Rönneburg. Nach dem Besuch der Ausbildungswerkstatt der Bahn in Rönneburg können die Azubis viel mehr als Schotterstopfen und Schienen flexen
Gleisbauer. Da denkt man gleich an alte Westernfilme, in denen Hunderte Männer mit Hämmern und Hacken die Eisenbahn in die Prärie bringen. Und selbst Leute, an denen die letzten 150 Jahre Eisenbahngeschichte nicht völlig vorübergegangen sind, denken an anspruchslose Tätigkeiten mit Schotterforke und Pressluftstopfer. Auch sie irren. Gleisbauer – ganz korrekt: Tiefbaufacharbeiter, Fachrichtung Gleisbau – ist nicht umsonst ein Ausbildungsberuf mit drei Jahren Lehrzeit. Das erste Lehrjahr verbringen alle angehenden Gleisbauer Norddeutschlands in Rönneburg. Am Vorderkamp befindet sich das Ausbildungszentrum der DB Training.
Wer die Halle betritt, dem fällt zunächst einmal ein kleines Haus auf, das in dem riesigen Gebäude errichtet wurde: „In seinem Berufsleben braucht ein Gleisbauer auch immer mal wieder alle Grundfertigkeiten von Bauarbeitern, sei es weil unter dem Gleiskörper Schächte gemauert sind, oder weil man Stützkonstruktionen aus Holz braucht“, sagt Ausbildungsleiter Detlef Kasten. „Hier lernen unsere Azubis diese Fertigkeiten und wenden sie dann an, indem sie ein Haus mauern, Betonstürze für Fenster und Türen anfertigen, den Dachstuhl setzen, das Dach decken, Estrich legen und das Haus fliesen“
Wenn das Häuschen so richtig gemütlich ist, bedeutet das nicht, dass die Azubis es sich dann darin bequem machen können. Wenn das Haus fertig ist, ist das Lehrjahr zu Ende. Dann muss es abgerissen werden, damit der nächste Jahrgang von vorne anfangen kann.
„Das ist immer ein bisschen frustrierend“, sagt Azubi Lukas. „Auch, als wir anfingen, das mauern zu lernen. man baut seine Übungsmauer und ist richtig stolz darauf. Dann heißt es: „Sehr gut gemacht, bau das jetzt bitte wieder ab!“ Zum Glück haben wir noch unser Jahrgangsprojekt.“
Die Ausbilder wissen nämlich um das menschliche Grundbedürfnis, dass etwas, das man baut, auch Bestand haben möge. Jedes erste Lehrjahr setzt sich deshalb auf dem großen Außengelände ein Denkmal. Dort steht zum Beispiel ein Leuchtturm, der gleichzeitig Fledermausunterschlupf ist, ein Modell des Fernsehturms, Insektenhotels und der Grillplatz des Ausbildungszentrums. „Hier kommen wir zusammen, wenn wir etwas zu feiern haben“, sagt Detlef Kasten. „Und Freitags zum Feierabend grillen wir auch noch einmal zusammen.“
Der Grill selbst, der Unterstand und diverse gemauerte Sitzecken stammen von verschiedenen Jahrgängen. Der aktuelle Jahrgang hat den Smoker beigesteuert. Der riesige Räucherofen steht auf dicken Doppel-T-Trägern und seine Klappe ist so schwer, dass das Öffnen mit Gegengewichten und einer Bockrollenkonstruktion erleichtert wird. „Das ist unser ganzer Stolz“, sagt Lukas.
Im Außengelände liegt auch das, worum es im Leben eines Tiefbauers eigentlich geht: Fläche und Verkehrswege. Eine Gruppe pflastert eine Straße, eine andere übt sich im Schienenverlegen. Der Schrauber, mit dem die Muttern an den Gleisbefestigungen angezogen oder gelöst werden, wird mit einem Zweitaktmotor angetrieben. Immerhin muss er ein Drehmoment von 200 Newtonmetern aufbringen. Es ist ein riesiges Gerät. „Bei der Deutschen Bahn erproben wir auch schon akkubetriebene Schrauber dafür“, sagt Kasten. „Aber mit den alten Geräten muss man auch noch umgehen können und es kommen ja nicht alle Azubis hier von der Deutschen Bahn.“
Im Ausbildungszentrum lernen auch Gleisbauer der Hochbahn und von privaten Tiefbauunternehmen in ganz Norddeutschland. Auch die Bahn-Azubis kommen nicht alle aus Hamburg. Hier werden auch Eisenbahner aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Niedersachsen ausgebildet.
Während des ersten Lehrjahrs wohnen die auswärtigen Azubis in Wohnheimen der Bahn oder privaten Zimmern. Danach gehen sie in ihre Ausbildungsstandorte zurück und verfestigen ihr in Harburg erworbenes Wissen in der Praxis vor Ort. „Gerade für die ostdeutschen Standorte ist das ein wichtiger Aspekt“, sagt Nadine Fuhrhop von der Berliner Regionalpressestelle der Bahn AG. „Gleisbauer ist ein Beruf für die jungen Leute, die im Osten bleiben wollen.
Im Osten bleiben will auch Azubi Samuel aus Ludwigslust. Er ist vor drei Jahren erst aus Ghana nach Deutschland gekommen. Nach einem Jahr Deutschkursus und einem nachgeholten Realschulabschluss wollte er eigentlich Lokführer werden. „Aber da hat man mir gesagt, dass ich dafür besser noch ein Jahr Berufsvorbereitung machen sollte“, sagt der 20-Jährige, „Ich will aber etwas lernen! Also habe ich diese Ausbildung angefangen“
Als einziger Azubi seines Jahrgangs ist Samuel im „Dual-Plus“-Programm der Bahn und lernt außer für die Facharbeiterprüfung auch noch für das Fachabitur. So lange er in Hamburg ist, ist das bequem: Die Schule liegt in Bergedorf. Ab Herbst wird er dafür dann aber an zwei Tagen pro Woche von Ludwigslust anreisen müssen.
Seinem Ludwigsluster Lehrlingskollegen Leon nötigt das Respekt ab: „Samuel ist erst so kurz hier und hat trotzdem so schnell und gut Deutsch gelernt, dass er das bestimmt schafft“, sagt er. Nur Mecklenburger Platt müsse er seinem Freund noch beibringen.
In zwei Jahren ist der jetzige Jahrgang mit der Ausbildung fertig. Zwischendurch kommen sie noch ein paarmal für Kurzlehrgänge zusammen. Ihre Zukunftsaussichten sind gut. „Wir suchen auf allen Ebenen“, sagt Detlef Kasten. „Ich kenne keinen Beruf, in dem man so schnell seinen Meisterbrief bekommen kann, wie im Gleisbau.“