Harburg. Neue Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg zeigt, dass die Entwicklung des Menschen ohne Wanderungsbewegungen nicht denkbar ist.
Migration gehört zur Menschheitsgeschichte wie das Jagen und Sammeln, das Sesshaftwerden oder Kämpfe und Kriege der vergangenen Jahrtausende. Diese Botschaft zieht sich als roter Faden durch die neue Ausstellung des Archäologischen Museums Hamburg (AMH) mit dem Titel „Zwei Millionen Jahre Migration“. Morgen Abend wird sie im Beisein von Sozialsenatorin Melanie Leonhard mit einer Vernissage offiziell eröffnet. Von Freitag an ist sie Besuchern zugänglich.
Nach dem Publikumsmagneten um Walt Disneys Comic-Ente, der Duckomenta, widmet sich das AMH nun einem ernsten Thema. Angesichts der aktuellen Einwanderung von Flüchtlingen, aber auch der vielen Hamburger und Harburger Bürger mit Migrationshintergrund, habe das Ausstellungsthema in der Luft gelegen, sagt Museumsdirektor Prof. Rainer-Maria Weiss und weist auf die Bedeutung von Wanderungsbewegungen hin: „Die Menschheit ist in Afrika entstanden. Wäre sie dort geblieben, gäbe es keine Europäer.“
Vor diesem Hintergrund wird der Begriff „Migrant“ plötzlich sehr schwammig. Weiss: „In der frühen Menschheitsgeschichte unterscheiden wir homo erectus, homo floresiensis, homo sapiens sapiens und so weiter. Eine treffende Bezeichnung für alle wäre homo migrans.“ Der heutige Mensch sei ohne Migration und damit auch Integration (Eingliederung) und Assimilation (Anpassung) nicht denkbar, betont Weiss.
Die Ausstellung zeigt auch: In jedem von uns, auch in alteingesessenen Harburgern und Hanseaten, steckt ein großer Anteil Migration. Weiss: „50 Prozent unserer DNA kommt aus Anatolien. Vor ungefähr 7500 Jahren, als in unseren Breiten Jäger und Sammler lebten, kamen Bauern aus dem Nahen Osten nach Mitteleuropa und trugen dazu bei, dass die Menschen hier sesshaft wurden.“
Auch Gene russischer Steppenvölker finden sich im Erbgut der Europäer. Unter den heutigen Migranten stoßen sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge besonders häufig auf Ablehnung. Dabei sei die Ursache großer Wanderungsbewegungen von jeher die Suche nach besseren Lebensbedingungen gewesen, so Weiss. Krieg und Vertreibung spielten erst seit einigen Tausend Jahren eine Rolle.
Die Migrations-Ausstellung legt einen Schwerpunkt auf die frühe Menschheitsgeschichte. Die Ausstellung stammt vom Neanderthal-Museum (es schreibt sich mit einem „th“, weil der Neandertaler im 19. Jahrhundert entdeckt wurde und damals mit „th“ geschrieben wurde). Das Museum in Mettmann bei Düsseldorf und das AMH unterhalten seit Jahren freundschaftliche Kontakte. So verließ die Sonderausstellung erstmals Mettmann.
Zwar steht die Frühgeschichte inhaltlich im Vordergrund, doch fällt den Besuchern sehr schnell eine Porträtwand mit Gesichtern von heute lebenden Menschen in aller Welt ins Auge. Sie ist Teil des Projekts „Humanae“ der brasilianischen Künstlerin Angélica Dass. Das Projekt will die Bandbreite der menschlichen Hautfarben aufzeigen.
Die Künstlerin reist durch die Welt und fotografiert Menschen. Die Hintergrundfarbe der Porträts entspricht jeweils der Hautfarbe des Nasenflügels. So wird aus einem sonnenverbrannten Mitteleuropäer plötzlich eine „Rothaut“ mit rosa unterlegtem Hintergrund. Ebenfalls aus der Neuzeit stammen drei Hörstationen mit Interviews, in denen Migranten der ersten, zweiten und dritten Generation ihre Lebensumstände schildern.
Sie leben mehrheitlich in Harburg. Gerade die Harburger Innenstadt ist Einwanderungsland – mehr als 80 Prozent der Unter-18-Jährigen haben nach behördlicher Statistik einen Migrationshintergrund, gehören zu den Familien, die erst vor kurzem oder vor einigen Jahrzehnten eingewandert sind.
Ein Migrations-Beispiel aus dem 19. Jahrhundert hat das Museum aus eigenen Beständen beigesteuert: das Ölgemälde „Abschied der Auswanderer“ aus dem Jahr 1882 zeigt eine Familie, die ihren Hof in der Lüneburger Heide verlässt – ein offenbar schmerzhafter Abschied von der Heimat. „Das ist ein einzigartiges Zeitzeugnis“, sagt Rainer-Maria Weiss. „Wahrscheinlich reiste die Familie zur Ballinstadt und bestieg dort ein Schiff Richtung Amerika.“
Dieser Teil der Migrations-Geschichte der Europäer beschreibt das Auswanderermuseum Ballinstadt auf der Veddel. Es zeigt die Geschehnisse der vergangenen zwei Jahrhunderten. Das AMH in der Harburger City und das Auswanderermuseum liegen nur drei S-Bahn-Stationen auseinander. Sie kooperieren miteinander, in dem Besucher eines der beiden Museen im jeweils anderen Rabatte erhalten (s. Text rechts).
Noch dichter liegt ein weiterer Ausstellungsteil zum Thema Migration: Auf der gegenüber liegenden Straßenseite (Harburger Rathausplatz 5), in der Dauerausstellung des AMH, widmet sich ein Bereich der Mobilität – „ein Blick auf die andere Straßenseite lohnt sich“, verspricht der Museumsdirektor.
Ausstellungskuratorin Yvonne Krause – im Museum für den Bereich Bildung und Vermittlung verantwortlich – und ihr Team haben sich für die Besucher einen besonderen Denkanstoß ausgedacht: Sie können wählen, ob sie den Eingang „Migrant“ oder „Nicht-Migrant“ wählen. Beim Ausgang stehen sie wieder vor dieser Wahl. Das Museumsteam ist zuversichtlich, dass sehr viel mehr Besucher den Migranten-Ausgang wählen, als zuvor beim Eintreten.
Besucherservice
Die Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg/Stadtmuseum Harburg, Museumsplatz 2 /Knoopstraße, läuft von Freitag, 13. April, bis zum 2. September.
Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag jeweils 10 bis 17 Uhr
Der Eintritt für Erwachsene beträgt 6, ermäßigt 4 Euro. Zudem gibt es eine Kooperation mit dem Auswanderermuseum Ballinstadt am S-Bahnhof Veddel: Mit Eintrittskarten des jeweils anderen Museums erhält eine zweite Person freien Eintritt.
Termine von Vorträgen, Führungen und Workshops stehen im Internet auf der Museums-Webseite unter www.amh.de, Stichwort: „Programm“