Harburg . Bezirkspolitiker fordern schnelle Lösungen im Bezirk sowie eine enge Zusammenarbeit von Jugendhilfe, Investoren, Träger und Baudezernat

Als Sohn Milosz vor 20 Monaten auf die Welt kam, ahnte Luiza Demianiuk nicht, dass ihr die Zeit wegrennen würde. Sie wusste nicht, dass sie ihren Sohn bereits während der Schwangerschaft in einer Kita hätte anmelden müssen. Und dass es für ihn keinen Platz in einer Betreuung geben würde, ganz gleich, ob ihm dieser qua Rechtsanspruch zusteht. 17 Kitas hat die 34-Jährige im Januar angerufen. 17 Mal wurde ihr eine Absage erteilt. Einen 5-Stunden-Krippenplatz zum September gab es in ganz Harburg nicht.

Emil Avramov hat eine ähnliche Odyssee hinter sich. Seit mehr als zwei Jahren ist der Bulgare auf der Suche nach einer täglichen 5-Stunden-Betreuung für seine Tochter Iliyana. Unzählige Einrichtungen haben ihn auf die Warteliste genommen. Doch nie wieder hat sich eine von ihnen gemeldet. Heute ist Iliyana drei. Sie spricht kaum Deutsch. Eine Kita hat sie bis jetzt nur von außen gesehen. Genauso wie Amina, die mit ihren drei Jahren statt einer Kita den Sprachkurs ihrer Mutter besucht.

Kita-Bereichsleiterin Natalya Yanitska zeigt die Räume in der Wilhelmstraße, in die die neue Kita einziehen soll. Ein Umbau wäre ohne Aufwand schnell möglich
Kita-Bereichsleiterin Natalya Yanitska zeigt die Räume in der Wilhelmstraße, in die die neue Kita einziehen soll. Ein Umbau wäre ohne Aufwand schnell möglich © Hanna Kastendieck | Hanna Kastendieck

Diese Kinder warten wie viele andere im Stadtteil seit Monaten, manchmal sogar Jahren auf einen Platz in einer Kita. „Allein im vergangenen Monat mussten wir täglich zehn Anfragen von Eltern nach wir einem 5-Stunden-Platz ablehnen“ sagt Natalya Yanitska, Leiterin der Kita Museumsplatz. „Und es werden täglich mehr.“

Wie berichtet, gibt es in Harburg einen eklatanten Mangel an Kita-Plätzen, vor allem in der 5-Stunden-Betreuung. Nach Angaben des Betreibers SterniPark, der in Harburg derzeit in den Kitas Helmsweg und Museumsplatz rund 300 Kinder betreut, fehlen aktuell rund 350 Kindergartenplätze allein im Stadtkern. Um Abhilfe zu schaffen, möchte der Träger das alte Zollamt an der Buxtehuder Straße sowie das ehemalige Gesundheitsamt in der Wilhelmstraße zu Kinderhäusern ausbauen. Doch der Prozess stockt, da laut Bezirksamt immer wieder Unterlagen unvollständig seien. SterniPark wiederum sieht die Schuld beim Bezirk, der „uns immer wieder neue Steine in den Weg legt“, so Geschäftsführerin Laila Moysich.

Die Leidtragenden sind zum einen die Eltern, die aufgrund fehlender Kinderbetreuung oftmals nicht wie geplant in ihren Job zurückkehren können. Zum anderen werden Kindern wichtige Chancen in der Entwicklung verwehrt. Denn wie die Statistik belegt, ist der Mangel an Kitaplätzen in keinem anderen Hamburger Bezirk so groß wie in Harburg. „Dabei ist gerade hier die Schaffung von ausreichend Kita-Plätzen wichtig, um die hohen Sprachförderbedarfe im Schulalter zu reduzieren und die Integration zu fördern“, sagt Carsten Schuster, Bezirksabgeordneter der Harburger FDP.

„Die derzeitige Situation hat viele besorgniserregende Aspekte“, sagt Ivar Lethi, Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE im Bezirk. „Den hier wohnenden und arbeitenden Eltern nicht die Möglichkeit zu geben, ihre Kinder während der Arbeitszeit zu betreuen, ist skandalös. Aufgrund des Mangels an Kitaplätzen können auch Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund weniger an der Gesellschaft teilhaben, denn es ist belegt, dass ein Aufenthalt in einer Kita erheblich zur Sprachentwicklung beiträgt.“

Die Kritik der Abgeordneten richtet sich vor allem an das Bezirksamt. „Es darf nicht sein, dass langwierige baurechtliche Verfahren unnötige Verzögerungen mit sich bringen“, kritisiert Kay Wolkau von den Neuen Liberalen. „Wir werden hier bei der Bezirksverwaltung nachhaken, weshalb einige Projekte so lange dauern.“

Britta Herrmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bezirk und selbst Leiterin einer Kita bezeichnet die Lage als „dramatisch“. „Wir haben in Harburg einen eklatanten Mangel an 5-Stunden-Plätzen. Die Eltern wissen nicht, wo sie ihre Kinder unterbringen sollen.“ Mütter müssten aufgrund fehlender Betreuung ihren Wiedereinstieg in den Job verschieben, andere ihren Nachwuchs mit in den Deutschkurs nehmen. 80 Kinder stehen allein auf der Warteliste ihrer Einrichtung. Und ein Ende der angespannten Lage ist nicht in Sicht.

„Dieses Problem wird sich weiter verschärfen, wenn trotz des zu erwartenden weiteren Bevölkerungszuzugs im Bezirk nicht gegengesteuert wird“, befürchtet der Bezirksabgeordnete Kay Wolkau. Das Problem sei, dass es derzeit kein geregeltes Verfahren gebe, in dem alle Hamburger Kitabetreiber gleichermaßen über Kitaplanungen informiert werden. Seit Einführung des Kita-Gutscheinsystems übernehmen die bezirklichen Jugendämter keine Planungsverantwortung mehr. Die Folge: Nicht mehr die Jugendhilfeplanung gibt an, wo wie viele Kitaplätze benötigt werden, sondern die Marktinteressen bestimmen das Angebot. „Da es sich für die Träger finanziell besser rechnet, Kinder mit Acht- bis Zehn-Stunden-Gutscheinen zu betreuen, werden vermehrt diese Plätze angeboten“, sagt Britta Herrmann. Die Konsequenz: „Es gibt viel zu wenig 5-Stunden-Plätze.“ Ausgerechnet auf diese aber haben Hamburger Familien einen Rechtsanspruch, der vielfach nicht eingelöst werden kann.

„Es wird höchste Zeit, dass die bezirklichen Jugendämter proaktiv tätig werden und auf Träger zugehen, ihnen Immobilien und Flächen aufzeigen und sie bei der Umsetzung unterstützen“, sagt Britta Herrmann. Mögliche Lösung sei ein Runder Tisch, an den sich Jugendhilfe, Bezirksamt, BASFI und Träger zusammensetzen und schnelle Lösungen schaffen. Eine schnelle, aber nicht dauerhafte, Lösung könne die fünfstündige Betreuung auf öffentlichen Spielplätzen sein. „Alternativ könnte die zuständige Behörde einen bestimmten Prozentsatz an 5-Stunden-Plätzen beschließen, den jede Kita vorhalten muss“, so Herrmann.

Jürgen Heimath, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bezirk geht einen Schritt weiter: „Wenn das Marktsystem der Schaffung von Kitaplätzen nicht entsprechend funktioniert, muss auch wieder über ein verstärktes städtisches Angebot nachgedacht werden.“

So lange will Kitaleiterin Natalya Yanitska nicht warten. Anstatt Absagen zu erteilen hat sie nun damit begonnen, Kinder für den September neu aufzunehmen, die sie in der Wilhelmstraße unterbringen möchte. Sie ist fest davon überzeugt, dass gemeinsam mit dem Bezirksamt eine schnelle Lösung für das Gebäude gefunden wird. Für Milosz, Amina, Iliyana, Enram und ihre Eltern endet damit eine Odyssee. Luiza Demianiuk, Mutter von Milosz, wird nun wie geplant im September zurück an ihren Arbeitsplatz kehren können. Khava Khalueva, wird den Deutschkurs künftig ohne ihre dreijährige Tochter besuchen, die stattdessen in der Kita die deutsche Sprache lernen wird.