Harburg/Meckelfeld. Die Johanniter-Reiterstaffel Harburg ist bei Großveranstaltungen im Einsatz und sucht Nachwuchs. Vier Reiterinnen gehen in Babypause.
Der Notfall ereignet sich mitten in der Lüneburger Heide. Die Wandergruppe befindet sich irgendwo zwischen Wilsede und Undeloh. Unzählige Kilometer entfernt von der nächsten asphaltierten Straße. Es ist ein warmer Sommertag. Ein Tag, an dem auch Martina Leffrang mit ihrem Hannoveraner-Wallach Powergame und drei weiteren Reitern der Johanniter Sanitätsreiterstaffel unterwegs ist. Sie haben sich früh am Morgen auf den Weg gemacht, die Rettungsleitstelle in Winsen über ihren Patrouille informiert. Es scheint ein ruhiger Tag zu werden. Bis der Notruf kommt.
Eine Dame aus der Wandergruppe hat mit einen allergischen Schock zusammengebrochen, aber noch bei Bewusstsein. Die Sanitäter der Reiterstaffel sind nur sechs Kilometer vom Unglücksort entfernt als die sie Leitstelle sie alarmiert. Sechs Kilometer, die die Pferde im Galopp zurücklegen. Knapp zehn Minuten später ist die Gruppe bei der Verunglückten. Martina Leffrang legt eine Infusion, stabilisiert die Patientin. Und wartet, bis der Arzt da ist.
Es sind Momente wie diese, die den Mitgliedern der Sanitätsreiterstaffel deutlich machen, wie wichtig ihr ehrenamtlicher Einsatz ist. Er kann Leben retten. Er rettet Leben.
So auch beim Kirchentag 2013. Beim Abschluss-Gottesdienst im Hamburger Stadtpark erleidet ein Mann einen Herzinfarkt. Die Reiter sind die ersten, die den Verunglückten in der Menschenmenge ausfindig machen und das Rettungsteam zum Patienten geleiten. „Wir haben einen besseren Überblick“, sagt Martina Leffrang. „Und die Menschen haben Respekt vor den Tieren. Sie sind eher bereit, Platz zu machen.“
Martina Leffrang leitet die Staffel, die in Bestzeiten bis zu 40 Aktive zählte, seit 2009. Damals stand die Reiterstaffel kurz vor dem Aus. Es gab nur noch drei Mitglieder. Eine davon war Martina Leffrang, medizinische Fachangestellte, Rettungsanitäterin im Ehrenamt und leidenschaftliche Reiterin. „Ich habe Anzeigen geschaltet, bei Freunden und Bekannten Werbung für die Sanitätsreiterstaffel gemacht“, sagt sie. „Bereits sechs Monate später waren wir bereits 18 Mitglieder.“
Derzeit zählt die Staffel 27 Mitglieder, wobei sich vier jüngst in die Babypause verabschiedet haben. „Wir brauchen also erneut dringend Verstärkung“, sagt die Leiterin. „Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen - sowohl als Reiter zu Pferd als auch als Führende am Boden.“ Sie sollten mindestens 18 Jahre alt sein und ein eigenes Pferd mitbringen. Und sie sollten in den Sommermonaten viel Zeit haben. Dann ist die Reiterstaffel fast jedes Wochenende im Landkreis Harburg, in Lüneburg, Stade und Hamburg unterwegs.
Einsatzorte für die Sanitäter zu Pferd sind Festumzüge, Festivals, das mittelalterliche Spektakulum in Hamburg-Öjendorf und der Martinsumzug in Wilhelmsburg. Während der Heideblüte ist an den Wochenenden jeweils ein Reiterteam im Bereich Undeloh unterwegs. Zu einem Team gehören drei bis vier Reiter, darunter mindestens zwei ausgebildete Sanitätshelfer.
„Die Reiterstaffel ist ausgerüstet wie ein kleiner Rettungswagen auf vier Beinen“, sagt Martina Leffrang. „In der Satteltasche transportieren wir alles, was wir im Einsatzfall benötigen: Vom Pflaster über die Wunddesinfektion und die Infusion bis hin zum Verbandsmaterial, dem Beatmungsbeutel und Defibrillator für Patienten mit Herzstillstand ist alles griffbereit.“
Das Training für Pferd und Reiter dauert etwa ein Jahr
Bis ein Pferd samt Reiter zuverlässig Großveranstaltungen meistern kann, vergehen Monate. „Das Training dauert je nach Temperament des Tieres etwa ein Jahr“, sagt Martina Leffrang. Es umfasst regelmäßige Trainingseinheiten unter anderem mit Raschelsäcken, Bälleplanen, Fahnen und Spielsachen. Die Tiere lernen, durch enge Gänge zu gehen, Lärm auszuhalten und bei jeder noch so ungewöhnlichen Irritation gelassen zu bleiben.
„Manchmal legen wir Luftballons in den Weg. Tritt ein Pferd drauf, gibt es einen Knall“, sagt die Leiterin. Rasseln, Rauchbomben, Trommelwirbel und Kindergeschrei, Menschenmengen und lautes Gebrüll, Feuerwerk und Lichtveränderungen, Berührung an jeder Körperstelle — all das ertragen die Tiere ohne jede Regung. Derzeit üben die Reiter eine Situation, die zunächst ganz unspektakulär scheint, aber im vergangenen Jahr zu großem Chaos geführt hat.
Als die Crew mit ihren 27 Reitern und Pferden ihr Können im Sommer beim Internationalen Reit- und Springturnier in Verden vorstellte, ging plötzlich nichts mehr. „Vor dem Stadionausgang hockte ein Fotograf mit seiner Kamera. Und alle Pferde bremsten abrupt ab“, erinnert sich Martina Leffrang. „Es gab ein heilloses Durcheinander.“ Seitdem wird im Training auch diese Situation simuliert.
Derzeit plant Marina Leffrang die Einsätze für 2018. Zur Verstärkung des Teams hat sie im Internet ein Gesuch aufgegeben. Damit die Heidepatrouillen im Sommer gewährleistet werden können, braucht sie möglichst viele ehrenamtlich engagierte Reiter. Zwei bis sieben Stunden kann so ein Einsatz am Wochenende dauern, bei dem auch die Chefin regelmäßig mit ihrem Hannoveraner Wallach Rocky dabei ist.
Das Pferd aus der Rajensdorfer Zucht von Familie Uschtrin kam 2010 in ihren Besitz. Im gleichen Jahr verstarb ihr Pferd Power. Den ersten Härtetest musste Rocky noch vor dem Unterschreiben des Kaufvertrags bestehen. „Ich habe einfach eine Rettungsfolie aufgefaltet und ordentlich damit geraschelt“, sagt Martina Leffrang. „Doch Rocky hat mein Wirbeln überhaupt nicht interessiert.“
Seitdem sind die beiden ein Gespann, über das sich mancher Spaziergänger wundert. Denn die Staffelleiterin nutzt jeden Ausritt zum Training, klappert unterwegs mit Mülltonnendeckeln, freut sich über tieffliegende Hubschrauber und lautes Sirenengeheul. Die 56-Jährige mag solche Herausforderungen zu Pferde. Als Turnierreiterin war sie bis zur Kandaren L-Dressur unterwegs. 2005 zog sie aus dem Norden Hamburgs nach Dibbersen in der Nordheide und nahm Kontakt zur Reiterstaffel auf. „Ich wollte die Reiterei und meine medizinischen Erfahrungen kombinieren“, sagt sie. „Und etwas in der Gemeinschaft für die Gemeinschaft tun.“
Hannoveraner-Wallach Rocky, der offiziell den glanzvollen Namen „Roi de cœur“ trägt, nimmt das Engagement seiner Halterin gelassen. „Er macht eigentlich alles mit“, sagt diese. Nur, wenn es im September zur Einemhofer Fuchsjagd geht, bleibt der “Fuchs“ lieber im Stall. Nicht, weil sein Fell dem der Beute gleicht, sondern weil ihm 16 Kilometer querfeldein im Jagdgalopp dann doch zu anstrengend sind.
Die Sanitätsreiter sorgen für Sicherheit
Die Reiterstaffel Harburg sorgt vor allem bei Großveranstaltungen für Sicherheit unter den Zuschauern und Teilnehmern, denn in Menschenmengend sind sie meist schneller als der Rettungswagen zur Stelle. In den Sommermonaten leisten sie bei Reit-, Fahr-, Lauf- und Wander-Veranstaltungen Sanitätsdienste. Von Juli bis September patrouillieren sie in der Lüneburger Heide.
Voraussetzungen zur Teilnahme ist ein eigenes Pferd, ein Hänger und Auto, um das Pferd zu transportieren, Freude an Medizin, Erfahrung in Dressur, Zeit und Lust an regelmäßiger Fortbildung und Training sowie die Bereitschaft, in den Sommermonaten mehr als einmal monatlich mit der Staffel unterwegs zu sein.
Die Ausbildung vom Ersthelfer bis zum Sanitätshelfer wird über die Johanniter Unfallhilfe finanziert und angeboten. Die Reiter der Sanitätsstaffel sind ausgebildete Rettungsassistenten und -sanitäter, Sanitätshelfer und Ersthelfer. Für alle Reiterstaffeln gibt es bundesweit einheitliche verbindliche Ausbildungsrichtlinien.
Die Reiter treffen sich immer am letzten Sonnabend eines Monats zum gemeinsamen Training. In den Wintermonaten gibt es ausschließlich Theorieeinheiten. Das nächste Treffen ist am 27. Januar von 13 bis 17 Uhr im Haus der Johanniter, Am Blöcken 14 in Meckelfeld.
Weitere Infos gibt es im Internet auf der Seite www.johanniter.de oder direkt bei Staffelleiterin Martina Leffrang, unter der Telefonnummer 0173-612 59 42.