Trainerin Kathrin Borregaard führt in ihrer Ballschule den sportlichen Nachwuchs zu Spielwitz und feiner Technik.
Lotta will Fußball spielen. Ganz sicher! Und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, duldet sie keine Widerrede. Oder nur ein ganz kleines bisschen. Lotta ist vier Jahre alt.
Doch weil Lotta auch neugierig ist, so wie alle Vierjährigen, hat sie sich überreden lassen, mal mitzukommen mit der Mama. Die nämlich spielt nicht nur Tennis und Hockey, sondern ist Spezialistin, wenn es um das Thema Ballsport geht. Sie ist der Überzeugung, dass jedes Kind erstmal das Spiel mit dem Ball im Allgemeinen kennenlernen sollte, bevor es sich für eine Ballsport entscheidet. Und weil es ein solches allgemeines, disziplinübergreifendes Angebot bislang im Süderelberaum nicht gab, hat Kathrin Borregaard die Sache selbst in die Hand genommen. Im April 2017 gründete sie unter dem Dach der Tennisgesellschaft Heimfeld (TGH) die erste Ballschule südlich der Elbe. Eine Einrichtung, die eng mit der Hamburger Ballschule kooperiert. „Bei uns geht es nicht darum, eine bestimmte Ballsportart zu lernen“, sagt die 42-Jährige. „Unser Ziel ist es, die Kinder zum Allrounder auszubilden, statt sie frühzeitig zu spezialisieren.“
Es ist Donnerstag, 16.10 Uhr. In der Umkleide der Sporthalle Grumbrechtstraße haben sich ein Dutzend Kinder versammelt. Der Jüngste ist drei, die Älteste sechs. In diesem Alter findet ein Großteil der motorischen Entwicklung statt. Mitten in der Halle steht ein großer Sack mit Bällen. Große, Kleine, aus Schaumstoff, Plastik, Gummi, mit Noppen und ohne. Trainerin Kathrin Borregaard hat einen Parcours für die Kinder aufgebaut. Kasten und Weichboden. Hier sollen sie lernen, im Sprung auf die Matte ein Tuch zu fangen. Später werden sie Bälle werfen, fangen, prellen und schießen. Es geht dabei um spielsportübergreifende kognitive und motorische Fähigkeiten im Umgang mit dem Ball, aber auch um die Hinführung zu wesentlichen Technik- und Taktikbausteinen. Es geht um die Freude an der Bewegung. Um das Miteinander. Und darum, sich etwas zuzutrauen.
Dann kommen die Kinder. Sie kreischen, laufen, hüpfen quer durch die Halle. Sie lassen sich auf die Matte fallen, klettern auf den Kasten. Kathrin Borregaard klatscht in die Hände. Die Kinder werden still. Auch das gehört dazu, Regeln zu lernen, im Team zu arbeiten. „Wir spielen Tücherjagen“, sagt die Trainerin. „Jeder von euch steckt sich ein Tuch hinten in die Hose. Der Fänger muss versuchen, sich eines zu schnappen. Los geht’s!“ Anschließend kommen die Bälle ins Spiel. In unzähligen Varianten. Denn genau darum geht es: zu erfahren, wie vielfältig das Spiel mit dem Ball ist. „Kinder treten heute viel früher in Sportvereine ein, trainieren dort aber zu speziell und zu reglementiert, statt einfach nur zu spielen“, sagt Kathrin Borregaard. Dabei mache das Spiel den Meister.
Die Grundlagen fürs Ballschultraining beruhen auf aktuellen sportwissenschaftlichen Erkennnissen der Universität Heidelberg. Dort entwickelten Wissenschaftler in den 1990er Jahren das Konzept der Ballschule. 1998 ging die Heidelberger Ballschule mit dem ersten Verein an den Start. Inzwischen gibt es bundesweit Kooperationspartner, seit 2011 auch in Hamburg. „Es geht bei unserer Arbeit darum, dem zunehmenden Bewegungsmangel unserer Kinder entgegenzuwirken“, sagt Kathrin Borregaard. Also die verloren gegangene „Straßenspielkultur“ wiederzubeleben. „Wir sind früher auf Bäume geklettert, haben auf der Straße Fußball gespielt, waren den ganzen Tag mit dem Fahrrad unterwegs.“ Heute sei das anders. Gespielt werde mehr und mehr Zuhause. Und dort oft nur mit der Maustaste oder dem Smartphone. Die Folge: Kinder bewegen sich immer weniger. Motorische Fähigkeiten verkümmern.
Fitte Kinder zeigen in der Schule bessere Leistungen
„Mehr Bewegung für mehr Kinder“ lautet daher das Motto der Ballschule. Denn: Bewegung ist nicht nur gesund. Toben macht auch schlau! Das ergab eine Studie des kalifornischen Erziehungsministeriums. Diese untersuchten fast eine Million Schüler und stellten fest, dass sich fitte Kinder stärker konzentrieren können und in der Schule bessere Leistungen zeigen. Und sie werden später, als Erwachsene, aktiver.
Kathrin Borregaard ist selbst das beste Beispiel dafür. „Ich hatte als Kind die totale Freiheit“, sagt sie. „Eigentlich sind wir fast immer draußen rumgeturnt. Und natürlich war immer irgendwo ein Ball mit im Spiel.“ Sie ist sechs, als ihre Eltern mit ihr das erste Mal in einen Verein gehen. Mutter, Vater, Schwester — alle zusammen beginnen Tennis zu spielen. Doch Kathrin ist die Begabteste. Sie hat Talent. So viel, dass es für eine Leistungssportkarriere reichen könnte. Als Jugendliche spielt sie in der Hamburger Rangliste und wird mehrfach Harburger Meisterin. Sie hätte auch national ganz oben mitspielen können, „Doch ich war zufrieden mit dem, was ich erreicht habe“, sagt sie. „Es gab viele andere Dinge, die mir genauso wichtig waren wie Tennis.“ Ihre Eltern unterstützen sie, aber sie machen keinen Druck. Kathrin soll entscheiden, wie weit sie gehen will. Sie entscheidet sich gegen den Leistungssport und für die Vielfalt, spielt Klavier und Hockey, pflegt Freundschaften und genießt die Zeit mit der Familie.
Die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie weit sie beim Tennis gehen möchte, rechnet sie ihren Eltern hoch an. „Sie haben mich so gelassen, wie ich bin“, sagt sie. Das sei heute vielerorts anders. Viele Eltern seien wahnsinnig ehrgeizig mit ihren Kindern. „Die sehen gleich die ganz große Sportlerkarriere, anstatt es spielerisch angehen zu lassen.“ Die dreifache Mutter ist sich sicher, dass Kinder selbst am besten wissen, wie weit sie gehen wollen. „Ein Kind, das früh Ziele formuliert, will diese auch erreichen. Ein Kind, das keinen Ehrgeiz entwickelt, wird keinen Erfolg haben, auch wenn die Eltern noch soviel Druck ausüben.“
Also locker lassen. Nicht so verbissen an die Dinge herangehen. Das ist ihre Devise, die sie nicht nur ihren eigenen Kindern, sondern auch jenen in der Ballschule vermittelt. „Die Kleinen sollen hier Spaß haben, das ist das Allerwichtigste“, sagt sie. „Alles andere kommt dann von ganz allein — eventuell auch die große Sportlerkarriere.“ In welche Richtung es bei jedem Einzelnen gehen kann, zeigt sich in der Ballschule. „Ich führe die Kinder an viele Ballsportarten heran“, sagt Kathrin Borregaard. „Alles kann mal ausprobiert werden. Wenn das Kind an einer Sache besonders viel Freude hat, wird es möglicherweise später in den entsprechenden Verein gehen.“
So führt die Ballschule den sportlichen Nachwuchs auf unkonventionelle Weise zu Kreativität und feiner Technik. „Profitieren tun letztendlich die Vereine“, sagt Kathrin Borregaard. „Ein Kind, das Erfahrungen in der Ballschule gesammelt hat, wird später auf dem Platz mit viel Spielwitz glänzen.“ Ganz uneigennützig ist der Einsatz der Tennis- und Hockeyspielerin in Sachen Ballschule allerdings nicht. Als Mitglied der TGH engagiert sie sich seit Jahren als Tennistrainerin, Bürokraft, Hockeyjugendwartin und aktuell im Vorstand als Hockey-Mini-Wart. Als sie Ende 2016 von der Hamburger Ballschule hörte, wusste sie sofort: „So etwas brauchen wir in Harburg — auch, um mehr Nachwuchs für den Hockeysport zu begeistern.“
Das Angebot schlug ein wie eine Bombe. Inzwischen gibt es das Angebot an vier Tagen in der Woche. „Ich will bei den Kleinsten angreifen“, sagt sie, „und möglichst viele Kinder in Harburg und Umland für einen Ballsport begeistern.“ Wenn der eine oder andere dann beim Hockey lande, sei das um so besser. Aus diesem Grund plant die Trainerin, die Ballschule in den Sommermonaten auch mal auf die Clubanlage am Waldschlösschen zu verlegen. Darüber hinaus ist für die ersten beiden Sommerferientage ein „Ballschul-Camp“ bei der TGH geplant, bei dem die Teilnehmer auch beim Mini-Hockey und Mini-Tennis schnuppern dürfen.
Es ist 17 Uhr. Das Donnerstagstraining neigt sich dem Ende. Die Mädchen und Jungs bilden einen Kreis, legen ihre Hände in der Mitte übereinander. Dann schmeißen sie die Arme in die Höhe und jubeln. So, wie es die Profis machen. Auch Lotta macht sich auf den Heimweg. Sie hat ganz vergessen, dass sie zum Fußball gehen wollte. Vielleicht wird sie morgen doch bei den Hockey-Minis schnuppern. Aber das bleibt ihr Geheimnis.