Harburg. Scooter-Fahrer, Schläfer, Pilzsammler: Eine Häufung spektakulärer Fälle im Hamburger Süden beschäftigt zurzeit die Polizei.

Was für ein Irrsinn: Immer öfter gibt es Alarm auf Bahnhöfen, weil Menschen die Gleise betreten, die dort nichts zu suchen haben. Die Folgen: S-Bahnen fallen aus, der Fernzugverkehr wird auf unabsehbare Zeit eingestellt. Allein vorige Woche verzeichnet die Bundespolizei fünf spektakuläre Fälle auf den Bahnstrecken Richtung Süden. Betroffen waren vor allem die S-Bahnlinien 3, 31 und 21 sowie der Fernverkehr. Tausende Pendler saßen auf den Bahnhöfen fest. Wieder einmal.

Die Anzahl der Menschen, die sich unerlaubt im Gleisbett aufhalten, habe sich deutlich erhöht, heißt es dazu von der Deutschen Bahn. „Im Moment häufen sich die Fälle. Warum das so ist, wissen wir nicht. Dazu sind die einzelnen Fälle zu unterschiedlich“, sagte Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis dem Abendblatt. Fast täglich gibt es Durchsagen und Hinweise wie diese: „Der Zugverkehr wird wegen betriebsfremder Personen vorübergehend eingestellt“. Am Montagvormittag voriger Woche harrten Pendler am Hauptbahnhof aus, weil die S-Bahn wegen „Gleisgängern“ nicht fuhr. Auch am Sonntagabend kam es auf der S-Bahnstrecke zum außerplanmäßigen Stillstand.

Wer sich genau hinter den „Gleisläufern“ verbirgt, erfahren Reisende in aller Regel nicht. „Häufig begeben sich Menschen auf die Schienen, weil sie dort ihr Handy suchen. Oder ihre Halskette“, sagte der Sprecher der Bundespolizei Rüdiger Carstens dem Abendblatt. „Oftmals sind es stark alkoholisierte Leute, die eine Abkürzung über die Schiene nehmen. Oder aber Graffiti-Sprayer und Kriminelle auf der Flucht, nach denen gefahndet wird.“

Wenn „Gleisläufer“ unterwegs sind, ist die Polizei schnell zur Stelle
Wenn „Gleisläufer“ unterwegs sind, ist die Polizei schnell zur Stelle © HA | Privat

Auffällig sei die aktuelle Zunahme spektakulärer Fälle im Hamburger Süden, so der Polizeisprecher. So ging unlängst ein junges Mädchen (14) in Begleitung eines jungen Mannes (18) mitten in der Nacht auf den S-Bahngleisen unweit des Haltepunktes Allermöhe spazieren. Angeblich, weil sie „nicht schlafen konnte“, wie sie sagte. Die Bahn stellte aus Sicherheitsgründen den Strom ab, der S-Bahnverkehr kam zum Erliegen. Das Mädchen wurde mit dem Streifenwagen zu ihrer Mutter nach Hause gebracht. Ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen „Unbefugten Aufenthaltes im Gleisbereich“ wurde eingeleitet.

Kurz darauf, am Freitagabend, stellte eine Streife der Bundespolizei in Heimfeld einen Mann (26), der auf den Fernbahngleisen „Pilze sammeln“ wollte, wie er zu Protokoll gab. Gegen ihn wurde ein Verfahren eingeleitet. Gegen Mitternacht desselben Tages legte sich ein junger Mann (20) im Alkoholrausch (1,62 Promille) zum Schlafen ins Gleisbett des Bahnhofs Stade. Der Betrunkene hatte einen Schutzengel: Ein Lokführer, der mit dem Metronom-Zug anrauschte, glaubte zunächst, einen „Müllsack“ zu erkennen. Er brachte den Zug fünf Meter vor dem Schlafenden zum Stehen, weckte ihn und nahm ihn mit in den Zug: Der Pole kam von einer Party und wollte nach Hamburg. Wie er ins Gleisbett geraten war, wusste er nicht.

Die Weiterfahrt verzögerte sich um 18 Minuten. Sonnabendvormittag sorgten zwei Jugendliche (13 und 14) mit einer lebensgefährlichen Aktion für einen weiteren Nothalt: Sie hielten sich auf Gleis 14 am ICE 75 nach Basel fest – und ließen sich – stehend auf ihren Scooter-Rollern – vom anfahrenden Zug mitziehen. Die jungen Leute wurden kurz darauf dank Videoüberwachung am Hamburger Hauptbahnhof von der Polizei gefasst. Es kam bei sechs Zügen zu Verspätungen.

„Eine Sperrung wegen betriebsfremder Personen dauert mindestens eine halbe Stunde“, sagt Bahnsprecher Meyer-Lovis. „Die Strecke muss gesperrt und anschließend zu Fuß abgesucht werden. Das kann dauern. Wir setzen dafür auch Hubschrauber ein“, sagt Polizeisprecher Carstens.

Hin- und wieder passiert es auch, dass Menschen leichtsinnigerweise in die Gleise geraten – etwa, wenn sich ihr Rollator „selbstständig“ macht, wie es einem älteren Mann in Harburg kürzlich passierte, den Reisende in letzter Sekunde vor einem herannahenden Zug zurückhalten konnten. Meyer-Lovis: „Wenn etwas ins Gleisbett fällt, auf keinen Fall hinterhersteigen. Das ist lebensgefährlich! Richtig ist, an der Infosäule am Bahnsteig Hilfe zu rufen.“

Hier gibt es Hilfe

Bahn und Polizei warnen eindringlich davor, die Gleise zu betreten. „S-Bahn-Schienen führen 1200-Volt. Für Fußgänger besteht äußerste Lebensgefahr – auch durch Oberleitungen der Fernbahn und herannahende Züge“, sagt Bahnsprecher Egbert Meyer Lovis.

Die Gefahr am Gleis wird oft unterschätzt. „Deshalb informieren wir in Zusammenarbeit mit der Bahn an Schulen und Kitas über die Risiken“, sagt Polizeisprecher Rüdiger Carstens. Nähere Informationen im Internet und bei der Bahn, Stichwort „Bahnprävention“.