Harburg. St. Trinitatis, St. Paulus und Luthergemeinde planen Zusammenlegung zum 1. Januar 2020. Nur St. Petrus schert aus.
Ist das Kirche oder kann das weg? Eine knackige Formel. Sie bündelt sozusagen all die Fragen, die aktuell den evangelischen Kirchenkreis Ost und in Harburg insbesondere die vier Gemeinden St. Trinitatis an der Bremer Straße, die Luthergemeinde am Kirchenhang in Eißendorf sowie die beiden Heimfelder Gemeinden St. Paulus am Petersweg und St. Petrus an der Haakestraße umtreibt. Weil der Kirche die Mitglieder weglaufen, das Geld knapper wird und bei den Pastoren der Nachwuchs fehlt, gibt es vielfältige Bemühungen, Kirche neu aufzustellen.
In Harburg mit konkreten Konsequenzen: Der vor geraumer Zeit von den vier Gemeinden (11.000 Mitglieder) geschlossene Kooperationsvertrag läuft Ende des Jahres aus. St. Trinitatis, St. Paulus und Luthergemeinde wollen fusionieren, arbeiten bereits intensiv an diesem Plan. Der entsprechende Vertrag soll möglichst schon am 1. Januar 2020 in Kraft treten.
Von der Fusion, seit Längerem im Gespräch, hat sich die Heimfelder Gemeinde St. Petrus allerdings verabschiedet. Aus gutem Grund, sagt Pastor Christoph Borger: „Wir waren grundsätzlich offen für eine Fusion, hatten dann aber bald den Eindruck, dass dies das Ende unserer Gemeinde bedeutet hätte.“
Die Befürchtungen werden befeuert durch den Umstand, dass der Kirchenkreis Ost die Gemeinde-Gebäude an der Haakestraße als nicht förderungswürdig eingestuft hat: Wenn arbeiten anstehen, gibt es keine Zuschüsse. In seiner Gemeinde habe das zu einem Aufbegehren geführt, das viele Kräfte freisetzte: „Hier gibt es eine große Gruppe aktiver, ideenreicher und engagierter Menschen.“ Die hätten im vergangenen Jahr sogar einen Förderverein gegründet, um die Finanzen in den Griff zu kriegen: „Das läuft gut.“
Und die Stimmung in seiner Gemeinde? „Uns geht es super“, sagt Pastor Borger. Ihm ist die Erleichterung anzuhören, dass die Fusion, die schon länger im Raum steht, vom Tisch ist. „Jetzt haben wir endlich klare Strukturen“, sagt Borger. Er sagt aber auch, dass er sich auch in Zukunft der Zusammenarbeit mit seinen Kollegen nicht verschließen will: „Wir werden hier keine Zäune hochziehen.“
Stellen für Kirchenmusik, Stadtteildiakonie sowie Jugend- und Konfirmandenarbeit haben sich die vier Gemeinden bislang geteilt. Zuletzt hatten sie auch einen gemeinsamen Gemeindebrief veröffentlicht.
Das Trio St. Trinitatis, St. Paulus und die Luthergemeinde machen sich unterdes daran, umzusetzen, was die Harburger Pröpstin Carolyn Decke so ausdrückte: „Wir müssen Kirche neu denken.“ Für Pastor Friedrich Degenhardt von der Trinitatisgemeinde an der Bremer Straße, die vor Jahren hervorgegangen ist aus der Zusammenlegung von Dreifaltigkeits- und Johanniskirche, bedeutet das zuallererst: „Wir müssen vom Ziel her denken.“ Will sagen: Erst schauen, wohin soll es gehen und dann nach entsprechenden Wegen suchen.
Eine Vorgehensweise, die offenbar Konsens ist im Kirchenkreis Ost. Jedenfalls steht für sie auch das vor rund eineinhalb Jahren ins Leben gerufene Projekt U 45, dem elf Pastorinnen und Pastoren angehören – unter anderem Degenhardt und seine Kollegin Anne Arnholz von St. Paulus. Sie gehören zur Fraktion der jüngeren Theologen, die mutmaßlich im Jahr 2030 noch arbeiten, wenn nach der bevorstehenden Pensionierungswelle, die die sogenannten Baby-Boomer in die Rente spült, wahrscheinlich nur noch die Hälfte der Kollegen von heute im Amt ist.
Kürzlich erst hatten Degenhardt, seine Kollegin Arnholz und Andree Manhold, Pastor der Luthergemeinde, zur Ideenwerkstatt in den Saal der Trinitatisgemeinde eingeladen. Das Ergebnis war motivierend, sagt Degenhardt: „Da merkte man, dass es genug Leute gibt, die Ideen haben und diese auch entwickeln wollen.“
Leute, die in der Krise auch eine Chance sehen. Und Leute, die Degenhardt sonst nicht gerade die Tür einrennen. Jedenfalls will er, wie seine beiden Kollegen, mehr Menschen motivieren: Zu Kirchenbesuchen, zur Mitarbeit und zu ehrenamtlichen Engagement. Ohne allerdings die zu verprellen, die seit langem in den Chören, der Kantorei und Seniorenkreisen so etwas wie eine Heimat haben.
Was dem Trio vorschwebt, hebt die Grenzen auf. Eine Steuerungsgruppe wurde jetzt eingesetzt, in der sich Vertreter aller drei Gemeinden treffen, um die geplante Fusion mit Inhalt und Leben zu füllen. Nächster Schritt ist die Installation von bis zu sieben Arbeitsgruppen, die sich dann mit einzelnen Schwerpunktthemen beschäftigen. Begleitet wird der Prozess von einem Organisationsberater des Kirchenkreises Ost. Einiges steht schon fest. Es werde keine Kündigungen geben, verspricht Degenhardt.
Um auch nachfolgende Generationen anzusprechen, sollen neue Angebote installiert werden (Meditationen, internationale und Frühstücksgottesdienste). Die Pastoren wollen in Teams zusammenarbeiten, in gemeinsamen Büros: um Freiräume zu schaffen für Neues neben dem Althergebrachten. „Ich hoffe auch, dass wir es so schaffen, unterschiedliche Schwerpunkte zu schärfen“, sagt Andree Manhold.
Seine Kollegin Anna Arnholz richtet ihren Blick weit über den Tellerrand: „Letztendlich bedeutet die Fusion das Ende jeder Gemeinde. Nur die Kirchen behalten ihre Namen.“
Personalmangel
Fachkräftemangel herrscht auch in der evangelischen Kirche. Es fehlt der Pastoren-Nachwuchs. Dem Abendblatt sagte die Harburger Pröpstin Carolyn Decke: „Bis zum Jahr 2020 wird mindestens ein Drittel der frei werdenden Stellen nicht wieder besetzt.“ Außerdem laufen der Kirche die Mitglieder weg. Der Propstei Harburg mit ihren 17 Gemeinden gehörten vor zehn Jahren noch 80.000 Menschen an. Inzwischen sind es 20.000 weniger. Damit einher geht, dass das Geld für den Unterhalt der Gebäude knapp wird. Der Kirchenkreis-Ost, zu dem Harburg gehört, hat einen Kriterienkatalog festgelegt und zahlt nur noch dann Zuschüsse, wenn das jeweilige Gebäude als „förderungswürdig“ eingestuft ist. Klar ist aber auch: Ein Drittel der Gebäude muss weg.