Lüneburg. Nach 13 Jahren in Containern sind Krippe, Kita und Grundschule des Montessori-Vereins Lüneburg in gemeinsamen Neubau gezogen.
Wie ein „L“ ist das Gebäude geformt, in das Krippe, Kindergartenµ, Grundschule und Mittagsbetreuung des Montessori-Vereins Lüneburg vor wenigen Wochen gezogen sind. Seit 2004 waren die Kinder — anfangs eine Schulklasse, später weitere Klassen und das Kinderhaus— in eigentlich als Provisorium gedachten grauen Containern untergebracht. Der Entwurf für das neue Gebäude wandelte sich mehrmals, in letzter Minute wurden Räume für zwei zusätzliche Gruppen angefügt. Auch deshalb sieht nun das „L“ aus wie von Kinderhand geschrieben, etwas schief und mit unerwarteten Schnörkeln am Rand.
Der weite Winkel betone den offenen Charakter des Hauses, sagt Henryk Reimers vom Lüneburger Architektenbüro HSR bei einem Rundgang. Vier Jahre hat er das Bildungshaus geplant und die Umsetzung begleitet, mit vielen beteiligten Menschen gesprochen und versucht, ihre Ideen und Wünsche trotz des begrenzten Budgets in den Entwurf einzuarbeiten.
„Das Besondere ist hier, dass wir in einem Haus alle verschiedenen Einrichtungen des Vereins verbinden. Das war eine schlüssige Aufgabe, die mich sehr gereizt hat“, sagt der 44-Jährige. „Die Kinder können das Haus in mehreren Etappen von einem Ende bis zum anderen durchlaufen.“ Die Bereiche für Krippe, Kindergarten, Mittagsbetreuung und Schule sind jeweils durch Glastüren getrennt, die zugleich dem Brandschutz dienen.
Dass die Bereiche dennoch eng miteinander verbunden sind, sei ein großer Vorteil, sagt Dörthe Behnke. Als Mitglied des Vereinsvorstands begleitet die Mutter von zwei Söhnen den Prozess seit fünf Jahren. Der integrierte Bau ermögliche zum Beispiel Geschwisterkindern, sich gegenseitig zu besuchen, sei aber auch beim Lernen hilfreich. Kinder aus den Elementargruppen könnten in die Schule reinschnuppern, sagt Behnke. „Auch wenn die Schule für einen Erstklässler noch sehr anstrengend ist, kann er einen Teil des Tages in der Kita spielen.“ Und die Schulkinder gingen manchmal zum Vorlesen ins Kinderhaus rüber.
Im Verbindungstrakt werden Kinder über Mittag betreut
Die vier Bereiche sind unterschiedlich gestaltet, es tauchen aber verbindende Elemente auf. Demselben Prinzip folgt das Konzept der Montessori-Pädagogik, die Kinder lernen Materialien und Arbeitsweisen kennen, auf die sie im Laufe der Jahre immer wieder zurückgreifen. Das Kinderhaus hat einen eigenen Eingang, damit die Kleinen in Ruhe ankommen können. Die Räume haben bodentiefe Fenster und extra hohe Decken. „So haben wir die Möglichkeit geschaffen, später eine zweite Ebene wie eine Galerie einzuziehen“, sagt Reimers.
Die Kinder spielen zumeist auf dem Boden. Lichtschalter, Regale und sogar eine kleine Spülküche sind auf Kleinkinderhöhe angebracht. Durch große Glasscheiben können Erzieher und Kinder beobachten, was im Nachbarraum geschieht. Die mit Holz und Stein verblendete Außenwand weicht leicht nach innen, so entsteht unter dem Dach Platz für einen vor Regen und Sonne geschützten Spielbereich.
Im Elementarbereich können sich die Kindergartenkinder zwischen verschiedenen Räumen frei bewegen. Es gibt einen Bewegungsraum, einen Matschraum, eine Küche und einen Arbeitsbereich, in dem typische Montessori-Materialien zur Verfügung stehen. Eine Tür weiter, im verbindenden Gelenk in der Mitte des „L“, ist die sogenannte Übermittagbetreuung untergebracht. Hier können Schulkinder nach dem Unterricht zu Mittag essen, spielen, basteln und sich ausruhen.
Im angrenzenden Schulbereich werden auf zwei Ebenen vier sogenannte Lerngruppen unterrichtet, in denen Schüler der ersten bis vierten Klasse gemeinsam lernen. Auf dem Boden der 80 Quadratmeter großen Räume liegen verschiedenfarbige Teppiche, auf denen die Kinder ihre Arbeiten erledigen, auch das gehört zum pädagogischen Konzept. Von jedem dieser Lernräume ermöglicht wieder ein Fenster den Blick in einen angeschlossenen, kleineren Gruppenraum.
Investor, Stadt und Verein finanzieren Idee gemeinsam
Träger des Bildungshaus ist der Montessori-Verein, der den Betrieb durch Schulgeld sowie die für Schulen in freier Trägerschaft üblichen Landeszuschüsse finanziert. Das Gebäude wurde durch den Lüneburger Investor Andreas Wölk errichtet, mit dem der Verein einen Mietvertrag über 30 Jahre abgeschlossen hat. Etwa 3,5 Millionen Euro hat der Bau gekostet, 250.000 gab die Stadt dazu, außerdem jeweils 50.000 Euro für die Einrichtung einer Krippen- und einer Elementargruppe. „Die Zusammenarbeit mit der Stadt klappt sehr gut“, sagt Dörthe Behnke. „Und wir hatten großes Glück mit dem Grundstück.“ Das hatte der Verein bereits vor Jahren günstig erworben und dann an den Investor verkauft.
Noch ist nicht alles fertig im neuen Bildungshaus, an den Toilettentüren kleben Papierzettel mit „Jungen“ und „Mädchen“, im Außenbereich ist noch einiges zu tun. Doch die kleinen und größeren Kinder, die hier spielen und lernen, sorgen bereits dafür, dass dem bewusst schlicht gehaltenen Gebäude ein bunter Stempel aufgedrückt wird.
Das Konzept: Erziehung als Hilfe zum Leben
Maria Montessori (1870-1952) gilt als Begründerin des nach ihr benannten reformpädagogischen Konzepts. Die italienische Ärztin eröffnete 1907 das erste Montessori-Kinderhaus. Im Mittelpunkt ihres Ansatzes steht das Kind, dessen Bedürfnisse und individuelle Entwicklung. Die Montessori-Pädagogik versteht Erziehung als Hilfe zum Leben.
In den Schulen wird in sogenannter Freiarbeit unterrichtet. Dabei soll jedes Kind sein eigenes Lerntempo bestimmen könnenl. Spezielles Lernmaterial, unter anderem für Mathematik und Sprache, spielt in allen Einrichtungen eine wichtige Rolle.
Lehrer nehmen die Rolle eines beobachtenden Begleiters ein. In der Regel wird in Montessori-Schulen jahrgangsübergreifend unterrichtet.