Harburg/Winsen. Svea Queta (43) war selbst auf die Unterstützung der Harburger Tafel angewiesen. Nun arbeitet sie dort ehrenamtlich. Jeden Donnerstag.
Wie es sich anfühlt, wenn es einem dreckig geht, weiß Svea Queta (43) genau. Sie hat das am eigenen Leib erfahren. Am schlimmsten war es nach ihrer Scheidung – plötzlich allein mit den beiden Töchtern (heute 10 und 17 Jahre alt), ohne Job, und das Geld reichte vorne und hinten nicht. Die Lebensmittel, mit denen sie sich damals einmal wöchentlich bei der Harburger Tafel eindeckte, haben ihr ein bisschen mehr Luft verschafft.
Wer kaum über die Runden kommt, kennt das Gefühl, dass sich eine Schlinge langsam zu zieht. Svea Queta kann wieder befreit durchatmen. Seit Anfang des Jahres arbeitet sie als Sekretärin – und jeden Donnerstag ehrenamtlich für die Harburger Tafel: „Die hat mir geholfen als ich wirklich in Not war, jetzt bin ich dran, anderen zu helfen!“
Ihr Dienst beginnt um 7.30 Uhr. Wenn sie zur Ausgabestelle an der Buxtehuder Straße kommt, sind die ersten „Kunden“ meist schon da – obwohl die Lebensmittel erst von 11 Uhr an ausgegeben werden. Wer früh kommt, hat die beste Auswahl. „Wir können nur verteilen, was da ist“, sagt Svea Queta. Und das möglichst gerecht.
Keiner geht leer aus, darauf achten Svea Queta und die anderen Ehrenamtlichen. Enrico Thau (45), stellvertretender Vorsitzender des Vereins betont: „Wir haben hier noch nie Leute abgewiesen.“ Bundesweit hatte kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, dass eine Tafel in Essen Ausländer vorübergehend nicht mehr mit Lebensmitteln versorgte.
Seit der Flüchtlingswelle, die 2015 auch Harburg erreicht hat, ist die Zahl der Bedürftigen hier ebenfalls gestiegen. Die 130 Ehrenamtlichen der Harburger Tafel versorgen inzwischen in Harburg, Neuwiedenthal, Buchholz und Winsen rund 1300 Bedürftige. Der Verein gehört zu einem Netzwerk von 900 Tafeln in Deutschland.
Annemarie Dose, die inzwischen verstorbene Gründerin der ersten Hamburger Tafel, umriss ihre Idee einmal so: „Einer hat Geld, einer hat Ware und einer hat Zeit.“ Nach diesem Prinzip arbeitet die Harburger Tafel, die 1996 – zwei Jahre nach dem Hamburger Prototyp – ins Leben gerufen wurde, bis heute.
Täglich sind die Harburger Helfer mit drei Transportern unterwegs und holen bei Filialen großer Lebensmittelketten, Bäckern und Einzelhändlern übrig gebliebene Lebensmittel ab. Vor allem nach Feiertagen, wie zuletzt Ostern, kommen stattliche Fuhren zusammen. „Es gibt immer Wellenbewegungen“, sagt Svea Queta.
Sie ist an diesem Donnerstag die erste, die da ist. Denn ihr Job ist die Tagesleitung. Sie guckt, ob die Fahrer während ihrer Tour zusätzliche Stationen anfahren müssen, weil sich noch jemand gemeldet hat, der Lebensmittel spenden möchte. Sie hat ein Auge auf die Dienstpläne: Fällt jemand aus, weil er krank ist oder keine Zeit hat?
Oder gibt es Anfragen von der Tafeln in Hamburg, Wilhelmsburg, Bergedorf oder Buxtehude? Denn natürlich tauschen sie sich untereinander aus und helfen sich gegenseitig. Was an dem einen Standort zuviel ist, fehlt vielleicht am anderen.
Ist die Büroarbeit erledigt, packt Svea Queta mit an: im kleinen Laden bei der Ausgabe, beim Ausladen der Lebensmittel, die die Fahrer von ihrer täglichen Tour mitbringen und die dann in einer Garage, die als Lager dient, sortiert und gegebenenfalls in Tiefkühltruhen oder den Kühlraum geräumt werden. Reichlich Arbeit. Die längst nicht endet, wenn die Lebensmittelausgabe gegen 13.30 Uhr schließt.
Aufräumen, Sauermachen, die nächsten Tage vorbereiten: „Das alles zieht sich“, sagt Svea Queta. Meist enden Einsätze erst gegen 18, 19 Uhr. Wie hoch der Aufwand ist, den Ehrenamtliche wie Svea Queta betreiben, machen sich viele gar nicht klar. Aber es gibt auch die anderen: „Die sind wirklich dankbar und sagen das auch.“
Was Menschen wie Queta oder auch Enrico Thau sicher besonders für die Arbeit bei der Harburger Tafel qualifiziert, ist die Tatsache, das sie schon auf der anderen Seite des Ladentresens wegen gespendeter Lebensmittel angestanden haben. Svea Queta erinnert sich genau: „So ein Gang ist nicht einfach. Das hat mit Scham zu tun und kostet wirklich Überwindung.“
Einmal pro Woche dürfen Bedürftige bei der Tafel Lebensmittel abholen. Vorausgesetzt sie haben eine Tafelkarte, auf der unter anderem vermerkt ist, ob jemand allein lebt oder Familie und Kinder hat. Kommen alleinerziehende junge Mütter, geht das Svea Queta besonders nah: „Ich weiß ja, wie das ist.“
Sie hört oft Geschichten, die unter die Haut gehen. Aber es sei wichtig, Distanz zu wahren, sagt sie. Das gelingt ihr meistens gut. Auch, weil die Zusammenarbeit mit den anderen Spaß macht: „Wir sind ein tolles Team.“
Trotzdem die Frage an Svea Queta: Warum müht sie sich an diesem herrlichen Sonnentag für die Harburger Tafel ab, anstatt an ihrem freien Tag zum Beispiel um die Außenmühle zu spazieren? Die Antwort kommt prompt: „Es ist ein gutes Gefühl, zu helfen und etwas zurück zu geben.“ Und es ist sinnstiftend. Am Ende eines solchen Tages weiß Svea Queta genau, was sie getan hat. Hinzu kommt ihr ganz persönlicher Pragmatismus: „Das ganze Leben ist ein Geben und Nehmen!“
Und dann ist da noch eine Ebene, die einhergeht mit jedem sozialen Engagement: Es hilft, den Blick auf das eigene Leben zu verändern. Es rückt die Perspektiven ins rechte Lot. Wer sieht, wie groß Elend und Not anderer Menschen zuweilen sind, bewertet eigene Krisen neu. Dabei Teil eines gut geschmierten Getriebes zu sein, das störungsfrei läuft, erhöht Zufriedenheit und Selbstbewusstsein.
Bei der Harburger Tafel ziehen sie alle an einem Strang – die 25 Jahre alte Studentin ebenso wie der Rentner, der einen der Transporter fährt oder die Seniorin, die mit ihrer Umsicht, zupackenden Herzlichkeit und Lebenserfahrung dazu beiträgt, dass die Stimmung nicht kippt, selbst wenn es bei der Ausgabe vielleicht mal ruppig zugeht, weil wieder einer glaubt, andere hätten viel mehr abbekommen als er selbst.
Gerade vor dem Hintergrund ist es gut zu sehen, dass auch diese Medaille eine zweite Seite hat: In jüngerer Zeit rufen immer mal wieder Menschen an, die Lebensmittel spenden wollen, weil sie sie eigens zu diesem Zweck gekauft haben.
Lebensmittel retten, Menschen helfen
An vier Standorten ist die Harburger Tafel aktiv. In Harburg an der Buxtehuder Straße 31: dienstags, 11 bis 13.30 Uhr, mittwochs, 10 bis 13 Uhr, donnerstags, 11 bis 13 Uhr, freitags, 10 bis 13 Uhr. In Neuwiedenthal, Lange Striepen 3 b (Thomas-Kirche): dienstags, 14 bis 15.30 Uhr.
In Buchholz werden Lebensmittel am Reiherstieg 8 ausgegeben: mittwochs, 12 bis 13.30 Uhr. In Winsen am Neulander Weg 15: dienstags und freitags, jeweils 11 bis 12.30 Uhr
Lebensmittel retten, Menschen helfen, dieser Grundsatz des Bundesverbandes gilt für auch die Harburger Tafel.
Für eine Tafelkarte müssen Einkommensnachweis, Personalausweis oder ein Pass vorgelegt werden.