sie wissen“, sagt Christian Michalczyk, der bei der Umweltbehörde die Schutzgebiete betreut und sich mit zwei Kolleginnen die nächtliche Fledermaus-Forschung anschaut. Immerhin sind Standorte, an denen viele Fledermäuse unterwegs sind, bekannt – zwei in Harburg werden nun genauer untersucht.
Robert Pahl kommt mit vier kleinen Stoffbeuteln zurück zum Campingtisch, der in dieser Nacht zum Arbeitsplatz wird. Vorsichtig entnimmt Nina Ruhl eine Fledermaus. Aufgeregt zappelt und zetert der kleine Flattermann herum – es klingt, als ob Gummisohlen über einen Linoleumboden laufen. Mit sicherem Griff bringt Ruhl das Tier, eine Breitflügelfledermaus, etwas zur Ruhe. Als Erstes spreizt die Biologin die Hinterbeinchen und schaut nach dem Geschlecht: „Schon wieder ein Männchen“, seufzt sie. Bis Mitternacht wird ein gutes Dutzend Tiere erfasst sein – nur Männchen.
Im Laufe der Nacht werden die Tiere schwerer
Schon beim ersten Fang-Einsatz in Meyers Park ein paar Tage zuvor gingen den Biologen nur männliche Tiere in die Netze. Sie hätten gern das eine oder andere Weibchen einer seltenen Arten gefangen, um sie mit einem kleinen Sender auszustatten. Diese Tiere würden den Forschern die Standorte der Wochenstuben zeigen.
Dort hängen die Jungtiere in Gruppen herum und warten, dass ihre Mütter sie säugen. An der Außenmühle hat’s geklappt: „Da haben wir eine Mückenfledermaus besendert und dadurch ein Wochenstubenquartier in einer naheliegenden Schule entdeckt“, sagt Ruhl.
Der nächste Proband ist ebenfalls eine Breitflügelfledermaus. Er bleibt gelassen und übersteht ganz ruhig das wissenschaftliche Prozedere: Nach der Geschlechtsbestimmung vermessen die Biologen einen Unterarmknochen. Danach kommt das Tier in einem Plastikbecher auf die Waage – 23,2 Gramm zeigt das Display an. „Im Laufe der Nacht werden die Tiere schwerer“, sagt Ruhl, „dann sieht man, dass sie Nahrung aufgenommen haben.“
Im nächsten Beutel steckt eine Mückenfledermaus. Das Tierchen ist kaum größer als Pahls Daumen und lässt ein aufgeregtes Zischen hören. Es erinnert an entweichendes Gas aus einer Mineralwasserflasche. Die Fledermaus zeigt ihre Zähnchen, kann damit die Forscher aber nicht weiter beeindrucken. Routiniert wird der Winzling vermessen und innerhalb einer guten Minute wieder in die schwarze Nacht entlassen.
Kurz nach 23.30 Uhr bleiben die Netze plötzlich leer. Ruhl und Pahl kennen das, bleiben dennoch bis vier Uhr morgens im Wald. „Es sieht so aus, als ob die Tiere eine Pause einlegen, wenn der erste Hunger gestillt ist“, sagt Ruhl. „Gegen zwei Uhr gehen dann wieder Tiere ins Netz. In der Zwischenzeit können wir die Netze aber nicht einfach unbeobachtet lassen.“
„Hier im Meyers Park gibt es spätabends kaum Publikumsverkehr“ , sagt Robert Pahl und ist darüber ganz froh. „An einem der beiden Fangabenden im Harburger Stadtpark ist uns eine angetrunkene ältere Dame ins Netz gegangen“, erzählt er schmunzelnd. Ihre Freundinnen entkamen der Fanganlage.
Die Frauen und andere Augenzeugen der nächtlichen Feldforschung hätten sehr interessiert und verständnisvoll reagiert, sagt Pahl – „als sie gesehen hatten, wie schnell die Tiere wieder ins Freie entlassen wurden, war alles okay“. Rund 80 Fledermäuse gingen den Forschern an der Außenmühle in die Netze, deutlich mehr als in Meyers Park. Allein 70 Tiere fingen Ruhl und Pahl, als sie ihre Netze in der Nähe des Außenmühlenteichs aufgebaut hatten. Mitten in die Einflugschneise der Flattertiere.
In Meyers Park fehlten dagegen Wasserbereiche, sagt Ruhl. Gerade die Weibchen legten Wert auf optimale Bedingungen. „Wir hatten hier aufgrund der vielen Baumhöhlen ein großes Potenzial für Fledermäuse gesehen“, ergänzt Pahl. „Dann könnte doch eine Projektmaßnahme sein, die Wasserstände in den Gebiet zu erhöhen“, sagt Barbara Engelschall von der Umweltbehörde. Als Pahl dies bejaht, ist quasi über Nacht eine erste gute Naturschutz-Maßnahme gefunden worden.
Das Schuizprojekt
„Natürlich Hamburg!“ heißt ein großes Naturschutzprojekt, das Parks, Grünflächen und vereinzelt auch Straßenränder in der Stadt naturnäher machen soll. Wie auch ausgewählte Naturschutzgebiete sollen sie so entwickelt werden, dass die Artenvielfalt und Naturlebensräume ebenso profitieren wie die Bürger der Stadt, die die Gebiete zur Erholung nutzen.
14 Jahre läuft das Projekt. Es ist in zwei Phasen unterteilt: Bis 2021 läuft die Planung, danach folgt die Umsetzung einzelner Maßnahmen bis zum Jahr 2031. Dabei sollen sich interessierte Bürger beteiligen können.
42 Standorte werden bearbeitet, 21 Parks und Grünanlagen sowie 21 Naturschutzgebiete (in Harburg: Fischbeker Heide, Moorgürtel, Neuländer Marsch). Das Bundesamt für Naturschutz fördert das Projekt mit 2,9 Millionen Euro (75 Prozent der Kosten).