Fast drei Jahre nach seiner Herz-OP nimmt Ralf Struckhof aus Hittfeld an den Meisterschaften der Transplantierten teil.
Fast drei Jahre ist es her, dass Ralf Struckhofs zweites Leben begann. „Ihr neues Herz ist da“, hatte der Arzt an jenem Morgen seiner Wiedergeburt am 15. September 2015 zu ihm gesagt. Ralf Struckhof konnte sein Glück kaum fassen und brach in Tränen aus. Acht Monate hatte er zuvor auf ein passendes Spenderorgan gewartet. Das Herzzentrum des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) war sein neues Zuhause geworden, sein Seelenzustand pendelte zwischen beständigem Hoffen und Bangen.
Hätte man ihm damals gesagt, dass es ihm eines Tages wieder so gut gehen würde, dass er an sportlichen Wettkämpfen teilnimmt, Ralf Struckhof hätte ihm kein Wort geglaubt. Heute sitzt der Hittfelder aber in seinem Garten und zeigt stolz seine Goldmedaille. „Deutscher Meister im 1500-Meter-Lauf darf ich mich nennen“, sagt der 52-Jährige und grinst. Im Mai hat er zum ersten Mal an den Deutschen Meisterschaften der Transplantierten und Dialysepatienten teilgenommen.
20 Kilometer ist er mit dem Rennrad durch den Schwarzwald bei Villingen-Schwenningen gefahren, 50 Meter und 100 Meter Brust ist er geschwommen. Einen neunten und zwei vierte Plätze hat er dort neben dem ersten Platz im 1500-Meter-Lauf belegt, doch die Platzierungen sind nur die eine Seite der Medaille.
Was für Ralf Struckhof, den langjährigen begeisterten Hobby-Radsportler, wirklich zählt, ist die Tatsache, dass er überhaupt mitmachen konnte. Das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ – für Herztransplantierte wie ihn bekommt es seinen eigenen, tieferen Sinn.
„Non-compaction Kardiomyopathie“ lautete die Diagnose, die das erste Leben des zweifachen Familienvaters mit Mitte 40 auf den Kopf gestellt hatte. Ein angeborener Herzfehler, bei dem sich die Muskeln nicht richtig ausbilden und das Herz immer größer wird. Nachdem es zunächst so aussah, als könnten Medikamente helfen, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand so sehr, dass eine Transplantation der letzte Ausweg war. Das Spenderherz kam gerade noch rechtzeitig. Zwei Wochen später, und Ralf Struckhof hätte keine Chance mehr gehabt.
Dass er jetzt sogar zwei weitere sportliche Ziele vor Augen hat, empfindet der Leiter der Kreditanalyse für internationale Schiffsfinanzierung bei der HSH Nordbank als großes Geschenk. Vom 11. bis 16. Juni wird er an der Europameisterschaft der Herz- und Lungentransplantierten in Lignano Sabbiadoro nahe Venedig teilnehmen. Von Norditalien aus geht es nahtlos weiter nach Cagliari auf Sardinien, wo am 17. Juni die Europameisterschaften für alle Organtransplantierten und Dialysepatienten beginnen. Dort werden mehr als 1000 Teilnehmer erwartet, alleine aus Deutschland kommen 60.
Konkurrenzdruck ist für die Sportler ein Fremdwort. „Wenn es einer nicht ins Ziel schafft, wird er von den anderen auch mal die letzten Meter getragen“, erzählt er. Ein Rempler kurz vor der Ziellinie, ein kleiner Schubs hier und ein Ausbremsen da wären undenkbar. In welchen anderen Wettkämpfen würde es so etwas sonst geben? Achtsamkeit, Rücksicht, Demut – all das sind Dinge, die ihr gemeinsames Schicksal die Sportler gelehrt hat. Bei gemeinsamen Abendessen wird viel über die Krankheit gesprochen.
Denn auch wenn eine Transplantation erfolgreich lief, bestimmt sie das gesamte weitere Leben. Ralf Struckhof muss beispielsweise alle drei bis vier Wochen sein Blut beim Hausarzt untersuchen lassen. Alle drei Monate gibt es einen größeren Bluttest im UKE, dazu einen Ultraschall. Ungefähr jedes Jahr steht dann eine Biopsie an, bei der man über die Halsvene, die Leiste oder den Arm an das Herz geht, um aus dem Herzmuskel Proben zu holen.
So lässt sich feststellen, ob eine Abstoßungsreaktion vorliegt oder vorgelegen hat. Alle anderthalb bis zwei Jahre untersuchen die Ärzte dann noch seine Herzkranzgefäße, die bei Transplantierten besonders rasch verstopfen können. Durch die Arterie hindurch wird ein Kontrastmittel in die Gefäße gedrückt, um zu sehen, ob das Blut gut fließt. „Diese Untersuchung ist unangenehm.“
Dazu kommen ein Leben lang Immunsuppressiva, Blutdrucksenker und Vitaminpräparate. Morgens nimmt Ralf Struckhof zwölf, mittags zwei und abends elf Medikamente zu sich, deren Nebenwirkungen nicht ohne sind. „Die meisten von ihnen sind nierenschädigend“, erzählt er. Doch bisher habe er noch Glück gehabt und es gehe ihm gut. Der Sport tut sein Übriges. Vier- bis fünfmal in der Woche zieht er seine Bahnen im Hittfelder Hallenbad, geht laufen oder fährt mit dem Rad mehr als 50 Kilometer hin und zurück zur Arbeit. Er achtet auf seine Ernährung und horcht in seinen Körper hinein.
Und dann verblüfft er mit einem Resümee, das für einen Herztransplantierten ungewöhnlich klingt. „Mir geht es jetzt so gut wie in den letzten 20 Jahren nicht mehr.“ Das fremde Herz, das in seiner Brust schlägt, sehe er mittlerweile als sein eigenes an. Zur Familie des Spenders habe er keinen Kontakt. „Ich finde es gut, dass alles anonym bleibt“, sagt er.
Die Herzstation im UKE, auf der sich sein Schicksal entschied, besucht er aber immer noch regelmäßig, wenn er zur Kontrolle im Haus ist. Er spricht mit den Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, macht ihnen Mut, nicht zuletzt durch seine sportlichen Leistungen, zu denen er wieder fähig ist. Er zeigt ihnen: „Seht her, es kann alles wieder gut werden.“
Weniger Spender
Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation ist die Zahl der Organspender in Deutschland im Jahr 2017 auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren gesunken, und zwar auf 797. Das sind 60 weniger als im Jahr zuvor. Die Zahl der gespendeten Organe sank um 9,5 Prozent auf 2594.
Dem gegenüber stehen 10.000 Patienten in Deutschland, die auf ein Spenderorgan warten, alleine 8000 auf eine Niere.
Fast unbekannt: Meisterschaften der Transplantierten
Ziel der Meisterschaften der Transplantierten und Dialysepatienten ist die Förderung von körperlicher Aktivität. Außerdem soll das gesamte Thema Organspende mehr an Bekanntheit erlangen – um so letztlich die Zahl der Spenden zu erhöhen. Für die Teilnehmer selbst sind die Meisterschaften eine Plattform zum Austausch sowie zur Bildung von Freundschaften und Netzwerken.
Anders als beispielsweise in Großbritannien oder den USA sind die Meisterschaften in Deutschland ein nahezu unbekanntes Ereignis fernab der breiten Öffentlichkeit. „Sponsoren gibt es bei uns so gut wie gar nicht, die Meisterschaften finden fast ausschließlich auf Privatinitiative statt“, sagt Ralf Struckhof.
Darüber hinaus liefen derzeit über den Behindertenverband Bemühungen, dass Transplantierte auch für die Paralympics eine Stargenehmigung erhalten, so Struckhof weiter. Problematisch ist jedoch, dass beispielsweise Leber- und Nierentransplantierte Medikamente einnehmen müssen, die eine leistungssteigernde Wirkung haben und es so zur Wettbewerbsverzerrung kommen kann.
Weitere Informationen rund um die Meisterschaften gibt es im Internet unter der Adresse www.transidaev.de.