Winsen. Landesregierung will Kita-Elternbeiträge abschaffen. Kommunen rechnen mit Verlust von Einnahmen im sechsstelligen Bereich.

Manche Eltern müssen viel Geld für die Kinderbetreuung zahlen. Andere gar nichts – je nach Wohnort. Dass eine fünfstündige Betreuung in einer Hamburger Kindertagesstätte nichts kostet, aber nur wenige Meter hinter der Landesgrenze in Niedersachsen mehrere Hundert Euro fällig sind, empfinden viele Eltern schon lange als sehr ungerecht.

Jetzt zieht Niedersachsen nach. SPD und CDU haben sich darauf geeinigt, mit Beginn des neuen Kitajahres im August für die Betreuung von drei- bis sechsjährigen Kindern von Eltern keine Gebühren mehr zu verlangen.

Eine schöne Sache für die Eltern. Doch offenbar eine sehr teure für die Städte und Gemeinden im Landkreis Harburg. Zwar versichert Sebastian Schumacher, Sprecher des Landeskultusministeriums, die Abschaffung der Elternbeiträge werde nicht auf Kosten der Kommunen geschehen, diese erhielten einen „fairen Ausgleich“. Doch die Beträge, die zur Diskussion stehen, decken nach Auskunft der Kommunen bei weitem nicht die entstehenden Kosten.

Land plant Pauschale von 167 Euro – zu wenig, so die Kommunen

Derzeit plant das Land eine Zuweisung in Höhe von 126 Euro für einen Platz mit einer Betreuungszeit von bis zu sieben Stunden. Wird das Kind länger betreut, sollen die Städte und Gemeinden 167 Euro pro Betreuungsplatz und Monat als Ausgleich für die entfallenen Elternbeiträge bekommen.

„Wenn das tatsächlich so kommt, ist es für die meisten Kommunen im Landkreis Harburg eine Katastrophe“, sagt Tostedts Bürgermeister Peter Dörsam. Auch Bernhard Frosdorfer, Sprecher beim Landkreis Harburg, bestätigt: „Die Pauschale reicht bei weitem nicht aus. Kommt die Gebührenfreiheit, wird sie eine erhebliche Belastung für die Kommunen mit sich bringen.“

Die Samtgemeinde Tostedt rechnet mit einem zusätzlichen Defizit von rund 600.000 Euro pro Jahr. Die Gemeinde Rosengarten kalkuliert ein Defizit von 200.000 bis 350.000 Euro pro Jahr, Seevetal erwartet ebenso ein sechsstelliges Defizit. Am härtesten trifft es die Stadt Buchholz, die insgesamt 1200 Betreuungsplätze für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren bereithält.

„Die Beitragsfreistellung des ersten und zweiten Kindergartenjahres führt zu einem zusätzlichen Defizit von 900.000 Euro“, sagt Heinrich Helms, Pressesprecher der Stadt Buchholz. Das Land müsse sich deshalb deutlich stärker engagieren.

Für manche Kommunen könnte die Beitragsfreiheit besonders schwere Folgen für die Finanzsituation haben. Beispiel Neu Wulmstorf. Die Gemeinde schiebt zurzeit ein Defizit von einer Million Euro vor sich her und rechnet mit Mindereinnahmen von 400.000 bis 450.000 Euro pro Jahr infolge der kostenlosen Kitaplätze. Denn zurzeit zahlen die Eltern in der Gemeinde im Durchschnitt 250 Euro monatlich. Die vom Land geplanten 167 Euro als Finanzausgleich liegen also weit darunter.

Gemeinden wissen nicht, wie sie Extra-Kosten auffangen sollen

„Die ohnehin bereits schlechte Haushaltssituation der Gemeinde wird sich dadurch weiter verschlimmern“, sagt Neu Wulmstorfs Pressesprecherin Sandra Lyck. Die Gemeinde fürchtet, dass sie auch noch nach 2020 keinen ausgeglichenen Haushalt vorweisen kann. Schon jetzt ist klar, dass sie für das Jahr 2018 einen Nachtragshaushalt aufstellen muss. Weder Neu Wulmstorf noch die anderen Städte und Gemeinden im Landkreis wissen, wie sie die erhöhte Belastung auffangen sollen.

In vielen Kitas im Landkreis Harburg herrscht Unsicherheit, weil noch nicht ganz klar ist, ob die wegfallenden Elternbeiträge für eine bestimmte Zahl von Betreuungsstunden – ähnlich wie in Hamburg, wo fünf Stunden beitragsfrei sind, – oder auch für Ganztagsplätze gelten sollen. „Wir finden die Beitragsfreiheit gut“, betont Roger Grewe, Geschäftsführer des DRK Harburg-Land, das als größter nicht-kommunaler Träger 40 Kitas im Landkreis betreibt. „Klar ist aber auch: Sollte das tatsächlich für den Ganztag gelten, würden wir komplett untergehen.“

Sowohl das DRK als auch die Städte und Gemeinden gehen davon aus, dass durch das neue Gesetz die Nachfrage nach Betreuungsplätzen deutlich steigen wird, ganz besonders nach längeren Betreuungszeiten. Das geschehe ausgerechnet in einer Zeit, in der schon jetzt viele ältere Kitas an ihre räumlichen Grenzen stießen und Erzieher schwer zu bekommen seien, sagt Roger Grewe vom DRK.

Im beitragsfreien dritten Kitajahr steigt die Nachfrage

Dass geringere Elternbeiträge zu einer höheren Betreuungsnachfrage führen, hat die Erfahrung mit dem letzten Kindergartenjahr, das in Niedersachsen schon jetzt für Eltern kostenlos ist, gezeigt. „Im beitragsfreien Jahr wünschen deutlich mehr Eltern eine Ganztagsbetreuung“, sagt Dibbern.

Beim DRK ist man allerdings überzeugt, dass die Landesregierung in Hannover am Ende nur die Beitragsfreiheit für vier oder fünf Stunden täglich beschließen wird. „Wer mehr Stunden wünscht, sollte extra zahlen“, sagt Grewe. „Das wäre aus unserer Sicht auch sozial gerecht.“

Das plant das Land:

Die niedersächsische Regierungskoalition aus SPD und CDU hat angekündigt, die Elternbeiträge für die Kindergartenbetreuung zum 1. August 2018 abzuschaffen. Die Gespräche, in denen Details geklärt werden, haben in dieser Woche begonnen.

Die Beitragsfreiheit soll für Kinder ab drei Jahren gelten, die in den sogenannten Elementargruppen betreut werden. Für Krippenkinder werden weiterhin Elternbeiträge fällig. Das Land Niedersachsen kalkuliert derzeit mit Kosten in Höhe von 100 Millionen Euro – nach vorläufigen Berechnungen.

Der Betreuungsumfang, für den der Anspruch auf Beitragsfreiheit gelten wird, ist noch nicht festgelegt. Er soll zwischen vier und acht Stunden an fünf Tagen in der Woche liegen.

Das letzte Kitajahr ist bereits seit dem 1. August 2007 beitragsfrei. Im Landkreis Harburg gibt es 137 Kindertagesstätten mit Elementargruppen. Dort wurden zu Beginn des vergangenen Kindergartenjahres 6907 Kinder zwischen drei und sechs Jahren betreut, etwa die Hälfte ganztags.