Neugraben. Hamburg beteiligt sich mit dem Stadtteil an einem Entwicklungsprojekt der EU – Lokalpolitiker wurden darüber nicht informiert.

Rund 2,6 Millionen Euro aus Mitteln der Europäischen Union sollen in den nächsten drei Jahren in Neugraben verbaut werden. Dabei geht es nicht um das Stadtteilentwicklungsprrogramm RISE, das Neugraben schöner machen sollte und im nächsten Jahr ausläuft. Diese 2,6 Millionen sollen Neugraben CLEVER machen. Gemeinsam mit London und Mailand gehört Hamburg zu den drei europäischen Pionierstädten des CLEVER-Programms. Und Neugraben ist das Gebiet, in dem Hamburg seine Visionen umsetzt.

Harburgs Kommunalpolitiker begrüßen das Programm grundsätzlich. Allerdings nicht bedingungslos: Der Rahmenvertrag für CLEVER wird am Montag von einem Vertreter der Senatskanzlei unterzeichnet. Erst am Dienstag befasst sich die Bezirkspolitik damit. Der kommissarische Bezirksamtsleiter Dierk Trispel hat den Politikern am vergangenen Freitag eine Mitteilungsvorlage für den Hauptausschuss gegeben. Die Gremien reagieren vergrätzt.

 Gudrun Schittek (Grüne) ist Vorsitzende des Regionalausschusses Süderelbe  und fühlt sich als Politikerin übergangen
Gudrun Schittek (Grüne) ist Vorsitzende des Regionalausschusses Süderelbe und fühlt sich als Politikerin übergangen © Anima Berten

„Gemeinsames Entwickeln örtlich passender ökologischer Lösungen für mehrwertige, sozial inklusive Regeneration in Großstädten“ heißt das Programm, wenn man den englischen Wort-Bandwurm „Co-designing Locally tailored Ecological solutions for Value added, socially inclusivE Regeneration in Cities“, kurz: „CLEVER“, ins Deutsche übersetzt. Nachhaltigkeit ist im Namen zwar nicht erwähnt, aber in den Projekten erwünscht.

Das Programm hat das Ziel, Europa als Weltmarktführer für Innovationen in naturbasierten Städtebau-Lösungen zu positionieren. Die Vorreiterstädte London, Mailand und Hamburg sollen Vorbild für weitere europäische Partnerstädte sein. In London nimmt man sich des von Hochhaussiedlungen geprägten und durch Verkehrsadern zerschnittenen Quartiers Thamesmead im Südosten der Stadt an, in Mailand des Bezirks Lorenteggio mit den dicht besiedelten, stark versiegelten Altstadt-Quartieren Tibaldi und San Cristoforo.

In Neugraben soll ein System aus „Korridoren“, „Verknüpfungsflächen“ und „Punkten“ Mensch, Natur und Lebensqualität zusammenbringen. Die Korridore sind größtenteils schon vorhanden oder bereits im Neubaugebiet Fischbeker Reethen eingeplant.

Der Hauptkorridor nimmt die zentrale grüne Achse der Fischbeker Reethen auf, führt sie an Sandbek vorbei und durch das alte Fischbeker Dorf, taucht unter dem Bahndamm hindurch und am Aschenland wieder auf, wird zum Spiel-und-Sport-Band des Neubaugebiets Vogelkamp, quert als „Green Bridge“ auf der mit Ranken bewachsenen Beton-Fußgängerbrücke die B 73 – um entlang der Neugrabener Bahnhofstraße in Richtung Petershof zu verschwinden.

Das Spiel- und Sport-Band im Vogelkampgehört zu den bereits vorhandenen Elementen der Clever City
Das Spiel- und Sport-Band im Vogelkampgehört zu den bereits vorhandenen Elementen der Clever City © xl | Lars Hansen

Entlang des Korridors soll es vier Verknüpfungsflächen, so genannte „nodes“ geben, welche die manchmal abrupten Übergänge zwischen den einzelnen Quartieren des Stadtteils sanfter gestalten und den Menschen aus den unterschiedlichen sozialen Gruppen, die an den Flächen wohnen, als Treffpunkt und Kommunikationsraum dienen.

Die Schule Ohrnsweg mit den angrenzenden Jugendzentren ist dafür ebenso vorgesehen, wie die Stadtteilschule Fischbek mitsamt den Flüchtlingsunterkünften Am Aschenland, die Umgebung der Cornelius-Kirche und die Neugrabener Marktpassage samt Wochenmarkt.

An 20 einzelnen Punkten sollen besondere stadt- oder naturgestalterische Maßnahmen durchgeführt werden. Der Projektkorridor ist so geplant, dass er zum Zu-Fuß-Gehen oder Fahrradfahren einlädt. Dafür sollen vorhandene Barrieren entfernt und bisherige Angsträume neu und einladender gestaltet werden.

„CLEVER Cities nimmt sich vier Herausforderungen der Stadterneuerung an: Menschliche Gesundheit, Dauerhaftes wirtschaftliches Wohlergehen, Sozialer Zusammenhalt und Umweltgerechtigkeit, sowie der Sicherheit der Bürger“, sagt Dierk Trispel.

Die Bezirksabgeordnete Gudrun Schittek (Grüne) ist Vorsitzende des Regionalausschusses Süderelbe. Sie ist begeistert und irritiert zugleich: „Vieles von dem, was hier umgesetzt wir, entspricht Forderungen der Grünen oder Wünschen, die die Bürger hier geäußert haben“, sagt sie. „Aber dass man uns Kommunalpolitikern das einfach nur präsentiert, statt uns in die Gestaltung einzubinden, geht nicht!“

Die graue Eminenz der Neugrabener Politik, Ralf-Dieter Fischer (CDU) wird da klar deutlicher: „Wir werden uns das ansehen“, sagt er. „und was den bisherigen Beschlüssen der Bezirksversammlung zuwiderläuft, wird abgelehnt!“

Geplant ist es, für die CLEVER-Maßnahme einen Projektleiter und einen Projektassistenten befristet einzustellen. Die Stellen sollen im Juni besetzt werden und beim Dezernat Bauen, Wirtschaft und Umwelt des Bezirksamts angesiedelt sein. Die Person, die die Projektleitung übernimmt, muss wohl erst einmal Wogen glätten.“

Zwei Dörfer, Siedler und Plattenbauten

Die beiden Dörfer Neugraben und Fischbek bilden die Entwicklungskerne des Stadtteils Neugraben-Fischbek. Sie entstanden kurz nacheinander, Fischbek wurde 1544 erstmals urkundlich erwähnt, Neugraben erst 1577 auf einer Karte verzeichnet – obwohl Historiker sich sicher sind, dass Neugraben 1510 zusammen mit dem namensgebenden Gewässer angelegt wurde. Der als „neuer Graben“ kanalisierte und schiffbar gemachte Scheidebach zwischen Geest und Moor war gleichzeitig Grenze zwischen dem Herzogtum Harburg und Moisburg; Fischbek und Neugraben die jeweiligen Außenposten ihrer Kreise.

Erst 1937 wurden sie zu einem Stadtteil zusammengefasst. Waren die Dörfer bis zum zweiten Weltkrieg tatsächlich Dörfer, änderte sich das danach. In der Nachkriegszeit waren es zunächst Eigenheimsiedler, die hier zum Bevölkerungswachstum beitrugen. Einige Jahrzehnte später folgten die Hochhaussiedlungen im östlichen Neugraben. Viele der Nachkriegs-Eigenheimer empfinden diese Plattenbaublöcke immer noch als Katastrophe für „ihren“ Stadtteil und betrachten ihre Bewohner skeptisch.