Sand, wilde Rosen, Vogelgezwitscher und rundum Elbe – das ist die Insel Lühesand. Ein Ausflugs- und Urlaubsziel vor den Toren Hamburgs.

Lühesand ist ein Naturparadies mitten im Fluss. Nur per Schiff zu erreichen. Es gibt keine Straße, nur Sandwege. Nicht mal Fahrräder sind erlaubt. Wer hier her fährt, kommt genau deswegen. Wegen der Ruhe. Der Abgeschiedenheit. Und weil es gewohnten Komfort eben nicht gibt. Weil die Insel so anders ist. So ursprünglich. Die Fahrt nach Lühesand ist auch eine Zeitreise, obwohl das Übersetzen gerade mal zwei Minuten dauert.

Holger Blohm lenkt den Bug der „Smuttje“ am Anleger bei Grünendeich mit Schwung in den Schlick. Die Tide bestimmt, an welcher Stufe des Stegs festgemacht wird. Jetzt, bei Ebbe, ist es die niedrigste. An Bord des ehemaligen chinesischen Rettungsbootes, das nun schon seit einem halben Jahrhundert als Personenfähre vor dem Alten Land im Einsatz ist klettern Familien mit Kind und Kegel.

Kai-Uwe Gosch und seine Frau Iris sind in dritter Saison Pächter der Inselgaststätte
Kai-Uwe Gosch und seine Frau Iris sind in dritter Saison Pächter der Inselgaststätte © HA | Martina Berliner

Um die Schultern geschlungene Handtücher verraten, dass die zum Baden auf die Insel wollen. Das ist auf Lühesand nur bei Ebbe möglich. Dann taucht an der dem Land zugewandten Seite für kurze Zeit eine Sandbank auf, von der aus man gut ins Wasser gehen kann. Jetzt zahlt ein junges Pärchen mit schweren Rucksäcken die Fährpassage bei Holger Blohm. Zwei Euro pro Nase, hin und zurück. Die beiden wollen auf der Insel zelten.

SAuf Lühesand gibt es nämlich einen Campingplatz. Zurzeit stehen dort 55 Caravans und Klapphütten von Dauercampern. Eine Frau hievt ihren „Hackenporsche“ über die Reling, prall gefüllt mit Einkäufen. Wer auf der Insel verweilen möchte, muss seine Versorgung gut planen.

Holger Blohm ist Fährmann, Platzwart und Gastronom

Einen Laden gibt es auf Lühesand nicht. Wohl aber ein Gasthaus. Auch das betreibt Holger Blohm. Er ist Fährmann, Platzwart und Gastronom. Der Campingplatz, den sein Großvater 1933 eröffnete und den er 1987 von den Eltern übernahm, bestimmt sein Leben seit Kindesbeinen. Er ist hier aufgewachsen. Heute lebt er in den Sommermonaten im ersten Stock über der Gaststätte. Blohm muss vor Tau und Tag wieder aus den Federn, um das enorme Arbeitspensum zu bewältigen. Da bleibt er gleich auf der Insel.

Für die eingefleischten Lühesand-Besucher ist der Hinweis eigentlich eine Selbstverständlichkeit
Für die eingefleischten Lühesand-Besucher ist der Hinweis eigentlich eine Selbstverständlichkeit © HA | Martina Berliner

Zum Glück bekommt er Unterstützung von einem Jugendfreund, der wie er selbst einen Großteil seiner Jugend auf der Insel verbrachte: Kai-Uwe Gosch aus Steinkirchen ist jetzt Pächter des Restaurants. „Eigentlich wollte ich nie Gastronom werden, aber bei meinem kopfgesteuerten Job brauchte ich etwas fürs Herz“, sagt er. Alltags arbeitet der Unternehmensberater im Büro, am Wochenende malocht er auf der Insel. Seine Frau Iris kellnert, sein Sohn Patrick betätigt sich als Koch.

Auf der Speisekarte steht Hausmannskost: Suppen, Currywurst, Bauernfrühstück, Schnitzel und Kibbelinge, frittierte kleine Fischfilets. Nachmittags gibt es Kuchen. Alles schmackhaft und günstig. Nein, er sei nicht verwandt mit dem Betreiber des Sylter Gourmettempels, bestätigt Kai-Uwe Gosch schmunzelnd.

Lühesand ist eben nicht Westerland. Hier ist alles, wie es immer war. Einfach und bescheiden. Die letzte Renovierung der Sanitäranlagen muss Jahrzehnte her sein, aber sie sind funktionstüchtig und sehr sauber. Die Stellflächen für Wohnwagen und Klapphütten haben keinen Stromanschluss. Muss auch nicht, meinen die Camper. Jeder versorgt sich mit eigener Solaranlage selbst. „Das ist kein Problem, dank moderner Technik wird ja viel weniger Strom verbraucht als früher“, sagt Carsten Runge.

Von einigen Wohnwagen aus genießt man herrliche Aussicht aufs Fahrwasser. Dieser ist zu wochenweise zu mieten.
Von einigen Wohnwagen aus genießt man herrliche Aussicht aufs Fahrwasser. Dieser ist zu wochenweise zu mieten. © HA | Martina Berliner

Der Neuenfelder verbringt seit drei Jahrzehnten Wochenenden und Ferien auf der Insel. Sein Caravan thront auf einer kleinen Warft in Ufernähe. Der Blick auf das Hauptfahrwasser ist grandios. Kreuzfahrtriesen, Tanker und Containerschiffe ziehen scheinbar zum Greifen nah vorbei. Das Schiffe-Gucken gehört zu Runges Lieblingsbeschäftigung. „Ich bin ja aus der Branche, auf vielen Pötten war ich schon selbst“, sagt der ehemalige Arbeiter der Sietas-Werft.

Runge möchten seinen Platz in erster Reihe nicht missen, obwohl der auch einen Nachteil mit sich bringt: Überflutungsgefahr. Im Frühjahr habe die Elbe bereits im Vorzelt gestanden, berichtet er. Jonny Offermann, der 1962 erstmals auf die Insel kam und seither jede freie Minute hier verbringt, weiß dieses Erlebnis noch zu toppen. „Einmal haben wir unsere Frauen bei Hochwasser mit Booten zum Waschhaus gefahren. Das ist aber Jahrzehnte her. Damals hatten die Wohnwagen noch keine Toiletten“, entsinnt er sich.

Die Männer sitzen im Kreise der Nachbarn beim sonntäglichen Frühschoppen. Die Damen klönen etwas abseits. Denn so sehr die Lühesand-Enthusiasten die selbst gewählte Abgeschiedenheit von der Zivilisation lieben – ein Robinson-Dasein führen sie nicht. Im Gegenteil. Die Gemeinschaft ist höchst gesellig.

Kurzzeitcamper müssen sich rechtzeitig anmelden

Manche würden am liebsten für immer hier leben. Aber das geht nicht. Weil die Insel keinen Deich hat und im Winter oft überschwemmt wird, müssen alle Klapphütten abgebaut und die Wohnwagen aufs Festland gebracht werden. Für den Transport besitzt Holger Blohm eine Fähre, die wegen ihres Tiefgangs nur bei Flut zu nutzen ist.

Kurzzeitcamper mit Reisemobil oder Caravan müssen sich deshalb bei ihm anmelden und eine feste Uhrzeit für die Anreise vereinbaren. Weil die Passage aufwendig ist, beträgt die Mindestaufenthaltsdauer auf der Insel vier Tage.

Für Inselfans, die kein eigenes Fahrzeug besitzen, aber trotzdem bequem auf Lühesand campen möchten, gibt es seit Kurzem ein neues Angebot: Mietwohnwagen. Sogar mit Stromanschluss. Zwei Stück gibt es schon. Möglicherweise kommen bald mehr dazu. Denn Rückbesinnung auf das Einfache, Ursprüngliche und Unverfälschte liegt im Trend. In der Idylle von Lühesand ist es zu finden.

www.luehesand.de Insel besteht aus ehemaligen Sandbänken

Die Elbinsel Lühesand südöstlich von Stade ist schon von Weitem durch die beiden hohen Stromleitungsmasten zu erkennen, die auf der Insel stehen. Sie ist drei Kilometer lang und aus ehemaligen Sandbänken vor der Mündung der Lühe entstanden. Vor Jahrzehnten wurde zusätzlich noch Baggergut aufgespült, das aus Vertiefungsarbeiten der Fahrrinne stammte.

Der südöstliche Teil der Insel ist seit Mitte der 1960er-Jahre Landschaftsschutzgebiet. Bis vor Kurzem wurde das Areal vom NABU betreut, heute weiden dort Galloway-Rinder eines Jorker Biobauern. Auf dem höher gelegenen nordöstlichen Teil gibt es eine kleine Siedlung fester Wochenendhütten.

www.luehesand.de