Harburg. Arbeitsbeginn in Unternehmen wird unkalkulierbar, Auslieferer und Betonmischer müssen deutlich mehr Zeit einplanen.

Die allmorgendlichen, kilometerlangen Staus im Großbereich Harburg verärgern nicht nur Autofahrer. Sie richten auch wirtschaftlichen Schaden an. „Es ist eine wirkliche Katastrophe“, sagt Arnold G. Mergell, Vorsitzender des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden. „Die Baustellen und Staus sind zum Dauerthema geworden. Unsere Mitglieder sind inzwischen emotional aufgeladen und rufen uns an, damit wir uns als ihr Sprachrohr bei der Stadt über die Zustände beschweren“, sagt Mergell. Im Wirtschaftsverein sind mehr als 270 Unternehmen organisiert.

Nicht nur Transport und Logistik haben unter den Verhältnissen zu leiden: „Im Süderelberaum wohnen viele Arbeitnehmer, und die kommen derzeit fast täglich bis zu zwei Stunden verspätet zur Arbeit, auch bei uns“, sagt Mergell. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der Hobum Oleochemicals an der Seehafenstraße. „Es ist vollkommen irrelevant, ob der Arbeitsbeginn um sechs oder um neun Uhr ist – mit den Verspätungen kann man kaum noch arbeiten. Wir suchen jetzt ein Gespräch mit den Verkehrskoordinatoren.“

Auch Linienbusse können Engpässe nicht umfahren

Mitarbeiter aus dem nördlichen Hamburg können die S-Bahn nutzen und so Verspätungen vermeiden“, sagt der Harburger Unternehmer. „Aber alle, die im Landkreis Harburg wohnen, stehen im Stau“ – im Auto oder im Linienbus. „Für die Busse gibt es keine Möglichkeiten, Engpässe zu umfahren, denn sie müssen die Haltstellen bedienen“, sagt HVV-Sprecherin Silke Seidel. „Unsere Busse stehen wie alle anderen in den Staus. Das ist sehr ärgerlich für alle Beteiligten, vor allem für unsere Kunden.“

Auch Detlev Dose, geschäftsführender Gesellschafter des Logistikunternehmens STS – Seevetaler Transport Service in Beckedorf, hat mit den verstopften Fern- und Landstraßen rund um seinen Firmenstandort zu kämpfen: „Wir haben hier eine äußerst verkehrsgünstige Lage, um sich optimal in die Parkverhältnisse auf den Autobahnen einzuordnen“, sagt er sarkastisch. „Die Situation ist heftig, die Abstimmung mit den Kunden schwierig.“ STS macht unter anderem Spezialtransporte für Baumaschinen, und die müssen pünktlich auf den Baustellen eintreffen. Dose: „Für uns ist es wichtig, dass wir die vereinbarten Termine einhalten. Wenn wir um 10 Uhr in Harburg einen Kran entladen sollen, planen wir deutlich mehr Zeit ein als sonst üblich.“ Der Transportunternehmer spricht ein weiteres Problem an: die erhöhte Unfallgefahr in Stausituationen. „Ich bewundere meine Mitarbeiter. Sie bleiben ruhig, sind gut ausgebildet und fahren vernünftig. Doch vor drei Wochen ist uns ein Lkw aufgefahren. Zum Glück gab es dabei nur leichte Blessuren.“

Mit besonderen Problemen hat Michael Becker, Disponent bei Neuland-Beton, zu kämpfen. Denn wenn seine Ware verzögert ausgeliefert wird, besteht die Gefahr, dass sie aushärtet. Normalweise muss der Beton vom Mischwerk an der Autobahn-Anschlussstelle Harburg innerhalb von 90 Minuten die Baustelle erreichen. Liegt diese nördlich der Elbe, wird das Zeitfenster derzeit zu eng. „Wir müssen den Beton verzögern“, sagt Becker. Ein spezielles Zusatzmittel verlangsamt das Aushärten und dehnt die Zeitspanne für die Auslieferung auf drei Stunden.

Zur morgendlichen Hauptverkehrszeit sei die Situation katastrophal, sagt auch Becker. „Am Vormittag wird es etwas besser. Aber schon am frühen Nachmittag, gegen 13, 14 Uhr, setzt der Feierabendverkehr ein und wir kommen nicht mehr nach Harburg zurück. Da auf den Baustellen bestimmte Betonmengen pro Tag angeliefert werden, müssen die Fahrer die verlorene Zeit abends dranhängen, sagt Becker. Und das möglichst, ohne dass Lenkzeiten überschritten werden.

Auch die Hafenbetriebe leiden. „Wenn sich der Verkehr auf der A7 staut, dann führt das zu Verkehrsstörungen beim Zu- beziehungsweise Ablauf vom Containerterminal Altenwerder, hier insbesondere am Finkenwerder Kreisel“, sagt Hans-Jörg Heims, Sprecher der HHLA. Die Verkehrsinfrastruktur in Hamburg müsse zügig weiter ausgebaut werden, so Heims. „Auch damit der Hafen im Wettbewerb der europäischen Seehäfen seine Position behaupten kann. Die HHLA begrüßt jede Maßnahme, die zur Verbesserung der Verkehrssituation beiträgt.“

Touren nach 6.30 Uhr sind nicht mehr kalkulierbar

„Wir sind nicht ganz so stark betroffen, denn der Großteil unserer Fahrer ist bereits zurückgekehrt, wenn morgens der Berufsverkehr einsetzt“, sagt Franziska Wedemann vom Backhaus Wedemann am Großmoorbogen. „Doch alle Touren nach 6.30 Uhr sind nicht mehr berechenbar. Und wenn nachts Unfälle geschehen, wie kürzlich mit dem auf der A7 verunglückten Mehllaster, dann können wir unser Geschäft nicht mehr ausüben. Dann bekommt Hamburg kein Frühstück.“ Um die Verkehrsprobleme langfristig in den Griff zu bekommen, plädiert Wedemann für eine dritte Elbquerung westlich der A7. Offenbar sei es inzwischen nicht mehr möglich, wenigstens eines der beiden Nadelöhre verlässlich offen zu halten.

„Wir müssen unsere staugestressten Gäste erst einmal trösten“, sagt Gert Thies-Lembcke vom Privathotel Lindtner. Bei Veranstaltungen wie Konfirmationen oder Hochzeiten habe die Küche bis zu eineinhalbstündige Verspätungen zu managen. Auf der anderen Seite verschaffen abendliche Staus dem Hotel zusätzliche Kundschaft. Thies-Lembcke: „Manche Staugeschädigten kommen zu uns, um sich beim Essen in unserem Garten zu erholen. Andere kommen zum Übernachten, wenn es für den Heimweg zu spät wird.“