Das katholische Niels-Stensen-Gymnasium in Harburg will nicht aufgeben und bringt ein Stück auf die Rieckhof-Bühne.

Ein langgezogenes „Halleluja“ hallt durch die Räume der alten Feuerwache an der Hastedtstraße. Die Turmuhr des ehemaligen Schlauchtrockenturms zeigt 20.30 Uhr. Doch statt zuhause auf der Couch zu sitzen, mit dem Tablet zu daddeln oder mit Freunden zu chatten sind die Schüler zur Probe in die Räume der alten Wache gekommen. An den Ort, dessen Tage gezählt sind. In sieben Jahren werden die letzten Schüler des Niels-Stensen-Gymnasiums (NSG) in Harburg ihr Abitur machen. Und die Schule wird ihre Pforten für immer schließen. Das Gymnasium im Harburger Stadtkern gehört zu den acht katholischen Schulen, die im Laufe der kommenden Jahre abgewickelt werden sollen.

Doch noch tobt in der Schule das Leben. Und das wollen die Schüler „denen da draußen“ auch zeigen. Dem Stadtteil, dem Erzbistum, am liebsten der ganzen Stadt. Also gehen sie auf die Bühne.Und das gleich drei Mal. Am 11., 12. und 13. April präsentieren die Schüler im Rieckhof das Musical „Zwei hoffnungslos verdorbene Schurken“. Und alle künstlerisch-musisch begabten Schüler machen mit: Orchester und Bigband, Schauspieler und Tänzer, Eltern-Schüler-Chor und Solisten. 130 Künstler, die unisono sagen: „Wir geben nicht auf. Wir machen weiter. Jetzt erst recht!“

„Zeigt euch, seid stark“, so die Botschaft von Regisseurin Petra Max, seit 14 Jahren an der Schule tätig. „Wir sind super motiviert“, sagt sie. Wie sehr, das spiegelt sich an diesem Abend bei einer der drei letzten großen Proben vor der Premiere. Tanzfolgen werden durchgegangen, jeder Song unzählige Male neu angestimmt — bis zur Perfektion. Die Stimmung hat etwas Kämpferisches. „Wir sollten solange für unsere Schule fechten bis tatsächlich alle Möglichkeiten erschöpft sind“, sagt Zehntklässlerin Arek Bol Mabien. „Nur solange wir weitermachen, können wir etwas bewegen. Wir haben doch schon so viel erreicht.“

Hoffen auf die Initiativeder Schulgenossenschaft

Tatsächlich stehen die Chancen für eine Weiterführung des Gymnasiums nicht schlecht. Anfang Februar erreichte Schulleiter Winfried Rademacher die Nachricht, dass nun doch auch die Mädchen und Jungen der Jahrgänge fünf bis acht ihr Abitur noch am NSG machen dürfen. Zuvor war geplant, das Gymnasium bereits in fünf Jahren zu schließen. Für die jüngeren Jahrgänge hätte das bedeutet, dass sie nach der 10. Klasse die Schule wechseln müssen. Jetzt ruhen die Hoffnungen auf der Initiative für eine Hamburger Schulgenossenschaft, die in gemeinsamer Trägerschaft mit dem Erzbistum einer Fortsetzung des Schulbetriebs ermöglichen will.

Was dem Hamburger Süden verloren gehen würde, wenn das NSG schließt, möchten die Schüler mit ihrem Musical zeigen. „Unsere Schule ist jung und modern“, sagt Schülerin Magdalena Benjamin. „Wir sind ein tolle Gemeinschaft. Und wir haben auch kulturell einiges zu bieten.“ Die Elftklässlerin sitzt in einem weißen Spitzenkleid auf dem Sofa der alten Feuerwache. Sie wird auf der Bühne tanzen, als Luxuslady, Zimmermädchen, Cowgirl. Die Musik dazu kommt life, Geige, Klarinette, Saxophon, Klavier, ein ganzes Orchester von Schülern, Lehrern und Profis bläst hier zum Angriff.

„Wir sind von den Plänen der Schulschließung geschockt“, sagt Musiklehrerin Stephanie Filip, die nicht nur von Anfang an zum Kollegium gehört, sondern auch als äußerst musikaffine stellvertretende Schulleiterin für einen guten Ton in der Schule sorgt. „Unvorstellbar, dass solche Inszenierungen künftig nicht mehr möglich sein werden. Wie denn auch, wenn wir künftig von Jahr zu Jahr weniger werden?“

Doch daran wollen die Schüler an diesem Abend nicht denken. Drei Mal pro Woche, nachmittags, abends, an den Wochenenden haben sie für diesen Auftritt geübt. „Und damit etwas sehr Wertvolles erfahren“, sagt Petra Max. Ein Projekt wie dieses bereichere das Schulleben nicht nur kulturell. „Schüler, Lehrer und Eltern verbringen viel Zeit außerhalb des üblichen Rahmens miteinander und arbeiten an einem gemeinsamen Ziel. Sie erleben das Gefühl, gemeinsam Schule zu gestalten, etwas zu erreichen und zu schaffen.“ Dieses Gefühl trage auch im Schulalltag. Was gerade in der aktuellen Situation des NSG wichtig sei. „Dem Stadtteil geht mit der Schließung eine besondere Schule verloren, den Schülern ein Ort, der sich wie Zuhause anfühlt und den Theatergängern ein Stück erlebenswerte Kultur.“

Bereits in der Vergangenheit konnte das NSG mit seinen Theaterproduktionen überzeugen. Klassiker wie Georges Bizets „Carmen“ und Shakespeares „Sommernachtstraum“ standen schon auf dem Programm. Und jetzt: „Zwei hoffnungslos verdorbene Schurken“. Das Stück geht auf die populäre Filmkomödie mit Steve Martin und Michael Caine aus dem Jahr 1988 zurück. Mit Swing, mitreißenden Jazz-Rhythmen und pointierten Dialogen beleben die Schüler das sommerliche Lebensgefühl der 1950er Jahre an der Riviera und der Côte d’Azur wieder. „Das Stück gehört hierzulande vielleicht nicht zu den bekanntesten Musicals, wird aber weltweit auf großen Bühnen gespielt“, sagt Petra Max. „Es ist ein wirklich anspruchsvolles Projekt.“

Die Lehrer verkündeten das Aus mit Tränen in den Augen

Hauptdarsteller Matthias Dost krönt mit dem Auftritt seine schulische Theaterkarriere. Und will auch nach dem Abitur auf der Bühne weitermachen. Auch wenn er selbst als Abiturient nicht mehr betroffen ist, sitzt ihm der Schock über die Schließungspläne noch immer im Nacken. „Plötzlich wurde der Unterricht unterbrochen, wir mussten alle in die Turnhalle und da standen die Lehrer — mit Tränen in den Augen. Das war schrecklich“, sagt der Schüler, der auf der Bühne den flotten Trickbetrüger Lawrence spielt. „In dem Stück geht es ums Reinlegen, und darum, wie die, die reinlegen wollen, schließlich selbst reingelegt werden.“ Eine unerwartete Wendung, die sich die Schüler und Lehrer auch für ihre Schule wünschen.

Sie sind sich einig, dass sie weitermachen werden, bis der letzte Vorhang fällt. „Wenn die Schule wirklich geschlossen wird, werden wir alle, die seit 2003 diese Schule besucht haben, noch einmal gemeinsam auf die Bühne gehen“, sagt Zehntklässlerin Rodothea Bouranzane. Regisseurin Petra Max hat Tränen in den Augen. „Mir geht das ganze so nah.“ Dann lächelt sie, putzt die Nase und sagt, was alle denken: „Solange wir Schüler haben, machen wir Theater!“