Lüneburg. Das Museum Lüneburg gehört zu den ersten Regionalmuseen, die ihren Bestand systematisch auf NS-Raubkunst durchsuchen.

Ein Nachruf in der New York Times brachte Anneke de Rudder auf die entscheidende Spur. Fast zwei Monate hatte sie bereits recherchiert, um Nachfahren des jüdischen Bankiers Marcus Heinemann aus Lüneburg zu finden. Aus dessen Nachlass nämlich hatte das Museum Lüneburg 1940 mehrere Objekt erworben – unrechtmäßig, wie die Historikerin herausgefunden hatte. Nun sollten sie den Erben übergeben werden.

Wenn von Raubkunst die Rede ist, geht es zumeist um wertvolle Kunstwerke, die in der NS-Zeit unrechtmäßig den Eigentümer wechselten. Es geht um berühmte Museen, namhafte Kunsthändler und weltweite Verzweigungen. Die Provenienzforschung beschäftigt sich mit der Herkunft solcher Werke, entwirrt das oft undurchsichtige Geflecht der Wege, sie im Laufe der Zeit genommen haben. Nicht selten ähneln die Nachforschungen einer spannenden Kriminalgeschichte mit überraschenden Wendungen.

Die Objekte sind oft mit der Stadtgeschichte verwoben

Erst seit wenigen Jahren betreiben auch kleinere und mittlere Museen mit kulturgeschichtlichem Schwerpunkt verstärkt Provenienzforschung. Anneke de Rudder hat für das Museum Lüneburg systematisch untersucht, unter welchen Umständen dieses in den Besitz seiner Werke gekommen ist – und wem mögliche Raubkunstobjekte rechtmäßig zustehen. Anstelle von wertvollen Gemälden stehen auf ihrer Liste Alltagsgegenstände, Möbel und Kunsthandwerksobjekte aus verschiedenen Jahrhunderten, die zumindest für Laien auf den ersten Blick unspektakulär wirken.

Marcus Heinemann im Garten seines Hauses in Lüneburg
Marcus Heinemann im Garten seines Hauses in Lüneburg © HA | Willy Heinemann (Museum Lüneburg)

Richtig spannend wird es, wenn zu einer alten Bibel, Silberbesteck, Keramikstücken oder bunten Fensterbildern eine Geschichte erzählt werden kann. „Wir haben uns gefragt, was damals vor Ort passiert ist, welche Geschichte hinter den Objekten steckt“, sagt Anneke de Rudder. So wie im Fall der Familie Heinemann, mit dem sie sich in den vergangenen vier Jahren intensiv beschäftigt hat.

Marcus Heinemann, der von 1819 bis 1908 lebte, gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Museumsvereins und schenkte dem damaligen Museum für das Fürstentum Lüneburg bereits zu Lebzeiten mehrere kulturgeschichtlich bedeutende Stücke. Aus dem Nachlass des jüdischen Bankiers erwarb das Museum im Jahr 1940 mehrere Objekte – ein Fall von Raubkunst, wie Anneke de Rudders Nachforschungen ergaben. Sie machte sich auf die Suche nach den Nachfahren Heinemanns, der mit seiner Frau Henriette 17 Kinder hatte.

 Rückgabe der Familienbibel von Marcus Heinemann beim Treffen der Heinemann-Nachfahren im Juli 2015
Rückgabe der Familienbibel von Marcus Heinemann beim Treffen der Heinemann-Nachfahren im Juli 2015 © HA | Museum Lüneburg

„In der New York Times habe ich dann einen Nachruf entdeckt, der mit der Familie zu tun hatte“, sagt die 50-Jährige. Darunter standen die Namen der Kinder des Verstorbenen, die weitere Recherche führte nach Kalifornien. „Dort lebt eine Nachfahrin, die als Pädagogin sehr aktiv ist, das war mein erster Kontakt zur Familie.“

Nach und nach machte sie rund 60 weitere Familienmitglieder in zahlreichen Ländern ausfindig, unter anderem in den USA, Großbritannien, Israel, Guatemala, Frankreich und Deutschland. Mehr als 40 von ihnen reisten 2015 zu einem großen Familientreffen nach Lüneburg, wo ihnen die Dinge, die einst ihrem Vorfahren gehörten, zurückgegeben wurden. „In einer großzügigen Geste haben sich die Erben entschieden, die Familienobjekte ihrerseits dem Museum als langfristige Leihgabe zur Verfügung zu stellen“, sagt Anneke de Rudder.

Ähnlich ging die Recherche zu zwei Leinendamast-Tüchern mit eingewebten biblischen Motiven aus. Sie gehörten einst dem Lüneburger Kaufmann Hirsch Lengel, der sie 1937 für neun Reichsmark – auch nach damaligen Maßstäben ein sehr niedriger Preise – dem Museumsverein verkaufte. Kurze Zeit später wurde Hirsch Lengel verboten, sein Geschäft weiterzuführen. Es handelt sich den Recherchen zufolge daher auch hier um sogenannten verfolgungsbedingten Entzug von Kulturgut in der NS-Zeit. Der Kaufmann, sein Frau Berta und vier der sieben Kinder starben in verschiedenen Konzentrations- und Vernichtungslagern. 2017 wurden die Leinentücher an Hirsch Lengels Erben aus den USA übergeben. Diese überließen die Tücher wiederum dem Museum als Leihgabe.

Wie ein Detektiv geht die Historikerin den Spuren nach

Anneke de Rudders Vorgehen gleicht einer Mischung aus Detektivarbeit, Familienforschung und Quellenanalyse. Wie sie bei ihren Nachforschungen zu den Museumsobjekten mit unklarer Herkunft – nicht nur NS-Raubkunst – vorgegangen ist und welche Ergebnisse sie dabei zutage gebracht hat, ist von Freitag an in der Sonderausstellung „Noch einmal nach der Herkunft fragen...“ zu sehen.

Ausstellung Provenienzforschung Museum Lüneburg
Ausstellung Provenienzforschung Museum Lüneburg © HA | Museum Lüneburg

Der Titel spielt auf die oft wiederholten Versuche an, trotz Schwierigkeiten doch noch herauszufinden, woher ein Gegenstand stammt, unter welchen Umständen er die Besitzer gewechselt hat und – bei einem bestätigten Verdacht – die rechtmäßigen Eigentümer zu finden. Gefördert wurde das Projekt durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste.

Den Kontakt zur Familie Heinemann hält Anneke de Rudder noch immer, viele Familienmitglieder haben ihr bei der Suche nach weiteren Spuren geholfen. Darunter eine ältere Dame aus Florida, mit der sie sich manchmal per Skype unterhält. Auch in Lüneburg hat die Historikerin während ihrer Recherche Spuren der Familie aufgetan, so stehen hier noch frühere Wohnhäuser der Heinemanns und in der Kirche St. Nicolai entdeckte sie einen Schriftzug mit dem Familiennamen.

110 Jahre nach dem Tod Marcus Heinemanns präsentiert das Museum nun die Spurensuche, mit der seiner und anderen Familien nachträglich ein wenig Gerechtigkeit zuteil wird.

Die Sonderausstellung zur Provenienzforschung:

„Noch einmal nach der Herkunft fragen...“ Unter diesem Titel zeigt das Museum Lüneburg in einer Sonderausstellung anhand verschiedener Beispiele, wie Provenienzforschung in einem Regionalmuseum funktioniert und was sie zur Stadt- und Museumsgeschichte beitragen kann. Sie wirft ein neues Licht auf zahlreiche Stücke in dem Museum und verbindet diese mit menschlichen Geschichten aus der Hansestadt.

Das Begleitprogramm umfasst drei Termine: Am Donnerstag, 8. Februar, spricht Anneke de Rudder über „Gute Geschichten: NS-Raubkunst im Film“. Ulrike Kannengießer hält am Donnerstag, 22. Februar, einen Vortrag über „Ein Buch aus der Zarenresidenz: Zur Rückgabe von Beutekunst nach Russland“. Und um Provenienzforschung in öffentlichen und privaten Sammlungen in Südniedersachsen geht es im Vortrag „Von Vereinsfahnen, Federschmuck und ‘Judensilber’“ von Dr. Christian Riemenschneider am Donnerstag, 1. März. Beginn ist jeweils um 18.30 Uhr im Marcus-Heinemann-Saal des Museums, Eingang Wandrahmstraße 10.

Die Sonderausstellung ist noch bis zum 4. März im Museum Lüneburg, Willy-Brandt-Straße 1, zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags, mittwochs und freitags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags von 11 bis 20 Uhr sowie sonnabends und sonntags von 10 bis 18 Uhr.