Landkreis Harburg . Träger im Landkreis kritisieren die kurzfristige Übernahme der Sprachförderung von Grundschulen. Personalnot ist schon jetzt dramatisch.

Der Personalmangel an den Kindertagesstätten im Landkreis Harburg ist schon jetzt eklatant. Zahlreiche Stellen sind unbesetzt. Manche neu geschaffene Kita-gruppen können erst mit Verzögerung den Betrieb aufnehmen, weil die Erzieher fehlen. Trotz des landesweiten Fachkräftemangels sollen die Kitas ab August eine weitere Mammutaufgabe meistern: die Sprachförderung.

Die Träger wie etwa das Deutsche Rote Kreuz und die Kommunen reagieren mit scharfer Kritik. „Wir haben kein Personal dafür. Woher sollen wir es nehmen? Das kann gar nicht funktionieren“, schimpft Dirk Seidler, Bürgermeister der Gemeinde Rosengarten.

Bisher waren die Grundschulen für den Sprachförderunterricht im letzten Kita-Jahr zuständig. Wer von den Kindern Defizite hatte, wurde entweder für ein bis zwei Wochenstunden in die Grundschule zur Sprachschulung gebracht oder Grundschullehrer kamen in die Kita. Mit dem neuen „Gute-Kita-Gesetz“ sollen ab August nicht mehr die Lehrer, sondern die Erzieher bei der Sprachentwicklung der Kinder in der Kita nachhelfen. Dafür will das Land den Kitas 32,5 Millionen Euro pro Jahr für zusätzliches Personal bezahlen.

Doch der Markt ist wie leer gefegt. Der rasante Kitaausbau in den Kommunen forderte bereits seinen Tribut. „Alle wissen, dass das Personal fehlt“, sagt Roger Grewe, Kreisgeschäftsführer vom DRK-Kreisverband Harburg-Land. Bereits jetzt kommt es deshalb vor, dass das DRK Eltern ihre Kinder früher aus den Einrichtungen abholen lassen muss, weil schlicht das Personal fehlt. Manche Gruppen müssen insbesondere für die Betreuung am Nachmittag zusammengelegt werden. „Statt der erforderlichen vier Erzieher, kümmern sich dann nur zwei um die Kinder. Dann ist die pädagogische Arbeit nicht mehr vernünftig zu machen“, sagt Grewe.

Die höhere Belastung führe zu deutlich mehr Fehlzeiten, sagt der DRK-Kreisgeschäftsführer. Ein Teufelskreislauf. „Die Leute sind fertig und ausgelaugt“, so Grewe. „Mit der enormen Ausweitung der Kinderbetreuung im Landkreis können wir als Träger nicht Schritt halten.“

Zumal jeder damit rechnet, dass der Bedarf an zusätzlichen Betreuungsplätzen ab August noch einmal zunimmt, weil die Eltern für die Betreuung ihrer Kinder ab drei Jahren dann nichts mehr zahlen müssen. Die Träger erwarten, dass sich die Lage noch verschärft, wenn die Kitas jetzt zudem die Sprachförderung meistern sollen. „Wir kommen von einer jetzt höchst angespannten in eine dann aussichtslose Personalsituation“, ist Grewe überzeugt.

Vertreter von Politik und Trägern sprachen in Tostedt über die Zukunft
Vertreter von Politik und Trägern sprachen in Tostedt über die Zukunft © HA

Die Gemeinden, die neben dem Deutschen Roten Kreuz, der AWO und der Kirche ebenso zu den Trägern der Kitas gehören, teilen die Befürchtungen. „Wir rechnen mit einer höheren Arbeitsbelastung und Überstunden. Das muss mitgetragen und kompensiert werden“, sagt Heinrich Helms, Pressesprecher der Stadt Buchholz.

Inhaltlich hingegen stehen die Kommunen und Verbände voll hinter der Idee, die Sprachförderung in den Kitas anzusiedeln „Die Erzieher kennen die Kinder länger. Aus pädagogischer Sicht macht das schon Sinn“, sagt Britta Dibbern, Leiterin der Abteilung Kindertagesstätten beim DRK-Kreisverband Harburg-Land.

Das bestätigt auch die Sozialpädagogin Petra Cordeddu. Sie ist Fachberaterin von Sprach-Kitas, die Teil eines Bundesprogramms zur besonderen Förderung von alltagsintegrierter sprachlicher Bildung sind und hatte Vertreter der Politik und der Kita-Trägern zu einer Informationsveranstaltung über die aktuellen Herausforderungen in die Kita Dieckhofstraße in Tostedt eingeladen. „In der Beziehungsarbeit lässt sich die Sprache viel besser fördern“, sagt Cordeddu. „Die Erzieher können die Aufgabe mit in ihren Alltag aufnehmen und beispielsweise an der Sprache der Kinder beim Kekse backen feilen.“

Doch unisono kritisieren die Kita-Träger, dass der Vorlauf viel zu kurz sei, um die Sprachförderung in den Kitas zu installieren. „Erzieher sind keine Lehrer. Man muss sie auf die neue Aufgabe vorbereiten. Sie müssen für die Sprachförderung ausgebildet werden“, sagt Grewe. Es gebe aber keine Aussagen zur Umsetzung, es fehle an Vorgaben seitens des Landes, wo und wie das geschehen soll und wie hoch die Bezahlung sein solle. Für Konzeptideen und die Organisation reiche die Zeit schlicht nicht. „Kurz: Es hapert überall“, fasst es Heinrich Helms zusammen.

Hinzu kommt die Raumnot. In den meisten Kitas stehen gar keine Räume zur Verfügung, die für eine Sprachförderung genutzt werden könnten. „Gruppen- und Mehrzweckräume sind nicht geeignet, weil sie keine Rückzugsmöglichkeiten bieten“, sagte Sandra Lyck, Pressesprecherin der Gemeinde Neu Wulmstorf.

Die Änderung im Schweinsgalopp innerhalb von wenigen Wochen einzuführen, sei brisant, sagt Britta Dibbern vom DRK. Tenor: die Kommunen fühlen sich bei der Umsetzung des Gesetzes vom Land alleine gelassen.

Weil die Kita-Träger so in der Luft hängen, es aber in wenigen Wochen schon los gehen soll, geht DRK-Kreisgeschäftsführer davon aus, dass im ersten Jahr gar nichts passieren wird. Stefan Walnsch, Tostedts Erster Samtgemeinderat, rechnet gar mit dem Schlimmsten: „Wir schleudern auf ein echtes Dilemma zu. Die Umwälzungen bleiben am Personal hängen, und am Ende fehlt Zeit für die Arbeit am Kind.“

Frühe Förderung

Wie wichtig frühe sprachliche Förderung ist, macht eine Erhebung von sieben so genannten Sprach-Kitas in den Landkreisen Harburg, Rotenburg und Heidekreis deutlich. Nach den Ergebnissen werden in den Kitas insgesamt 22 unterschiedliche Sprachen gesprochen. 57,5 Prozent der Kinder haben Deutsch als Erstsprache, bei 42,5 Prozent der Kinder haben eine andere Erstsprache, etwa russisch, arabisch, türkisch und polnisch.

Laut Petra Cordeddu, Fachberaterin von Sprach-Kitas, stellen die Erzieher in Kitas eher den Förderbedarf fest als ein Mediziner und Behörden. Während die Erzieher bereits bei 22,06 Prozent der Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren einen Förderbedarf beobachteten, wurde dieser lediglich bei 5,36 Prozent der Kinder offiziell festgestellt.